die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind. Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor- nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien, namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent- lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen verherrlichte. -- Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent- fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora- tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge- nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können.
Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor- läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht als man denken sollte, das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile, Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat
Herkunft und Bestimmung.
die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind. Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor- nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien, namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent- lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen verherrlichte. — Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent- fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora- tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge- nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können.
Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor- läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht als man denken sollte, das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile, Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat
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[411/0433]
Herkunft und Bestimmung.
die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind.
Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor-
nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze
Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche
Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen
Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich
die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und
Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur
Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien,
namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das
Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den
Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen
von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent-
lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen
verherrlichte. — Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher
Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es
ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk
eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und
der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent-
fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu
gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach
demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten
Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora-
tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so
roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge-
nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können.
Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den
Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor-
läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen
nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben
sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das
ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht als man denken sollte,
das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile,
Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/433>, abgerufen am 05.12.2024.
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