Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um,
so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver-
schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus-
druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel-
kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg-
nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf
welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie
blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht
aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den
vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von die-
ser
Willkür! -- Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab-
theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig-
afach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns
Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)

Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in
deiner Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der
Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die
weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme
Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in
den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi-
sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die
Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne
über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik
substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch
sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös
interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes
ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade
für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen
Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus,
innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift
in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har-
monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen
dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie-
den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich
theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier
Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um,
so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver-
schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus-
druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel-
kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg-
nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf
welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie
blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht
aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den
vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von die-
ser
Willkür! — Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab-
theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig-
afach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns
Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)

Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in
deiner Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der
Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die
weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme
Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in
den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi-
sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die
Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne
über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik
substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch
sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös
interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes
ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade
für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen
Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus,
innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift
in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har-
monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen
dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie-
den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich
theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier
Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0926" n="904"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.</hi></fw><lb/>
Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um,<lb/>
so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver-<lb/>
schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus-<lb/>
druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel-<lb/>
kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg-<lb/>
nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf<lb/>
welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie<lb/>
blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht<lb/>
aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den<lb/>
vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von <hi rendition="#g">die-<lb/>
ser</hi> Willkür! &#x2014; Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab-<lb/>
theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig-<lb/><note place="left">a</note>fach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns<lb/>
Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)</p><lb/>
        <p>Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in<lb/><note place="left">d</note>einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. <hi rendition="#g">Cäcilia</hi> (in der<lb/>
Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die<lb/>
weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme<lb/>
Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in<lb/>
den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi-<lb/>
sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die<lb/>
Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne<lb/>
über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik<lb/>
substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch<lb/>
sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös<lb/>
interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes<lb/>
ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade<lb/>
für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen<lb/>
Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus,<lb/>
innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift<lb/>
in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har-<lb/>
monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen<lb/>
dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie-<lb/>
den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich<lb/>
theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier<lb/>
Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[904/0926] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael. Gegenstand und bildete ihn im Geiste der grossartigsten Schönheit um, so weit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Ver- schiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Aus- druck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engel- kindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Seg- nens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf welche seine Füsse sinken, sind bloss geschickt hinzugeordnet; sie blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den vier Sinnbildern willkürlich nennen; hätten wir aber nur viel von die- ser Willkür! — Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Ab- theilungen der Loggien fallen. (Das florent. Exemplar wird mannig- fach angezweifelt, dasjenige welches 1852 im Besitz des Capitäns Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.) a Das zweite Werk giebt das Übernatürliche durch Spiegelung in einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte h. Cäcilia (in der Pinacothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; Alles lauscht dem oben in den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvi- sirten, obern Gruppe gab Rafael den Gesang, dessen Sieg über die Instrumente hier dem an sich unmalbaren Sieg himmlischer Töne über die irdischen mit einer wiederum bewundernswerthen Symbolik substituirt wird. Cäcilia ist mit grosser Weisheit als reiche, auch sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus, innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift in seiner Hand deutet an, dass in Gegenwart der himmlischen Har- monien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschie- den erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich theilnahmlos gebildet, um die leise Scala des Ausdruckes in den vier Übrigen dem Beschauer recht zum Bewusstsein zu bringen, übrigens d

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/926
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 904. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/926>, abgerufen am 05.12.2024.