alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen, nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galeriea gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bil- des; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Reveil de l'enfant1)b im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth die- ses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt, hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung.
Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches er- scheinen.
Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sediac (Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.
Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz vond Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zu- sieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Re-
1) Der Name passt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröh- lich an dem Schleier der Mutter.
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Madonnen der römischen Zeit.
alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen, nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galeriea gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bil- des; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l’enfant1)b im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth die- ses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt, hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung.
Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches er- scheinen.
Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sediac (Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.
Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz vond Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zu- sieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Re-
1) Der Name passt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröh- lich an dem Schleier der Mutter.
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Madonnen der römischen Zeit.
alte Copie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen,
nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galerie
gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bil-
des; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l’enfant 1)
im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England
befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmuth die-
ses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt,
hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen
und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang
der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtvertheilung.
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Kein einziges dieser Bilder giebt durch direkte Andeutungen zu
erkennen, dass die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste
Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das
Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden
wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von
selbst und ohne alle Zuthaten als etwas Ewiges und Göttliches er-
scheinen.
Und nun stimmt sich Rafael einmal herab und malt vielleicht nur
die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sedia
(Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht
wieder so erreichten Composition im Rund wirkt hier der Ausdruck
des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz
besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.
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Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es
scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz von
Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne
andere gute Schulcopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei
enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das
Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf
einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zu-
sieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren
meist kaum unter Lebensgrösse. Es ist eine häusliche Scene, aber
gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Re-
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1) Der Name passt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröh-
lich an dem Schleier der Mutter.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/921>, abgerufen am 05.12.2024.
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