Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
Gesange, in einer Landschaft. -- (Ebenda, noch ungleich befangener,
aeine Dame in hellem Kleid und Toque.) -- Im Pal. Borghese: Saul
mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen
scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte
David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein-
zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte
bVorläufer Rembrandts. -- Eine geringere Inspiration ähnlicher Art:
der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. -- Im Pal.
cPitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani-
sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. -- Ebenda: das
Concert
, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige
Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er-
dscheinend. -- (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.)
-- Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel.

e

Eigentliche Porträts: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst
adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini's
und Tizian's nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar,
fden blossen Hals etc. -- Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua),
ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. -- (Das Porträt welches im Pal.
gSpada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.)

Die Hälfte der Werke G.'s befindet sich im Auslande, darunter
hauch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian
(Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener-
gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen
trefflich lebendig entwickelt. -- Dagegen besitzt Italien noch einige
"Novellenbilder" von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die
biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht
gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen
und farbenschönen Daseins entstanden sind. -- Drei frühe kleine Bild-
ichen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju-
gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130)
und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle
noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk-
würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird
zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem
Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
Gesange, in einer Landschaft. — (Ebenda, noch ungleich befangener,
aeine Dame in hellem Kleid und Toque.) — Im Pal. Borghese: Saul
mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen
scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte
David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein-
zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte
bVorläufer Rembrandts. — Eine geringere Inspiration ähnlicher Art:
der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. — Im Pal.
cPitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani-
sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. — Ebenda: das
Concert
, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige
Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er-
dscheinend. — (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.)
— Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel.

e

Eigentliche Porträts: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst
adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini’s
und Tizian’s nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar,
fden blossen Hals etc. — Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua),
ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. — (Das Porträt welches im Pal.
gSpada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.)

Die Hälfte der Werke G.’s befindet sich im Auslande, darunter
hauch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian
(Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener-
gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen
trefflich lebendig entwickelt. — Dagegen besitzt Italien noch einige
„Novellenbilder“ von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die
biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht
gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen
und farbenschönen Daseins entstanden sind. — Drei frühe kleine Bild-
ichen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju-
gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130)
und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle
noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk-
würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird
zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem
Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0984" n="962"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.</hi></fw><lb/>
Gesange, in einer Landschaft. &#x2014; (Ebenda, noch ungleich befangener,<lb/><note place="left">a</note>eine Dame in hellem Kleid und Toque.) &#x2014; Im Pal. Borghese: Saul<lb/>
mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen<lb/>
scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte<lb/>
David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein-<lb/>
zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte<lb/><note place="left">b</note>Vorläufer Rembrandts. &#x2014; Eine geringere Inspiration ähnlicher Art:<lb/>
der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. &#x2014; Im Pal.<lb/><note place="left">c</note>Pitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani-<lb/>
sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. &#x2014; Ebenda: <hi rendition="#g">das<lb/>
Concert</hi>, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige<lb/>
Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er-<lb/><note place="left">d</note>scheinend. &#x2014; (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.)<lb/>
&#x2014; Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel.</p><lb/>
        <note place="left">e</note>
        <p>Eigentliche <hi rendition="#g">Porträts</hi>: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst<lb/>
adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini&#x2019;s<lb/>
und Tizian&#x2019;s nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar,<lb/><note place="left">f</note>den blossen Hals etc. &#x2014; Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua),<lb/>
ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. &#x2014; (Das Porträt welches im Pal.<lb/><note place="left">g</note>Spada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.)</p><lb/>
        <p>Die Hälfte der Werke G.&#x2019;s befindet sich im Auslande, darunter<lb/><note place="left">h</note>auch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. <hi rendition="#g">Sebastian</hi><lb/>
(Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener-<lb/>
gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen<lb/>
trefflich lebendig entwickelt. &#x2014; Dagegen besitzt Italien noch einige<lb/>
&#x201E;Novellenbilder&#x201C; von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die<lb/>
biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht<lb/>
gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen<lb/>
und farbenschönen Daseins entstanden sind. &#x2014; Drei frühe kleine Bild-<lb/><note place="left">i</note>chen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju-<lb/>
gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130)<lb/>
und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle<lb/>
noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk-<lb/>
würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird<lb/>
zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem<lb/>
Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[962/0984] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Gesange, in einer Landschaft. — (Ebenda, noch ungleich befangener, eine Dame in hellem Kleid und Toque.) — Im Pal. Borghese: Saul mit Goliaths Haupt, vor welchem sich der junge David zu entsetzen scheint; oder ist der so düster vor sich hinblickende Geharnischte David selbst und der Andere nur ein Knappe? Hier wo sich der Ein- zelcharakter so trotzig vor den Beschauer hinstellt, ist G. der rechte Vorläufer Rembrandts. — Eine geringere Inspiration ähnlicher Art: der Geharnischte mit seinem Knappen, in den Uffizien. — Im Pal. Pitti: Faun und Nymphe, die letztere ein eigenthümliches veneziani- sches Ideal, in der Zeichnung hie und da sorglos. — Ebenda: das Concert, vorzüglich anregend zu Vermuthungen über die geistige Entstehungsweise solcher Bilder; mit Wenigem unergründlich tief er- scheinend. — (Wiederholung oder Reminiscenz im Pal. Doria zu Rom.) — Ein Johannes d. T. im Pal. Pitti hängt zu dunkel. a b c d Eigentliche Porträts: der Johanniter (Uffizien), einer jener höchst adlichen venezianischen Köpfe, welche sich dem Christuskopf Bellini’s und Tizian’s nähern, auch äusserlich durch das gescheitelte lange Haar, den blossen Hals etc. — Franciscus Philetus (Pal. Brignole in Genua), ein vortreffliches Gelehrtenbildniss. — (Das Porträt welches im Pal. Spada zu Rom G. heisst, ist von einem andern trefflichen Venezianer.) f g Die Hälfte der Werke G.’s befindet sich im Auslande, darunter auch die wenigen Andachtsbilder, mit Ausnahme des S. Sebastian (Brera zu Mailand), einer in Stellung, Bildung und Farbe sehr ener- gischen und edeln Gestalt, die sich mit übers Haupt gebundenen Armen trefflich lebendig entwickelt. — Dagegen besitzt Italien noch einige „Novellenbilder“ von ihm. Wir dehnen diesen Namen auch über die biblischen Scenen aus, insofern dieselben nicht für Kirche und Andacht gemalt, sondern nur aus dem Drang nach Darstellung eines reichen und farbenschönen Daseins entstanden sind. — Drei frühe kleine Bild- chen in den Uffizien: das Urtheil Salomonis, eine Sage aus der Ju- gend des Moses (nach Ungers Berichtigung, Kunstbl. 1851, S. 130) und eine Anzahl von Heiligen auf einem Altan an einem See, alle noch mit paduanischer Härte und Glanz gemalt, zeigen auf merk- würdige Weise, wie dem Venezianer das Ereigniss der Vorwand wird zur Darstellung der blossen Existenz auf bedeutendem landschaftlichem Hintergrunde. Aus seiner spätern, goldenen Zeit stammt dann die h i

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/984
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 962. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/984>, abgerufen am 17.07.2024.