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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Decoration. Pompejanische Scenographie.

Die ornamentale Durchführung und figürliche Belebung des Gan-
zen ist nun eine sehr verschiedene, je nach dem Sinn des Bestellers
und des Malers. In der Mitte jener einfarbigen Flächen war die natür-
liche Stelle für eingerahmte Gemälde sowohl 1) als für einzelne Figu-
ren und Gruppen auf dem farbigen Grunde selbst; anderwärts treten
die Figuren als Bewohner der (gemalten) Baulichkeiten zwischen Säul-
chen und Balustraden auf. Die Landschaftbilder finden sich theils
ebenfalls in der Mitte der farbigen Flächen, theils vor die Baulichkei-
ten, oft sehr wunderlich, hingespannt.

Die gemalte Architektur ist eine von den Bedingungen des Stof-
fes befreite; wir wollen nicht sagen "vergeistigte", weil der Zweck
doch nur ein leichtes, angenehmes Spiel ist, und weil die wahren
griechischen Bauformen einen ernsten und hohen Sinn haben, von
welchem hier gleichsam nur der flüchtige Schaum abgeschöpft wird.
Immerhin aber werden wir diese Decoratoren für die Art ihren Zweck
zu erreichen schätzen und bewundern. Sie hatten ganz recht, keine
wirklichen Architekturen mit wirklicher, auf Täuschung abgesehener
Linien- und Luftperspective abzubilden. Dergleichen wirkt, wie so
viele Beispiele im heutigen Italien zeigen, neben ächten Säulen und
Gebälken doch nur kümmerlich und verliert bei der geringsten Ver-
witterung allen Werth, während die idealen Architekturen dieser alten
Pompejaner, selbst mit ihrer abgeblassten Farbe, auf alle Jahrhunderte
Auge und Sinn erfreuen werden.

Säulchen, Gebälke und Giebel nämlich sind wie aus einem idea-
len Stoffe gebildet, bei welchem Kraft und Schwere, Tragen und Ge-
tragenwerden nur noch als Reminiscenz in Betracht kömmt 2). Die

1) Ob das Colorit dieser Gemälde wirklich in einem durchgehenden Verhältniss
stehe zu der rothen, grünen etc. Farbe des entsprechenden Wandstückes,
wage ich nicht zu entscheiden. Gerade die besten Gemälde haben durch die
Übertragung in das Museum von Neapel ihren Zusammenhang mit der Wand-
farbe eingebüsst.
2) Die reine gothische Decoration folgt hierin ganz andern Gesetzen; sie ist
fast durchgängig (an Wandzierrathen, Stühlen, selbst feinen Schmucksachen)
streng architektonisch gedacht und wiederholt überall ihre Nischen, Sockel,
Fenster, Streben, Pyramiden und Blumen im kleinsten Maassstab ähnlich wie
im grössten. Sie bedurfte jener besondern Erleichterung vom Stoffe nicht
Decoration. Pompejanische Scenographie.

Die ornamentale Durchführung und figürliche Belebung des Gan-
zen ist nun eine sehr verschiedene, je nach dem Sinn des Bestellers
und des Malers. In der Mitte jener einfarbigen Flächen war die natür-
liche Stelle für eingerahmte Gemälde sowohl 1) als für einzelne Figu-
ren und Gruppen auf dem farbigen Grunde selbst; anderwärts treten
die Figuren als Bewohner der (gemalten) Baulichkeiten zwischen Säul-
chen und Balustraden auf. Die Landschaftbilder finden sich theils
ebenfalls in der Mitte der farbigen Flächen, theils vor die Baulichkei-
ten, oft sehr wunderlich, hingespannt.

Die gemalte Architektur ist eine von den Bedingungen des Stof-
fes befreite; wir wollen nicht sagen „vergeistigte“, weil der Zweck
doch nur ein leichtes, angenehmes Spiel ist, und weil die wahren
griechischen Bauformen einen ernsten und hohen Sinn haben, von
welchem hier gleichsam nur der flüchtige Schaum abgeschöpft wird.
Immerhin aber werden wir diese Decoratoren für die Art ihren Zweck
zu erreichen schätzen und bewundern. Sie hatten ganz recht, keine
wirklichen Architekturen mit wirklicher, auf Täuschung abgesehener
Linien- und Luftperspective abzubilden. Dergleichen wirkt, wie so
viele Beispiele im heutigen Italien zeigen, neben ächten Säulen und
Gebälken doch nur kümmerlich und verliert bei der geringsten Ver-
witterung allen Werth, während die idealen Architekturen dieser alten
Pompejaner, selbst mit ihrer abgeblassten Farbe, auf alle Jahrhunderte
Auge und Sinn erfreuen werden.

Säulchen, Gebälke und Giebel nämlich sind wie aus einem idea-
len Stoffe gebildet, bei welchem Kraft und Schwere, Tragen und Ge-
tragenwerden nur noch als Reminiscenz in Betracht kömmt 2). Die

1) Ob das Colorit dieser Gemälde wirklich in einem durchgehenden Verhältniss
stehe zu der rothen, grünen etc. Farbe des entsprechenden Wandstückes,
wage ich nicht zu entscheiden. Gerade die besten Gemälde haben durch die
Übertragung in das Museum von Neapel ihren Zusammenhang mit der Wand-
farbe eingebüsst.
2) Die reine gothische Decoration folgt hierin ganz andern Gesetzen; sie ist
fast durchgängig (an Wandzierrathen, Stühlen, selbst feinen Schmucksachen)
streng architektonisch gedacht und wiederholt überall ihre Nischen, Sockel,
Fenster, Streben, Pyramiden und Blumen im kleinsten Maassstab ähnlich wie
im grössten. Sie bedurfte jener besondern Erleichterung vom Stoffe nicht
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[60/0082] Decoration. Pompejanische Scenographie. Die ornamentale Durchführung und figürliche Belebung des Gan- zen ist nun eine sehr verschiedene, je nach dem Sinn des Bestellers und des Malers. In der Mitte jener einfarbigen Flächen war die natür- liche Stelle für eingerahmte Gemälde sowohl 1) als für einzelne Figu- ren und Gruppen auf dem farbigen Grunde selbst; anderwärts treten die Figuren als Bewohner der (gemalten) Baulichkeiten zwischen Säul- chen und Balustraden auf. Die Landschaftbilder finden sich theils ebenfalls in der Mitte der farbigen Flächen, theils vor die Baulichkei- ten, oft sehr wunderlich, hingespannt. Die gemalte Architektur ist eine von den Bedingungen des Stof- fes befreite; wir wollen nicht sagen „vergeistigte“, weil der Zweck doch nur ein leichtes, angenehmes Spiel ist, und weil die wahren griechischen Bauformen einen ernsten und hohen Sinn haben, von welchem hier gleichsam nur der flüchtige Schaum abgeschöpft wird. Immerhin aber werden wir diese Decoratoren für die Art ihren Zweck zu erreichen schätzen und bewundern. Sie hatten ganz recht, keine wirklichen Architekturen mit wirklicher, auf Täuschung abgesehener Linien- und Luftperspective abzubilden. Dergleichen wirkt, wie so viele Beispiele im heutigen Italien zeigen, neben ächten Säulen und Gebälken doch nur kümmerlich und verliert bei der geringsten Ver- witterung allen Werth, während die idealen Architekturen dieser alten Pompejaner, selbst mit ihrer abgeblassten Farbe, auf alle Jahrhunderte Auge und Sinn erfreuen werden. Säulchen, Gebälke und Giebel nämlich sind wie aus einem idea- len Stoffe gebildet, bei welchem Kraft und Schwere, Tragen und Ge- tragenwerden nur noch als Reminiscenz in Betracht kömmt 2). Die 1) Ob das Colorit dieser Gemälde wirklich in einem durchgehenden Verhältniss stehe zu der rothen, grünen etc. Farbe des entsprechenden Wandstückes, wage ich nicht zu entscheiden. Gerade die besten Gemälde haben durch die Übertragung in das Museum von Neapel ihren Zusammenhang mit der Wand- farbe eingebüsst. 2) Die reine gothische Decoration folgt hierin ganz andern Gesetzen; sie ist fast durchgängig (an Wandzierrathen, Stühlen, selbst feinen Schmucksachen) streng architektonisch gedacht und wiederholt überall ihre Nischen, Sockel, Fenster, Streben, Pyramiden und Blumen im kleinsten Maassstab ähnlich wie im grössten. Sie bedurfte jener besondern Erleichterung vom Stoffe nicht

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/82>, abgerufen am 04.12.2024.