druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch, diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen. Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive. An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exempla- ren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat.
Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un- geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt- griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori- ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren- säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi- scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt- lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern fast ohne Künstlernamen zu kennen. -- Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er- hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel- tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor, während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese,
Antike Sculptur. Die Masse und ihr Inhalt.
druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch, diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen. Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive. An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exempla- ren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat.
Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un- geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt- griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori- ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren- säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi- scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt- lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern fast ohne Künstlernamen zu kennen. — Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er- hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel- tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor, während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese,
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Antike Sculptur. Die Masse und ihr Inhalt.
druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch,
diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen.
Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was
momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive.
An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche
abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit
von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exempla-
ren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere
und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat.
Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un-
geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt-
griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom
letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori-
ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und
Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren-
säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die
Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi-
scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt-
lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass
bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer
Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir
uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine
Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten
Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern
fast ohne Künstlernamen zu kennen. — Der Unterschied zwischen
griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er-
hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal
aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war
eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe
oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins
Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel-
tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor,
während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese,
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/432>, abgerufen am 05.12.2024.
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