äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum unda gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehrb den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.);c wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna's. -- (Das grosse Bild Fungai's im Carmine, Madonna mit Heiligen, vomd Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.)
Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren, sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il Sodoma (1479--1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, frucht- bringende Richtung gab.
Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo's gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahmee in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farben- glanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehr- maligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten.
Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Far-f nesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius, das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem
B. Cicerone. 60
Fungai. Sodoma.
äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum unda gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehrb den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.);c wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna’s. — (Das grosse Bild Fungai’s im Carmine, Madonna mit Heiligen, vomd Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.)
Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren, sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il Sodoma (1479—1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, frucht- bringende Richtung gab.
Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo’s gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahmee in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farben- glanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehr- maligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten.
Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Far-f nesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius, das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem
B. Cicerone. 60
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Fungai. Sodoma.
äusserlichen Manieren; seine Bilder in der Academie (3. Raum und
gr. Saal) sind noch sienesisch befangen; die Krönung Mariä mit vier
Heiligen in der Kirche Fontegiusta (rechts) nähert sich schon mehr
den Umbriern und den Florentinern; die Lunette über dem Hochaltar
ebenda, Mariä Himmelfahrt, hat bereits in den musicirenden Engeln
Einzelnes von hoher Schönheit; endlich lebt der Meister weiter in
einem Bilde seines Schülers Pacchiarotto (S. Spirito, 3. Cap. 1.);
wiederum eine Krönung Mariä, unten drei knieende Heilige, schön
und andächtig, ernst und gemessen wie die Heiligen Spagna’s. —
(Das grosse Bild Fungai’s im Carmine, Madonna mit Heiligen, vom
Jahr 1512, hat der Verf. nicht gesehen.)
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Allein die dauernde Hülfe konnte der Schule nicht durch Meister
des passiven Ausdruckes kommen, wie die meisten Peruginer waren,
sondern nur durch Theilnahme an der grossen Historienmalerei, die
damals durch ganz Italien ihre Triumphe feierte. Und zwar sollte
es ein Lombarde sein, Antonio Razzi von Vercelli, genannt il
Sodoma (1479—1554), welcher dem Geiste der sienesischen Schule
für lange, ja auf mehr als ein Jahrhundert hin eine neue, frucht-
bringende Richtung gab.
Sodoma hatte sich bei den mailändischen Schülern Leonardo’s
gebildet (wie denn noch sein frühstes Bild in Siena, die Kreuzabnahme
in S. Francesco, rechts, vom Jahr 1513, durch Auffassung und Farben-
glanz einigermassen an Gaudenzio Ferrari erinnert); später bei mehr-
maligem Aufenthalt in Rom nahm er, wie es scheint, den Eindruck
Rafaels nachhaltiger in sich auf als die meisten von dessen Schülern
und bewahrte denselben als diese ihn schon längst vergessen hatten.
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Sein Genius hatte allerdings bestimmte Schranken, über welche
er nie hinauskam. Ganz erfüllt von der Schönheit der menschlichen
Gestalt, die er in rafaelisch anmuthigen Kinderfiguren (Putten) wie
in Personen jedes Alters nackt oder bekleidet auf das grossartigste
darzustellen wusste, besass er kein Auge für das Mass der historischen
Composition. Er füllte seine Räume dergestalt mit Motiven jedes
Grades an, dass immer eines das andere verdrängt oder aufhebt. So
ist von den beiden grossen Fresken im zweiten obern Saal der Far-
nesina zu Rom, Alexander mit Roxane, und die Familie des Darius,
das erstere durch Überreichthum an Schönheiten, das letztere zudem
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 945. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/967>, abgerufen am 05.12.2024.
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