das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Überna- türliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht, sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte ge- rade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Grie- chen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anord- nung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symme- trie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.'s und vielleicht wird es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers gewinnen.
Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi,a im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgear- beiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lan- terna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals haupt- sächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewun- dernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leiden- schaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib her- vorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht anders sein.
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Tapeten der zweiten Reihe. Sibyllen. Cap. Chigi.
das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Überna- türliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht, sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte ge- rade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Grie- chen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anord- nung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symme- trie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.’s und vielleicht wird es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers gewinnen.
Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi,a im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgear- beiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lan- terna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals haupt- sächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewun- dernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leiden- schaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib her- vorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht anders sein.
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Tapeten der zweiten Reihe. Sibyllen. Cap. Chigi.
das Alterthum in seinen Musen ganz anders gestellt hatte, gehört hier
der Symbolik des Mittelalters an, ebenso die Motivirung durch die
Engel. Michelangelo war hievon abgegangen und hatte das Überna-
türliche ganz in der Gestalt der Sibyllen selbst zu concentriren gesucht,
sodass ihnen die Putten nur als Begleitung und Gefolge dienen; später
liessen Guercin und Domenichino die Engel ganz weg und ihre Sibylle
sehnt sich einsam aus dem Bilde hinaus. Rafael dagegen drückte ge-
rade in der Verbindung der Sibyllen mit den Engeln den schönsten
Enthusiasmus des Verkündens und Erkennens aus. Man bemerkt lange
nicht, dass die Engel von kleinerm Massstabe sind; wie etwa die Grie-
chen den Herold kleiner als den Helden bilden mochten. Die Anord-
nung im Raum, die durchgehende und so schön aufgehobene Symme-
trie, die Bildung der Formen und Charaktere verleihen diesem Werk
eine Stelle unter den allergrössten Leistungen R.’s und vielleicht wird
es von all seinen Fresken am frühsten die Vorliebe des Beschauers
gewinnen.
Im Jahr 1516 erbaute und schmückte R. die Capella Chigi,
im linken Seitenschiff von S. Maria del popolo; nach seinen Cartons
fertigte damals ein Venezianer, Maestro Luisaccio, die Mosaiken der
Kuppel. (Sie gehören als venezian. Mosaiken nicht zu den bestgear-
beiteten dieser Zeit.) Der segnende Gottvater mit Engeln, in der Lan-
terna, zeigt das bedenkliche Verkürzungssystem, welches damals haupt-
sächlich durch Coreggio aufkam, in seiner edelsten Äusserung. Ringsum
sind die sieben Planeten und (als achte Sphäre) der Fixsternhimmel
unter dem Schutz und der Leitung göttlicher Boten dargestellt. Hier
treffen Mythologie und christliche Symbolik auf einander; bewun-
dernswürdig hat R. ihre Gestalten im Charakter geschieden und in der
Handlung verbunden. Die Planetengötter gewaltig, befangen, leiden-
schaftlich; die Engel abwehrend und ruhig waltend. Die Anordnung
im Raum, sodass z. B. die Planetengötter nur mit dem Oberleib her-
vorragen, ist der Aufgabe so angemessen, als könnte sie gar nicht
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 931. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/953>, abgerufen am 05.12.2024.
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