in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu gedenken. Rafael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen) nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste darin findet, so muss diess andere Gründe haben.
Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in dera Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe, durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird viel- leicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesent- liche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster Maassen das Bestimmende ist.
Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte Belle Jardiniere im Louvre.
Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal.b Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; spä- ter, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt. Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo's III, dasselbe etwa um 1700 durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände), die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links (S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu com- ponirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen
Madonnen seiner spätern florentinischen Zeit.
in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu gedenken. Rafael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen) nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste darin findet, so muss diess andere Gründe haben.
Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in dera Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe, durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird viel- leicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesent- liche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster Maassen das Bestimmende ist.
Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte Belle Jardinière im Louvre.
Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal.b Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; spä- ter, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt. Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo’s III, dasselbe etwa um 1700 durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände), die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links (S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu com- ponirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen
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Madonnen seiner spätern florentinischen Zeit.
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Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen
Ernst der Form, welcher ihn von allen bloss zufälligen Zügen des
Lebens fern hielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr
sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern
auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen)
nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste
darin findet, so muss diess andere Gründe haben.
Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in der
Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del
pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach rafaelischen
Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe,
durch das Überreichen des Hänflings mässig belebt; man wird viel-
leicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen
Werth des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja
vielleicht verloren gehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie
der einzelnen Theile in Form und Farbe. Bei Rafael wirkt immer
das Einzelne so stark und unmittelbar, dass man darin das Wesent-
liche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewusster
Maassen das Bestimmende ist.
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Die höhere Stufe der Mad. del Cardellino ist dann die bekannte
Belle Jardinière im Louvre.
Ein Räthsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal.
Pitti. Rafael liess sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; spä-
ter, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit
zuwandte, wurde, man weiss nicht durch wen, daran weiter gemalt.
Endlich liess Ferdinand, Sohn Cosimo’s III, dasselbe etwa um 1700
durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung
versehen, hauptsächlich mittelst brauner Lasuren. Die ungemein schöne
Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände),
die im grossartigen Styl des Frate zusammengestellten Figuren links
(S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Rafael an; vielleicht auch
der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen
möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu com-
ponirt sein. Die beiden köstlich improvisirten Putten an den Stufen
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 895. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/917>, abgerufen am 05.12.2024.
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