wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal un- mittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio be- durft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte.
Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollstän- digen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht, für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste, wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta's Werk; ihre Erfindung wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. -- Rafael ge- dachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand aus- geführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher An- blick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911), bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten beiden Allegorien beweisen.
Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des Tommaso Laureti.
Die Erscheinung des Kreuzes, mit welcher wir beginnen, ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein überzeugen.
Dagegen ist die Schlacht Constantins, in Giulio's hier vor- züglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels. Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reiter- gewirr mit Farbencontrasten und Pulverdampf, welches nur Leben und verzweifelte Bewegung giebt, wie bei Salvator Rosa und Bour-
Stanza dell’ Incendio. Sala di Costantino.
wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal un- mittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio be- durft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte.
Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollstän- digen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht, für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste, wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta’s Werk; ihre Erfindung wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. — Rafael ge- dachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand aus- geführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher An- blick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911), bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten beiden Allegorien beweisen.
Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des Tommaso Laureti.
Die Erscheinung des Kreuzes, mit welcher wir beginnen, ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein überzeugen.
Dagegen ist die Schlacht Constantins, in Giulio’s hier vor- züglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels. Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reiter- gewirr mit Farbencontrasten und Pulverdampf, welches nur Leben und verzweifelte Bewegung giebt, wie bei Salvator Rosa und Bour-
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Stanza dell’ Incendio. Sala di Costantino.
wieder höher fassen, und das Weltgeschichtliche endlich einmal un-
mittelbar geben. So kam der erste aller Historienmaler gegen Ende
seines Lebens an die direct geschichtlichen und durch die Zeitentfernung
dennoch idealen Aufgaben. Vielleicht hatte es dazu des Incendio be-
durft, in welchem er den Papst in den Hintergrund verwiesen hatte.
Rafael fertigte, wie es scheint, ausser einem nicht ganz vollstän-
digen Entwurf für das Ganze des Saales, die Cartons für die Schlacht,
für die Taufe und für die Schenkung Constantins; sodann für vielleicht
sämmtliche Tugenden und theilweise auch für die heiligen Päpste,
wenn nicht für alle. Von der Decke gehört ihm nichts und von der
Fensterwand nur ein Theil an. Die Sockelbilder, zum Theil sehr
schön gedacht, sind jetzt wesentlich Maratta’s Werk; ihre Erfindung
wurde schon vor 200 Jahren dem Giulio zugeschrieben. — Rafael ge-
dachte Alles in Öl, nicht al Fresco zu malen. Von seiner Hand aus-
geführt, im Augenblick der Vollendung, wäre diess ein herrlicher An-
blick gewesen; gewiss hätte er die verschiedenen Gattungen der Bilder
auf das Bedeutungsvollste im Ton auseinander gehalten. Allein mit
der Zeit wäre vieles nachgedunkelt, wie die schon erwähnten (S. 911),
bald nach seinem Tode und gewiss nach seiner Absicht ausgeführten
beiden Allegorien beweisen.
Die Ausführung des jetzt Vorhandenen gehört wesentlich dem
Giulio Romano; von Franccsco Penni rührt die Taufe, von Raffaelle
dal Colle die Schenkung her. Die Decke ist eine späte Arbeit des
Tommaso Laureti.
Die Erscheinung des Kreuzes, mit welcher wir beginnen,
ist wohl nicht von Rafael entworfen. Die Gruppe der Soldaten ist
sehr ungescheut aus dem Sturm auf Jericho in der zehnten Arcade
der Loggien entlehnt und das Übrige, zum Theil ziemlich frivol, dazu
componirt (z. B. der Zwerg). Man möge sich durch den Augenschein
überzeugen.
Dagegen ist die Schlacht Constantins, in Giulio’s hier vor-
züglicher Ausführung, eines der grössten Lebensresultate Rafaels.
Man setze sich nur zuerst darüber ins Klare, was dieses Schlachtbild
sollte. Die Phantasie wird gewiss rascher aufgeregt durch ein Reiter-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 923. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/945>, abgerufen am 05.12.2024.
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