Leo X, mit den Cardinälen de' Rossi und Giulio Medici. (Im aPalazzo Pitti. -- Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori- ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der Charakter Leo's X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür- dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni- sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke, Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak- teristik.
b
Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk- liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür- digkeit eine Parallele zu Van Dyck's Cardinal Bentivoglio (ebenda), welcher bei weitem absichtlicher erscheint.
c
Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher. (Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens 1) gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son- dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt- heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.
d
"Bartolus und Baldus", richtiger: Navagero und Beazzano (Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen, wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb-
1) Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den tiefsten Schatten.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Leo X, mit den Cardinälen de’ Rossi und Giulio Medici. (Im aPalazzo Pitti. — Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori- ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der Charakter Leo’s X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür- dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni- sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke, Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak- teristik.
b
Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk- liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür- digkeit eine Parallele zu Van Dyck’s Cardinal Bentivoglio (ebenda), welcher bei weitem absichtlicher erscheint.
c
Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher. (Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens 1) gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son- dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt- heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.
d
„Bartolus und Baldus“, richtiger: Navagero und Beazzano (Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen, wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb-
1) Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den tiefsten Schatten.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0930"n="908"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#g">Leo</hi> X, mit den Cardinälen de’ Rossi und Giulio Medici. (Im<lb/><noteplace="left">a</note>Palazzo Pitti. — Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von<lb/>
Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori-<lb/>
ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder<lb/>
Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche<lb/>
Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein<lb/>
scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch<lb/>
zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der<lb/>
Charakter Leo’s X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür-<lb/>
dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und<lb/>
Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni-<lb/>
sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke,<lb/>
Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak-<lb/>
teristik.</p><lb/><noteplace="left">b</note><p><hirendition="#g">Cardinal Bibbiena</hi> (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk-<lb/>
liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür-<lb/>
digkeit eine Parallele zu Van Dyck’s Cardinal Bentivoglio (ebenda),<lb/>
welcher bei weitem absichtlicher erscheint.</p><lb/><noteplace="left">c</note><p><hirendition="#g">Fedra Inghirami</hi>, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher.<lb/>
(Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle<lb/>
Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens <noteplace="foot"n="1)">Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den<lb/>
tiefsten Schatten.</note><lb/>
gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son-<lb/>
dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das<lb/>
geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt-<lb/>
heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen<lb/>
Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus<lb/>
der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.</p><lb/><noteplace="left">d</note><p><hirendition="#g">„Bartolus und Baldus“</hi>, richtiger: Navagero und Beazzano<lb/>
(Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf<lb/>
Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte<lb/>
zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen,<lb/>
wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für<lb/>
einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[908/0930]
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
Leo X, mit den Cardinälen de’ Rossi und Giulio Medici. (Im
Palazzo Pitti. — Die Copie des Andrea del Sarto im Museum von
Neapel, vgl. S. 898 a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Ori-
ginal ausgegeben, während ausserhalb Neapels schon längst jeder
Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche
Grösse, sodass z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein
scheinen, als sie im Verhältniss gemeint sind. Die Begleitung durch
zwei Cardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der
Charakter Leo’s X hier und in den Fresken gewährt eine merkwür-
dige Parallele, was auch für Julius II gilt. Durch Lichtwechsel und
Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Roth eine ganz harmoni-
sche Scala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zuthaten (Glocke,
Buch, Vergrösserungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charak-
teristik.
a
Cardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränk-
liche grossartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswür-
digkeit eine Parallele zu Van Dyck’s Cardinal Bentivoglio (ebenda),
welcher bei weitem absichtlicher erscheint.
Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Alterthumsforscher.
(Pal. Pitti.) Der Thersites Rafaels; gegenwärtig würde er wie alle
Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des Schielens 1)
gemalt werden; Rafael aber umging das Charakteristische nicht, son-
dern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das
geistige Forschen auszudrücken im Stande war. Die starke Beleibt-
heit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen
Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal collegialischer Achtung, aus
der Zeit, als R. die römischen Alterthümer studirte.
„Bartolus und Baldus“, richtiger: Navagero und Beazzano
(Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf
Einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte
zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen,
wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für
einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den üb-
1) Guercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den
tiefsten Schatten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 908. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/930>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.