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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Decorationsmalereien. Pozzo.

Dieselbe drängt sich auf jede Weise ein. Zuerst in die Casset-
ten, an die Stelle der Rosetten; sie treibt die Cassette nach Kräften
zum Bilde auseinander. In den Kirchen Neapels um 1600 sind die
Gewölbe bereits in eine Anzahl meist viereckiger Felder getheilt, alle
voll historischer und allegorischer Darstellungen. (Gesu nuovo u. s. w.;a
als profanes Gegenstück: Vasari's Deckengemälde im grossen Saal des
Pal. vecchio zu Florenz; alles je naturalistischer, desto unleidlicher.)
Dann schafft sie sich bequemere grosse Cartouchen von geschwun-
genen Umrissen und füllt dieselben mit ihren Scenen an (Annunziatab
in Genua). Endlich nimmt sie das ganze Gewölbe als Continuum in
Anspruch. Auch jetzt noch besannen sich die bessern Künstler und
suchten dem grossen Vorbild in der Sistina (s. d. Malerei) jene wun-
dersame Abstufung von tragenden, füllenden und krönenden Figuren,
von ruhigen Existenzbildern und bewegten Scenen abzugewinnen.
(Domenichino: Chor von S. Andrea della Valle; als profanes Beispiel:c
Galerie des Palazzo Farnese in Rom, von Annib. Caracci.) Im Gan-
zen aber schlägt Coreggio's verführerisches Beispiel siegreich durch;
schon hatte man die Kuppeln mit jenen in Untensicht gegebenen Glo-
rien, Empyreen und Himmelfahrten anzufüllen sich gewöhnt; jetzt er-
hielten fast alle Gewölbe der Kirche solche Glorien, umrandet von
Gruppen solcher Figuren, welche auf der Erde zu stehen censirt sind.
Der Styl und die illusionäre Darstellungsweise wird uns bei Anlass
der Malerei beschäftigen; hier constatiren wir nur die grosse Abtre-
tung, welche sich die Architektur gefallen lässt. -- Es war ein rich-
tiges Bewusstsein, welches den Pater Pozzo dazu trieb, diesen Ge-
stalten und Gruppen einen neuen idealen Raum zur Einfassung und
zum Aufenthalt zu geben, welcher gleichsam eine Fortsetzung der
Architektur der Kirche ist, eine möglichst prächtige Hofhalle, über
welcher man den Himmel und die schwebenden Glorien sieht. Es
gehörte dazu allerdings seine resolute Meisterschaft im perspectivischen
Extemporiren von Figuren und Baulichkeiten, seine Herrschaft über
die Nuancen des Tones und die ganze volle Sorglosigkeit in allen
höheren Beziehungen. Sein Gewölbe in S. Ignazio zu Rom ist uner-d
reicht geblieben; er selber hat in S. Bartolommeo zu Modena Gerin-
geres geleistet. Andere Male begnügt er sich mit der blossen per-
spectivisch gemalten Architektur (Scheinkuppel in der Badia zu Arezzo;e

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Decorationsmalereien. Pozzo.

Dieselbe drängt sich auf jede Weise ein. Zuerst in die Casset-
ten, an die Stelle der Rosetten; sie treibt die Cassette nach Kräften
zum Bilde auseinander. In den Kirchen Neapels um 1600 sind die
Gewölbe bereits in eine Anzahl meist viereckiger Felder getheilt, alle
voll historischer und allegorischer Darstellungen. (Gesù nuovo u. s. w.;a
als profanes Gegenstück: Vasari’s Deckengemälde im grossen Saal des
Pal. vecchio zu Florenz; alles je naturalistischer, desto unleidlicher.)
Dann schafft sie sich bequemere grosse Cartouchen von geschwun-
genen Umrissen und füllt dieselben mit ihren Scenen an (Annunziatab
in Genua). Endlich nimmt sie das ganze Gewölbe als Continuum in
Anspruch. Auch jetzt noch besannen sich die bessern Künstler und
suchten dem grossen Vorbild in der Sistina (s. d. Malerei) jene wun-
dersame Abstufung von tragenden, füllenden und krönenden Figuren,
von ruhigen Existenzbildern und bewegten Scenen abzugewinnen.
(Domenichino: Chor von S. Andrea della Valle; als profanes Beispiel:c
Galerie des Palazzo Farnese in Rom, von Annib. Caracci.) Im Gan-
zen aber schlägt Coreggio’s verführerisches Beispiel siegreich durch;
schon hatte man die Kuppeln mit jenen in Untensicht gegebenen Glo-
rien, Empyreen und Himmelfahrten anzufüllen sich gewöhnt; jetzt er-
hielten fast alle Gewölbe der Kirche solche Glorien, umrandet von
Gruppen solcher Figuren, welche auf der Erde zu stehen censirt sind.
Der Styl und die illusionäre Darstellungsweise wird uns bei Anlass
der Malerei beschäftigen; hier constatiren wir nur die grosse Abtre-
tung, welche sich die Architektur gefallen lässt. — Es war ein rich-
tiges Bewusstsein, welches den Pater Pozzo dazu trieb, diesen Ge-
stalten und Gruppen einen neuen idealen Raum zur Einfassung und
zum Aufenthalt zu geben, welcher gleichsam eine Fortsetzung der
Architektur der Kirche ist, eine möglichst prächtige Hofhalle, über
welcher man den Himmel und die schwebenden Glorien sieht. Es
gehörte dazu allerdings seine resolute Meisterschaft im perspectivischen
Extemporiren von Figuren und Baulichkeiten, seine Herrschaft über
die Nuancen des Tones und die ganze volle Sorglosigkeit in allen
höheren Beziehungen. Sein Gewölbe in S. Ignazio zu Rom ist uner-d
reicht geblieben; er selber hat in S. Bartolommeo zu Modena Gerin-
geres geleistet. Andere Male begnügt er sich mit der blossen per-
spectivisch gemalten Architektur (Scheinkuppel in der Badia zu Arezzo;e

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[387/0409] Decorationsmalereien. Pozzo. Dieselbe drängt sich auf jede Weise ein. Zuerst in die Casset- ten, an die Stelle der Rosetten; sie treibt die Cassette nach Kräften zum Bilde auseinander. In den Kirchen Neapels um 1600 sind die Gewölbe bereits in eine Anzahl meist viereckiger Felder getheilt, alle voll historischer und allegorischer Darstellungen. (Gesù nuovo u. s. w.; als profanes Gegenstück: Vasari’s Deckengemälde im grossen Saal des Pal. vecchio zu Florenz; alles je naturalistischer, desto unleidlicher.) Dann schafft sie sich bequemere grosse Cartouchen von geschwun- genen Umrissen und füllt dieselben mit ihren Scenen an (Annunziata in Genua). Endlich nimmt sie das ganze Gewölbe als Continuum in Anspruch. Auch jetzt noch besannen sich die bessern Künstler und suchten dem grossen Vorbild in der Sistina (s. d. Malerei) jene wun- dersame Abstufung von tragenden, füllenden und krönenden Figuren, von ruhigen Existenzbildern und bewegten Scenen abzugewinnen. (Domenichino: Chor von S. Andrea della Valle; als profanes Beispiel: Galerie des Palazzo Farnese in Rom, von Annib. Caracci.) Im Gan- zen aber schlägt Coreggio’s verführerisches Beispiel siegreich durch; schon hatte man die Kuppeln mit jenen in Untensicht gegebenen Glo- rien, Empyreen und Himmelfahrten anzufüllen sich gewöhnt; jetzt er- hielten fast alle Gewölbe der Kirche solche Glorien, umrandet von Gruppen solcher Figuren, welche auf der Erde zu stehen censirt sind. Der Styl und die illusionäre Darstellungsweise wird uns bei Anlass der Malerei beschäftigen; hier constatiren wir nur die grosse Abtre- tung, welche sich die Architektur gefallen lässt. — Es war ein rich- tiges Bewusstsein, welches den Pater Pozzo dazu trieb, diesen Ge- stalten und Gruppen einen neuen idealen Raum zur Einfassung und zum Aufenthalt zu geben, welcher gleichsam eine Fortsetzung der Architektur der Kirche ist, eine möglichst prächtige Hofhalle, über welcher man den Himmel und die schwebenden Glorien sieht. Es gehörte dazu allerdings seine resolute Meisterschaft im perspectivischen Extemporiren von Figuren und Baulichkeiten, seine Herrschaft über die Nuancen des Tones und die ganze volle Sorglosigkeit in allen höheren Beziehungen. Sein Gewölbe in S. Ignazio zu Rom ist uner- reicht geblieben; er selber hat in S. Bartolommeo zu Modena Gerin- geres geleistet. Andere Male begnügt er sich mit der blossen per- spectivisch gemalten Architektur (Scheinkuppel in der Badia zu Arezzo; a b c d e 25*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/409>, abgerufen am 16.06.2024.