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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Rafael.
rechtkommen und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die
folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt lie-
genden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen.

Was in Rafaels Leben (1483--1520) als Glück gepriesen wird,
war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele,
eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter
den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines
Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino
und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend um-
geben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der
fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene,
sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeich-
nung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt
handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister
Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und
schön Geltenden über. -- Es ist als hätte Rafael das gar nicht ge-
merkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino's
(damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und er-
wärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des
Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino's eigener bes-
serer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen 1);
ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der
Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was diea
Richtung Perugino's vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch
reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das
begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! -- ab-
gesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt.
Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saalb
derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen

1) Diess bezieht sich besonders auf Rafaels Antheil an der Anbetung des neu-*
gebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph
unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna
können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. -- In der eben-
dort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts
ihm zugeschrieben. -- In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das**
Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.'s nach Perugino.

Rafael.
rechtkommen und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die
folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt lie-
genden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen.

Was in Rafaels Leben (1483—1520) als Glück gepriesen wird,
war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele,
eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter
den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines
Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino
und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend um-
geben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der
fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene,
sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeich-
nung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt
handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister
Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und
schön Geltenden über. — Es ist als hätte Rafael das gar nicht ge-
merkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino’s
(damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und er-
wärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des
Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino’s eigener bes-
serer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen 1);
ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der
Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was diea
Richtung Perugino’s vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch
reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das
begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! — ab-
gesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt.
Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saalb
derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen

1) Diess bezieht sich besonders auf Rafaels Antheil an der Anbetung des neu-*
gebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph
unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna
können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. — In der eben-
dort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts
ihm zugeschrieben. — In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das**
Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.’s nach Perugino.
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[891/0913] Rafael. rechtkommen und einen dauernden Eindruck mitnehmen kann. Die folgenden Andeutungen sollen auch nur die zum Theil versteckt lie- genden Bedingungen dieses Eindruckes klar machen helfen. Was in Rafaels Leben (1483—1520) als Glück gepriesen wird, war es nur für ihn, für eine so überaus starke und gesunde Seele, eine so normale Persönlichkeit wie die seinige. Andere konnten unter den gleichen Umständen zu Grunde gehen. Er kam bald nach seines Vaters Tode (Giov. Santi st. 1494) in die Schule des Pietro Perugino und arbeitete bei diesem bis etwa 1504. So war seine Jugend um- geben von lauter Bildern des gesteigerten Seelenausdruckes und der fast normalen Symmetrie. Die Schule konnte als eine zurückgebliebene, sehr unentwickelte gelten, sobald es sich um Vielseitigkeit der Zeich- nung und Composition, um das Studium der ganzen Menschengestalt handelte, und selbst der Ausdruck ging gerade damals bei Meister Perugino in eine handwerksmässige Wiederholung des für innig und schön Geltenden über. — Es ist als hätte Rafael das gar nicht ge- merkt. Mit dem wunderbarsten Kinderglauben geht er auf Perugino’s (damals schon nur scheinbare) Gefühlsweise ein und belebt und er- wärmt das erkaltende Wesen. Wo er als Gehülfe in die Bilder des Meisters hineinmalt, glaubt man die Züge aus Perugino’s eigener bes- serer Jugend zu erkennen, so wie er immer hätte malen sollen 1); ebenso verhält es sich mit Rafaels eigenen frühern Arbeiten. In der Krönung Mariä (vatican. Galerie) tritt erst zu Tage, was die Richtung Perugino’s vermochte; wie ganz anders, wie viel himmlisch reiner giebt hier Rafael die süsse Andacht, die schöne Jugend, das begeisterte Alter wieder, als diess der Meister je gethan hat! — ab- gesehen davon, dass er schon ungleich reiner zeichnet und drapirt. Die kleinen Predellenbilder dieses Altarblattes, in einem andern Saal derselben Galerie, zeigen schon beinahe florentinisch freie Formen a b 1) Diess bezieht sich besonders auf Rafaels Antheil an der Anbetung des neu- gebornen Kindes in der vatican. Galerie. Hier wird der Kopf des Joseph unbedingt als sein Werk betrachtet; die Köpfe der Engel und der Madonna können wohl nur entweder von ihm oder von Spagna sein. — In der eben- dort befindlichen Auferstehung wird wenigstens der schlafende Jüngling rechts ihm zugeschrieben. — In der Sacristei von S. Pietro zu Perugia ist der das Christuskind liebkosende Johannes eine Copie R.’s nach Perugino.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 891. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/913>, abgerufen am 05.12.2024.