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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Pompejanische Scenographie.
es sich nicht anders; im Tepidarium der Thermen von Pompejia
verfolge man z. B. den grossen weissen Rankenfries, und man wird
die sich entsprechenden Pflanzenspiralen (je die vierte) jedesmal ab-
weichend und frei gebildet finden. (Das kleine Gesimse unten daran
scheint allerdings einen sich wiederholenden Model zu verrathen, da
hier die Anfertigung von freier Hand eine gar zu nutzlose Quälerei
gewesen wäre.) Die Künstler aber, um die es sich hier handelt,
waren blosse Handwerker einer nicht bedeutenden Provincialstadt. Sie
haben ganz gewiss diese Fülle der herrlichsten Zier-Motive so wenig
erfunden als die bessern Figuren und Bilder, die sie dazwischen ver-
theilten. Ihre Fähigkeit bestand in einem unsäglich leichten, kühnen
und schönen Recitiren des Auswendiggelernten; dieses aber war ein
Theil des allverbreiteten Grundcapitals der antiken Kunst.

Eine solche Decoration konnte allerdings nur aufkommen bei der
Bauweise ohne Fenster, die uns in Pompeji so befremdlich auffällt.
Diese Malerei verlangte die ganze Wand, um zu gedeihen. Weniges
und einfaches Hausgeräth war eine weitere Bedingung dazu. Wer im
Norden etwas Ähnliches haben will, muss schon einen Raum beson-
ders dazu einrichten und all den lieben Comfort daraus weglassen.

Der Inhalt der Zierrathen ist im Ganzen der einer idealen per-
spectivischen Erweiterung des Raumes selbst durch Architekturen,
und einer damit abwechselnden Beschränkung durch dazwischen ge-
setzte Wandflächen, die wir der Deutlichkeit halber mit unsern spani-
schen Wänden vergleichen wollen. An irgend eine scharf consequente
Durchführung der baulichen Fiction ist nicht zu denken; das Allge-
meine eines wohlgefälligen Eindruckes herrschte unbedingt vor.

Die Farben sind bekanntlich (zumal gleich nach der Auffindung)
sehr derb: das kräftigste Roth, Blau, Gelb etc.; auch ein ganz unbe-
dingtes Schwarz. Auf eine dominirende Farbe war es nicht abgesehen;
rothe, violette, grüne Flächen bedecken neben einander dieselbe Wand.
Ungleich auffallender ist, dass man durchaus nicht immer die dunk-
lern Flächen unten, die hellern oben anbrachte. Eine Reihe von Stücken
einer sehr schönen Wand (Museum dritter Saal links) beginnt untenb
mit einem gelben Sockel, fährt fort mit einer hochrothen Hauptfläche
und endigt oben mit einem schwarzen Fries; freilich findet sich an-
derwärts auch das Umgekehrte.

Pompejanische Scenographie.
es sich nicht anders; im Tepidarium der Thermen von Pompejia
verfolge man z. B. den grossen weissen Rankenfries, und man wird
die sich entsprechenden Pflanzenspiralen (je die vierte) jedesmal ab-
weichend und frei gebildet finden. (Das kleine Gesimse unten daran
scheint allerdings einen sich wiederholenden Model zu verrathen, da
hier die Anfertigung von freier Hand eine gar zu nutzlose Quälerei
gewesen wäre.) Die Künstler aber, um die es sich hier handelt,
waren blosse Handwerker einer nicht bedeutenden Provincialstadt. Sie
haben ganz gewiss diese Fülle der herrlichsten Zier-Motive so wenig
erfunden als die bessern Figuren und Bilder, die sie dazwischen ver-
theilten. Ihre Fähigkeit bestand in einem unsäglich leichten, kühnen
und schönen Recitiren des Auswendiggelernten; dieses aber war ein
Theil des allverbreiteten Grundcapitals der antiken Kunst.

Eine solche Decoration konnte allerdings nur aufkommen bei der
Bauweise ohne Fenster, die uns in Pompeji so befremdlich auffällt.
Diese Malerei verlangte die ganze Wand, um zu gedeihen. Weniges
und einfaches Hausgeräth war eine weitere Bedingung dazu. Wer im
Norden etwas Ähnliches haben will, muss schon einen Raum beson-
ders dazu einrichten und all den lieben Comfort daraus weglassen.

Der Inhalt der Zierrathen ist im Ganzen der einer idealen per-
spectivischen Erweiterung des Raumes selbst durch Architekturen,
und einer damit abwechselnden Beschränkung durch dazwischen ge-
setzte Wandflächen, die wir der Deutlichkeit halber mit unsern spani-
schen Wänden vergleichen wollen. An irgend eine scharf consequente
Durchführung der baulichen Fiction ist nicht zu denken; das Allge-
meine eines wohlgefälligen Eindruckes herrschte unbedingt vor.

Die Farben sind bekanntlich (zumal gleich nach der Auffindung)
sehr derb: das kräftigste Roth, Blau, Gelb etc.; auch ein ganz unbe-
dingtes Schwarz. Auf eine dominirende Farbe war es nicht abgesehen;
rothe, violette, grüne Flächen bedecken neben einander dieselbe Wand.
Ungleich auffallender ist, dass man durchaus nicht immer die dunk-
lern Flächen unten, die hellern oben anbrachte. Eine Reihe von Stücken
einer sehr schönen Wand (Museum dritter Saal links) beginnt untenb
mit einem gelben Sockel, fährt fort mit einer hochrothen Hauptfläche
und endigt oben mit einem schwarzen Fries; freilich findet sich an-
derwärts auch das Umgekehrte.

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[59/0081] Pompejanische Scenographie. es sich nicht anders; im Tepidarium der Thermen von Pompeji verfolge man z. B. den grossen weissen Rankenfries, und man wird die sich entsprechenden Pflanzenspiralen (je die vierte) jedesmal ab- weichend und frei gebildet finden. (Das kleine Gesimse unten daran scheint allerdings einen sich wiederholenden Model zu verrathen, da hier die Anfertigung von freier Hand eine gar zu nutzlose Quälerei gewesen wäre.) Die Künstler aber, um die es sich hier handelt, waren blosse Handwerker einer nicht bedeutenden Provincialstadt. Sie haben ganz gewiss diese Fülle der herrlichsten Zier-Motive so wenig erfunden als die bessern Figuren und Bilder, die sie dazwischen ver- theilten. Ihre Fähigkeit bestand in einem unsäglich leichten, kühnen und schönen Recitiren des Auswendiggelernten; dieses aber war ein Theil des allverbreiteten Grundcapitals der antiken Kunst. a Eine solche Decoration konnte allerdings nur aufkommen bei der Bauweise ohne Fenster, die uns in Pompeji so befremdlich auffällt. Diese Malerei verlangte die ganze Wand, um zu gedeihen. Weniges und einfaches Hausgeräth war eine weitere Bedingung dazu. Wer im Norden etwas Ähnliches haben will, muss schon einen Raum beson- ders dazu einrichten und all den lieben Comfort daraus weglassen. Der Inhalt der Zierrathen ist im Ganzen der einer idealen per- spectivischen Erweiterung des Raumes selbst durch Architekturen, und einer damit abwechselnden Beschränkung durch dazwischen ge- setzte Wandflächen, die wir der Deutlichkeit halber mit unsern spani- schen Wänden vergleichen wollen. An irgend eine scharf consequente Durchführung der baulichen Fiction ist nicht zu denken; das Allge- meine eines wohlgefälligen Eindruckes herrschte unbedingt vor. Die Farben sind bekanntlich (zumal gleich nach der Auffindung) sehr derb: das kräftigste Roth, Blau, Gelb etc.; auch ein ganz unbe- dingtes Schwarz. Auf eine dominirende Farbe war es nicht abgesehen; rothe, violette, grüne Flächen bedecken neben einander dieselbe Wand. Ungleich auffallender ist, dass man durchaus nicht immer die dunk- lern Flächen unten, die hellern oben anbrachte. Eine Reihe von Stücken einer sehr schönen Wand (Museum dritter Saal links) beginnt unten mit einem gelben Sockel, fährt fort mit einer hochrothen Hauptfläche und endigt oben mit einem schwarzen Fries; freilich findet sich an- derwärts auch das Umgekehrte. b

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/81>, abgerufen am 04.12.2024.