aund Erzählungsweise. -- Auch in der Vermählung Mariä (Mai- land, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ce- remonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund (mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kin- derspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss bfinden als auf mehrern Kupferstichen.) -- Die kleine Madonna im Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leich- terer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Früh- lingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das Vergleichen 1). Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten der- selben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren speci- fischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als irgend einer seiner Schulgenossen.
Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen cwill, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt ge- wöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und
1)*Die Bilder in S. Trinita zu Citta di Castello (Dreieinigkeit, und Schöpfung der Eva), -- sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, -- die Madonna im Hause Alfani zu Perugia, -- und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat der Verf. nicht gesehen. -- Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als Werk eines Mitschülers.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
aund Erzählungsweise. — Auch in der Vermählung Mariä (Mai- land, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ce- remonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund (mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kin- derspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss bfinden als auf mehrern Kupferstichen.) — Die kleine Madonna im Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leich- terer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Früh- lingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das Vergleichen 1). Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten der- selben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren speci- fischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als irgend einer seiner Schulgenossen.
Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen cwill, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt ge- wöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und
1)*Die Bilder in S. Trinità zu Città di Castello (Dreieinigkeit, und Schöpfung der Eva), — sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, — die Madonna im Hause Alfani zu Perugia, — und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat der Verf. nicht gesehen. — Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als Werk eines Mitschülers.
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[892/0914]
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
und Erzählungsweise. — Auch in der Vermählung Mariä (Mai-
land, Brera), mit dem Datum 1504, geht R. über die Composition
seiner Schule weit hinaus; die vollkommenste Symmetrie wird durch
die schönsten Contraste malerisch aufgehoben; die Momente der Ce-
remonie und die der Bewegung (in den stabbrechenden Freiern), die
belebte Gruppe und der ernste, hohe architektonische Hintergrund
(mit welchem andere Peruginer, wie z. B. Pinturicchio, so viel Kin-
derspiel trieben) geben zusammen ein schon fast rein harmonisches
Ganzes. (Den Ausdruck der Köpfe wird man vielleicht weniger süss
finden als auf mehrern Kupferstichen.) — Die kleine Madonna im
Palazzo Connestabile zu Perugia, eines der ersten Juwelen der
Miniaturmalerei, ist besser im Rund gedacht und von schönerer, leich-
terer Haltung als irgend ein ähnliches Bild der Schule; über dem
vollkommenen Zauber der beiden Figuren und der reizenden Früh-
lingslandschaft mit den beschneiten Bergen vergisst man allerdings das
Vergleichen 1). Man kann sagen, dass Rafael, als er gegen Ende des
Jahres 1504 diese Schule verliess, nicht nur alle gesunden Seiten der-
selben völlig in sich aufgenommen hatte, sondern überhaupt ihren speci-
fischen Geist weit reiner und höher in seinen Werken darstellte, als
irgend einer seiner Schulgenossen.
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Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick
der Sammelpunkt der grössten Künstler Italiens war; Michelangelo
und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Cartons die
höchsten Wunder der historischen Composition; es war ein grosser
Moment der Kunstgährung. Wer sich davon einen Begriff machen
will, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten
Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt ge-
wöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und
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1) Die Bilder in S. Trinità zu Città di Castello (Dreieinigkeit, und Schöpfung
der Eva), — sowie das Crucifix mit den 4 Heiligen, welches noch bei den
Erben des Card. Fesch in Rom sein soll, — die Madonna im Hause Alfani
zu Perugia, — und den Christus am Ölberg im Pal. Gabrielli zu Rom hat
der Verf. nicht gesehen. — Die Madonna im Hause Staffa zu Perugia gilt als
Werk eines Mitschülers.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 892. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/914>, abgerufen am 05.12.2024.
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