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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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S. Lorenzo in Mailand. Nympheen.
genten Diocletians. Die Vorhalle derselben erkennt man leicht in den
sechszehn korinthischen Säulen vor S. Lorenzo; allein man ahnt nichta
sogleich, dass noch der Hauptraum der Thermen selbst, umgebaut
und doch im Wesentlichen identisch mit dem Urbau, in Gestalt der
Kirche S. Lorenzo selbst vorhanden ist. Mindestens zweimal, imb
Mittelalter und wiederum gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts, hat
man die alten Bestandtheile auseinander genommen, wieder zusammen-
gesetzt und mit neuer Kuppel versehen, und noch immer ist dieses
Innere eines der wichtigsten und schönsten Bauwerke Italiens. Vor
Allem hat die Nische hier eine ganz neue Bedeutung; sie ist nicht
mehr ein blosser isolirter Halbcylinder mit Halbkuppel, sondern ein
durchsichtiger einwärtstretender Bau von einer untern und einer obern
Säulenreihe, welche in den untern und den obern Umgang des Kup-
pelraumes führen. Wären der Nischen acht, so würde dieses reiche
Motiv kleinlich und verwirrend wirken (wie in S. Vitale zu Ravenna);
allein es sind nur vier, so dass sich der volle Rhythmus dieser Bau-
weise entwickeln kann; über ihren Kuppelsegmenten und Hauptbogen
wölbt sich dann die mittlere Kuppel. An glänzendem perspectivischem
Reichthum können sich wenige Gebäude der Welt mit diesem messen,
so unscheinbar seine Einzelformen jetzt sein mögen 1). Nach Aussen
stellte es ein ruhiges Quadrat dar, indem die vier Ecken mit thurmarti-
gen Massen ausgefüllt sind. Der Anbau rechts (jetzt Capelle S. Aqui-
lino), ein Achteck mit Nischen und Kuppel, ist ebenfalls wohl antik
und dient in seiner Einfachheit zum belehrenden Vergleich mit jener
letzten und reichsten Form des antiken Innenbaues, die wir nachweisen
können.

Zahlreiche andere Thermenreste in den übrigen Städten Italiens
bieten keine hinlänglich erhaltenen Formen mehr dar. Auch die Nym-
pheen
oder Brunnengebäude mit Nischen und Grotten leben mehr in
der restaurirenden Phantasic als in kenntlichen Überbleibseln fort.
Man hält z. B. die grosse Backsteinnische im Garten von S. Crocec
in Gerusalemme
zu Rom für ein solches Nympheum. Sicherer ist

1) Die gegenwärtige Gestalt rührt von Martino Bassi her. Leider bleibt auch
die Lichtvertheilung des antiken Baues zweifelhaft. Ich glaube an ein che-
maliges Kuppellicht.
4*

S. Lorenzo in Mailand. Nympheen.
genten Diocletians. Die Vorhalle derselben erkennt man leicht in den
sechszehn korinthischen Säulen vor S. Lorenzo; allein man ahnt nichta
sogleich, dass noch der Hauptraum der Thermen selbst, umgebaut
und doch im Wesentlichen identisch mit dem Urbau, in Gestalt der
Kirche S. Lorenzo selbst vorhanden ist. Mindestens zweimal, imb
Mittelalter und wiederum gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts, hat
man die alten Bestandtheile auseinander genommen, wieder zusammen-
gesetzt und mit neuer Kuppel versehen, und noch immer ist dieses
Innere eines der wichtigsten und schönsten Bauwerke Italiens. Vor
Allem hat die Nische hier eine ganz neue Bedeutung; sie ist nicht
mehr ein blosser isolirter Halbcylinder mit Halbkuppel, sondern ein
durchsichtiger einwärtstretender Bau von einer untern und einer obern
Säulenreihe, welche in den untern und den obern Umgang des Kup-
pelraumes führen. Wären der Nischen acht, so würde dieses reiche
Motiv kleinlich und verwirrend wirken (wie in S. Vitale zu Ravenna);
allein es sind nur vier, so dass sich der volle Rhythmus dieser Bau-
weise entwickeln kann; über ihren Kuppelsegmenten und Hauptbogen
wölbt sich dann die mittlere Kuppel. An glänzendem perspectivischem
Reichthum können sich wenige Gebäude der Welt mit diesem messen,
so unscheinbar seine Einzelformen jetzt sein mögen 1). Nach Aussen
stellte es ein ruhiges Quadrat dar, indem die vier Ecken mit thurmarti-
gen Massen ausgefüllt sind. Der Anbau rechts (jetzt Capelle S. Aqui-
lino), ein Achteck mit Nischen und Kuppel, ist ebenfalls wohl antik
und dient in seiner Einfachheit zum belehrenden Vergleich mit jener
letzten und reichsten Form des antiken Innenbaues, die wir nachweisen
können.

Zahlreiche andere Thermenreste in den übrigen Städten Italiens
bieten keine hinlänglich erhaltenen Formen mehr dar. Auch die Nym-
pheen
oder Brunnengebäude mit Nischen und Grotten leben mehr in
der restaurirenden Phantasic als in kenntlichen Überbleibseln fort.
Man hält z. B. die grosse Backsteinnische im Garten von S. Crocec
in Gerusalemme
zu Rom für ein solches Nympheum. Sicherer ist

1) Die gegenwärtige Gestalt rührt von Martino Bassi her. Leider bleibt auch
die Lichtvertheilung des antiken Baues zweifelhaft. Ich glaube an ein che-
maliges Kuppellicht.
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[51/0073] S. Lorenzo in Mailand. Nympheen. genten Diocletians. Die Vorhalle derselben erkennt man leicht in den sechszehn korinthischen Säulen vor S. Lorenzo; allein man ahnt nicht sogleich, dass noch der Hauptraum der Thermen selbst, umgebaut und doch im Wesentlichen identisch mit dem Urbau, in Gestalt der Kirche S. Lorenzo selbst vorhanden ist. Mindestens zweimal, im Mittelalter und wiederum gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts, hat man die alten Bestandtheile auseinander genommen, wieder zusammen- gesetzt und mit neuer Kuppel versehen, und noch immer ist dieses Innere eines der wichtigsten und schönsten Bauwerke Italiens. Vor Allem hat die Nische hier eine ganz neue Bedeutung; sie ist nicht mehr ein blosser isolirter Halbcylinder mit Halbkuppel, sondern ein durchsichtiger einwärtstretender Bau von einer untern und einer obern Säulenreihe, welche in den untern und den obern Umgang des Kup- pelraumes führen. Wären der Nischen acht, so würde dieses reiche Motiv kleinlich und verwirrend wirken (wie in S. Vitale zu Ravenna); allein es sind nur vier, so dass sich der volle Rhythmus dieser Bau- weise entwickeln kann; über ihren Kuppelsegmenten und Hauptbogen wölbt sich dann die mittlere Kuppel. An glänzendem perspectivischem Reichthum können sich wenige Gebäude der Welt mit diesem messen, so unscheinbar seine Einzelformen jetzt sein mögen 1). Nach Aussen stellte es ein ruhiges Quadrat dar, indem die vier Ecken mit thurmarti- gen Massen ausgefüllt sind. Der Anbau rechts (jetzt Capelle S. Aqui- lino), ein Achteck mit Nischen und Kuppel, ist ebenfalls wohl antik und dient in seiner Einfachheit zum belehrenden Vergleich mit jener letzten und reichsten Form des antiken Innenbaues, die wir nachweisen können. a b Zahlreiche andere Thermenreste in den übrigen Städten Italiens bieten keine hinlänglich erhaltenen Formen mehr dar. Auch die Nym- pheen oder Brunnengebäude mit Nischen und Grotten leben mehr in der restaurirenden Phantasic als in kenntlichen Überbleibseln fort. Man hält z. B. die grosse Backsteinnische im Garten von S. Croce in Gerusalemme zu Rom für ein solches Nympheum. Sicherer ist 1) Die gegenwärtige Gestalt rührt von Martino Bassi her. Leider bleibt auch die Lichtvertheilung des antiken Baues zweifelhaft. Ich glaube an ein che- maliges Kuppellicht. 4*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/73>, abgerufen am 04.12.2024.