letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu be- wältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht an- ders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von "Abfall" redet, kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schau- spiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte. Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die "Manier" wartet schon vor der Thür.
Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es ist möglich, dass Cardinal Giulio de' Medici nichts verlangte als einen Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten Bilde (S. 882, c) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Ge- schichte von dem besessenen Knaben -- welch ein Augenblick mochte das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider Scenen aufging!
Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und An- derer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwi- schen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjeni- gen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historien- maler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts we- niger als sparsam mit Bildnissfiguren.
Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen: Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna dera Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes, dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.'s eigene Arbeit sich erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht ver- stehen lernt.
Transfiguration. Porträts der römischen Zeit.
letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu be- wältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht an- ders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von „Abfall“ redet, kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schau- spiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte. Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die „Manier“ wartet schon vor der Thür.
Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es ist möglich, dass Cardinal Giulio de’ Medici nichts verlangte als einen Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten Bilde (S. 882, c) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Ge- schichte von dem besessenen Knaben — welch ein Augenblick mochte das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider Scenen aufging!
Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und An- derer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwi- schen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjeni- gen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historien- maler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts we- niger als sparsam mit Bildnissfiguren.
Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen: Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna dera Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes, dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.’s eigene Arbeit sich erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht ver- stehen lernt.
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letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu be-
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ders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von „Abfall“ redet,
kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig grosse Schau-
spiel, wie Rafael sich als Künstler consequent ausbildet, ist schon an
sich mehr werth, als irgend ein Verharren auf einer bestimmten Stufe
des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprincip der Disputa, sein könnte.
Und überdiess verharrt man nicht ungestraft; die „Manier“ wartet schon
vor der Thür.
Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es
ist möglich, dass Cardinal Giulio de’ Medici nichts verlangte als einen
Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und dass Rafael alles
Übrige hinzuthat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten
Bilde (S. 882, c) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken
als den Auferstandenen dargestellt; Rafael stieg eine Stufe höher und
gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Ge-
schichte von dem besessenen Knaben — welch ein Augenblick mochte
das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider
Scenen aufging!
Die Porträts der römischen Zeit Rafaels bilden eine Reihe
ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck und An-
derer, welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwi-
schen den grössten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in
der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjeni-
gen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historien-
maler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts we-
niger als sparsam mit Bildnissfiguren.
Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen:
Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna der
Uffizien gilt als alte Copie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes,
dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch R.’s eigene Arbeit sich
erklären lässt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und
in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, dass man die
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 907. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/929>, abgerufen am 05.12.2024.
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