lich die Altargiebel u. dgl. mit Heiligen und Putten von Marmor und Gyps. Von irgend einem Verhältniss zwischen diesen Decorations- figuren und den Statuen der Nischen ist a priori nicht die Rede, da schon die Nischen selber kein bewusstes Grössenverhältniss mehr zum Gebäude haben.
Oberhalb der Gesimse beginnt endlich der Raum, in welchem die entfesselte Decoration ihre Triumphe, bisweilen auch wahre Orgien feiert. Seit der altchristlichen Zeit hatte die Gewölbemalerei in Italien nie ganz aufgehört, allein sie hatte sich entweder auf die Kup- peln und auf die Halbkuppeln der Tribunen beschränkt, oder (wie in der Schule Giotto's) sich der baulichen Gewölbeeintheilung strenge untergeordnet. Zur Blüthezeit der Renaissance hatten in den besten Gebäuden nur Kuppeln und Halbkuppeln figürliche Darstellungen; die übrigen Gewölbe waren cassettirt. Michelangelo, der das Gewölbe der Sistina ausmalte, zog doch für die Hauptgewölbe von S. Peter die vergoldete Cassettirung vor; Coreggio malte nur Kuppeln und Halbkuppeln aus. Auch der Barockstyl begnügte sich noch bisweilen mit einfacher Ornamentirung seiner Tonnengewölbe, doch bald riss die Deckenmalerei Alles mit sich fort; vielleicht zum Theil, weil die handfesten Maler sie schneller und wohlfeiler lieferten als die Stucca- toren ihr sehr massives und kostspieliges Cassettenwerk. Es blieb noch immer der vergoldeten Stuccaturen genug übrig, in Gestalt von Einrahmungen aller Art um die Malereien, auch von Fruchtschnü- ren an Gesimsen, Archivolten u. s. w. Oft sind diese Theile das Beste der ganzen Decoration. (Festons mit besonderer Beziehung auf die Gärtner und Lebensmittelhändler als Stifter, in S. Maria dell' aOrto zu Rom, Trastevere.) Es giebt Beispiele solcher Einrahmungen, in welchen die unbewegten architektonischen und die bewegten vege- tabilischen Theile mit einem dritten Bestandtheil zusammen ein über- aus glückliches Ganzes ausmachen; dieses dritte ist die Muschel, ein organisches Gebilde und doch in festem Stoff, das gleichsam die Mitte einnimmt zwischen jenen beiden. Freilich entsteht noch öfter eine bombastische Fratze als ein schönes Ornament. Doch wir kehren zur Gewölbemalerei zurück.
Der Barockstyl.
lich die Altargiebel u. dgl. mit Heiligen und Putten von Marmor und Gyps. Von irgend einem Verhältniss zwischen diesen Decorations- figuren und den Statuen der Nischen ist a priori nicht die Rede, da schon die Nischen selber kein bewusstes Grössenverhältniss mehr zum Gebäude haben.
Oberhalb der Gesimse beginnt endlich der Raum, in welchem die entfesselte Decoration ihre Triumphe, bisweilen auch wahre Orgien feiert. Seit der altchristlichen Zeit hatte die Gewölbemalerei in Italien nie ganz aufgehört, allein sie hatte sich entweder auf die Kup- peln und auf die Halbkuppeln der Tribunen beschränkt, oder (wie in der Schule Giotto’s) sich der baulichen Gewölbeeintheilung strenge untergeordnet. Zur Blüthezeit der Renaissance hatten in den besten Gebäuden nur Kuppeln und Halbkuppeln figürliche Darstellungen; die übrigen Gewölbe waren cassettirt. Michelangelo, der das Gewölbe der Sistina ausmalte, zog doch für die Hauptgewölbe von S. Peter die vergoldete Cassettirung vor; Coreggio malte nur Kuppeln und Halbkuppeln aus. Auch der Barockstyl begnügte sich noch bisweilen mit einfacher Ornamentirung seiner Tonnengewölbe, doch bald riss die Deckenmalerei Alles mit sich fort; vielleicht zum Theil, weil die handfesten Maler sie schneller und wohlfeiler lieferten als die Stucca- toren ihr sehr massives und kostspieliges Cassettenwerk. Es blieb noch immer der vergoldeten Stuccaturen genug übrig, in Gestalt von Einrahmungen aller Art um die Malereien, auch von Fruchtschnü- ren an Gesimsen, Archivolten u. s. w. Oft sind diese Theile das Beste der ganzen Decoration. (Festons mit besonderer Beziehung auf die Gärtner und Lebensmittelhändler als Stifter, in S. Maria dell’ aOrto zu Rom, Trastevere.) Es giebt Beispiele solcher Einrahmungen, in welchen die unbewegten architektonischen und die bewegten vege- tabilischen Theile mit einem dritten Bestandtheil zusammen ein über- aus glückliches Ganzes ausmachen; dieses dritte ist die Muschel, ein organisches Gebilde und doch in festem Stoff, das gleichsam die Mitte einnimmt zwischen jenen beiden. Freilich entsteht noch öfter eine bombastische Fratze als ein schönes Ornament. Doch wir kehren zur Gewölbemalerei zurück.
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Der Barockstyl.
lich die Altargiebel u. dgl. mit Heiligen und Putten von Marmor und
Gyps. Von irgend einem Verhältniss zwischen diesen Decorations-
figuren und den Statuen der Nischen ist a priori nicht die Rede, da
schon die Nischen selber kein bewusstes Grössenverhältniss mehr zum
Gebäude haben.
Oberhalb der Gesimse beginnt endlich der Raum, in welchem die
entfesselte Decoration ihre Triumphe, bisweilen auch wahre Orgien
feiert. Seit der altchristlichen Zeit hatte die Gewölbemalerei in
Italien nie ganz aufgehört, allein sie hatte sich entweder auf die Kup-
peln und auf die Halbkuppeln der Tribunen beschränkt, oder (wie in
der Schule Giotto’s) sich der baulichen Gewölbeeintheilung strenge
untergeordnet. Zur Blüthezeit der Renaissance hatten in den besten
Gebäuden nur Kuppeln und Halbkuppeln figürliche Darstellungen; die
übrigen Gewölbe waren cassettirt. Michelangelo, der das Gewölbe
der Sistina ausmalte, zog doch für die Hauptgewölbe von S. Peter
die vergoldete Cassettirung vor; Coreggio malte nur Kuppeln und
Halbkuppeln aus. Auch der Barockstyl begnügte sich noch bisweilen
mit einfacher Ornamentirung seiner Tonnengewölbe, doch bald riss
die Deckenmalerei Alles mit sich fort; vielleicht zum Theil, weil die
handfesten Maler sie schneller und wohlfeiler lieferten als die Stucca-
toren ihr sehr massives und kostspieliges Cassettenwerk. Es blieb
noch immer der vergoldeten Stuccaturen genug übrig, in Gestalt von
Einrahmungen aller Art um die Malereien, auch von Fruchtschnü-
ren an Gesimsen, Archivolten u. s. w. Oft sind diese Theile das
Beste der ganzen Decoration. (Festons mit besonderer Beziehung auf
die Gärtner und Lebensmittelhändler als Stifter, in S. Maria dell’
Orto zu Rom, Trastevere.) Es giebt Beispiele solcher Einrahmungen,
in welchen die unbewegten architektonischen und die bewegten vege-
tabilischen Theile mit einem dritten Bestandtheil zusammen ein über-
aus glückliches Ganzes ausmachen; dieses dritte ist die Muschel, ein
organisches Gebilde und doch in festem Stoff, das gleichsam die Mitte
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/408>, abgerufen am 05.12.2024.
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