Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen1), in wel- chen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) -- neben all diesem giebt es aucha sehr bunte und dumpfe Malereien. -- Immerhin hat Andrea zuerst von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissen- den Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen.
Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offen- bar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste ver- deckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine präch- tig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zu-b rück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinita; eine eifrigere und zusammenhängendere "heil. Conversation" als die der meisten Vene- zianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assun- ten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber auch noch grosse Schönheiten. -- In den heil. Familien (wovon ausser den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrerec besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuolid zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem inni- gern Verhältniss zu einander.
1) Welche davon ihn selber vorstellen, lassen wir dahingestellt. Dasjenige mit der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen.* Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau geben Einiges zu denken.
Porträts. Altarbilder. Madonnen.
Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen1), in wel- chen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) — neben all diesem giebt es aucha sehr bunte und dumpfe Malereien. — Immerhin hat Andrea zuerst von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissen- den Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen.
Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offen- bar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste ver- deckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine präch- tig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zu-b rück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinità; eine eifrigere und zusammenhängendere „heil. Conversation“ als die der meisten Vene- zianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assun- ten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber auch noch grosse Schönheiten. — In den heil. Familien (wovon ausser den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrerec besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuolid zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem inni- gern Verhältniss zu einander.
1) Welche davon ihn selber vorstellen, lassen wir dahingestellt. Dasjenige mit der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen.* Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau geben Einiges zu denken.
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Porträts. Altarbilder. Madonnen.
Pitti, neben den paar herrlichen einfachen Bildnissen 1), in wel-
chen Licht und Farbe und Charakter sich so vollkommen in Eins
verschmelzen (P. Pitti, Uffizien) — neben all diesem giebt es auch
sehr bunte und dumpfe Malereien. — Immerhin hat Andrea zuerst
von allen Florentinern eine sichere, harmonische Scala, eine tiefe, oft
leuchtende Durchsichtigkeit der Farben erreicht; er hat auch zuerst
der Farbe einen mitbestimmenden Einfluss auf die Composition des
Bildes gestattet. Seine Gewänder fallen nicht umsonst in so breiten
Flächen. Man muss dabei zugestehen, dass sie von einer hinreissen-
den Schönheit des Wurfes und des Contours sind und als vollkommener
Ausdruck des Lebens der Gestalten ganz absichtslos scheinen.
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Im Wesentlichen aber ist seine Composition ein eben so strenger
architektonischer Bau als die des Fra Bartolommeo, welchem er offen-
bar das Beste verdankte. Auch hier ist lauter durch Contraste ver-
deckte Symmetrie. Da er aber die Seele des Frate nicht hatte, so
bleibt bisweilen das Gerüste unausgefüllt. Wie weit steht seine präch-
tig gemalte Kreuzabnahme (P. Pitti) hinter der des Bartolommeo zu-
rück! Die Motive, in Linien und Farben classisch, sind geistig fast
null, ein unnützer Reichthum. Auch in der schönen Madonna mit den
vier Heiligen (ebenda) contrastiren die ungenügenden Charaktere mit
dem feierlichen Ganzen. Am meisten geistiges Leben zeigt unter den
Bildern des P. Pitti die Disputa della Trinità; eine eifrigere und
zusammenhängendere „heil. Conversation“ als die der meisten Vene-
zianer sind; zugleich ein Prachtbild ersten Ranges. Die grossen Assun-
ten sind beide spät, gleichen sich und haben viel Conventionelles, aber
auch noch grosse Schönheiten. — In den heil. Familien (wovon ausser
den florent. Sammlungen auch z. B. Pal. Borghese in Rom mehrere
besitzt; ein schönes und echtes Bild in S. Giacomo degli Spagnuoli
zu Neapel, rechts von der Hauptthür) fällt jene Seelenlosigkeit neben
den hohen malerischen Vorzügen oft ganz besonders auf; es ist, als
ständen die beiden Mütter und die beiden Kinder in gar keinem inni-
gern Verhältniss zu einander.
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1) Welche davon ihn selber vorstellen, lassen wir dahingestellt. Dasjenige mit
der Frau (P. Pitti) ist für die verhältnissmässig späte Zeit sehr befangen.
Die Verzeichnung in seiner Hand und das Unlebendige im Kopf der Frau
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 885. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/907>, abgerufen am 05.12.2024.
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