Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.Der Barockstyl. schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. -- Noch schlim-mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst ain Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. Ber- nini's Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm- ten Säulen 1), sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel- schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro- mini's, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. -- Ausserhalb Roms wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem Pozzo, welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei- stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in bder Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge- schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch cschrecklicher aber ist sein Hochaltar a' Scalzi ebenda. Unter seinen dWandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesu in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän- digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.). Andere in S. Ignazio u. s. w. Die Klöster der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den 1) Die gewundenen Säulen des frühmittelalterlichen Altarraumes, wovon einige
*jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels Fresco: die Schenkung Constantin's. Der Barockstyl. schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. — Noch schlim-mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst ain Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. Ber- nini’s Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm- ten Säulen 1), sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel- schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro- mini’s, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. — Ausserhalb Roms wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem Pozzo, welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei- stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in bder Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge- schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch cschrecklicher aber ist sein Hochaltar a’ Scalzi ebenda. Unter seinen dWandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesù in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän- digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.). Andere in S. Ignazio u. s. w. Die Klöster der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den 1) Die gewundenen Säulen des frühmittelalterlichen Altarraumes, wovon einige
*jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels Fresco: die Schenkung Constantin’s. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0412" n="390"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der Barockstyl.</hi></fw><lb/> schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. — Noch schlim-<lb/> mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf<lb/> die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen<lb/> Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst<lb/><note place="left">a</note>in Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in<lb/> Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla<lb/> romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. <hi rendition="#g">Ber-<lb/> nini’s</hi> Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter<lb/> die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche<lb/> Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm-<lb/> ten Säulen <note place="foot" n="1)">Die gewundenen Säulen des frühmittelalterlichen Altarraumes, wovon einige<lb/><note place="left">*</note>jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels<lb/> Fresco: die Schenkung Constantin’s.</note>, sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel-<lb/> schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro-<lb/> mini’s, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen<lb/> des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. — Ausserhalb Roms<lb/> wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue<lb/> oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem<lb/><hi rendition="#g">Pozzo,</hi> welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei-<lb/> stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in<lb/><note place="left">b</note>der Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge-<lb/> schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch<lb/><note place="left">c</note>schrecklicher aber ist sein Hochaltar a’ Scalzi ebenda. Unter seinen<lb/><note place="left">d</note>Wandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesù<lb/> in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän-<lb/> digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.).<lb/> Andere in S. Ignazio u. s. w.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Die <hi rendition="#g">Klöster</hi> der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den<lb/> Charakter einfacher Pracht, vor Allem der Grossräumigkeit an. Ausser<lb/> den Jesuiten verstanden sich hierauf besonders die Philippiner (Padri<lb/> dell’ oratorio); an grossartigen Benedictinerabteien dieser Zeit möchte<lb/> dagegen Deutschland beträchtlich reicher sein als Italien.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [390/0412]
Der Barockstyl.
schon an den Fassaden, nur gemässigter, vorkommen. — Noch schlim-
mer geberdet sich der isolirte Altar, welcher, von der Rücksicht auf
die Wand entbunden, eine wahre Quintessenz aller übelverstandenen
Freiheit enthält. Ohne Oberbau wird er ein ganz formloses Gerüst
in Gestalt eines grossen Kreissegmentes (Hochaltar von S. Chiara in
Neapel); mit einem Oberbau oder Tabernakel, als sog. Altare alla
romana, bietet er vollends die abschreckendsten Formen dar. Ber-
nini’s Frechheit stellte mit dem ehernen Tabernakel von S. Peter
die Theorie auf: der Altar sei eine Architektur, deren sämmtliche
Einzelformen in Bewegung gerathen. Seine gewundenen und geblüm-
ten Säulen 1), sein geschwungener Baldachin mit den vier Giebel-
schnecken haben grösseres Unheil gestiftet, als die Fassaden Borro-
mini’s, welche um Jahrzehnde später, ja vielleicht nur Weiterbildungen
des hier zuerst ausgesprochenen Princips sind. — Ausserhalb Roms
wird der Altare alla romana meist als Prachtgehäuse für eine Statue
oder Gruppe behandelt. Und hier begegnen wir noch einmal dem
Pozzo, welcher in der ganzen Altarbaukunst sein Äusserstes gelei-
stet hat. Vier Säulen erschienen ihm viel zu mager; man muss in
der Jesuitenkirche zu Venedig sehen, wie er zehn Säulen mit ge-
schwungenen Gebälkstücken zu einer Art von Tempel verband; noch
schrecklicher aber ist sein Hochaltar a’ Scalzi ebenda. Unter seinen
Wandaltären ist der des heil. Ignatius im linken Querschiff des Gesù
in Rom berühmt durch ungemeine Pracht des Stoffes und Vollstän-
digkeit des Schmuckes (Nebengruppen, eherne Communionbank etc.).
Andere in S. Ignazio u. s. w.
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Die Klöster der mächtigern Orden nehmen in dieser Zeit den
Charakter einfacher Pracht, vor Allem der Grossräumigkeit an. Ausser
den Jesuiten verstanden sich hierauf besonders die Philippiner (Padri
dell’ oratorio); an grossartigen Benedictinerabteien dieser Zeit möchte
dagegen Deutschland beträchtlich reicher sein als Italien.
1) Die gewundenen Säulen des frühmittelalterlichen Altarraumes, wovon einige
jetzt in der Capella del Sagramento, entschuldigen ihn nicht. Siehe Rafaels
Fresco: die Schenkung Constantin’s.
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