schreitet auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Co- reggio, dessen Grablegung (S. 955, a) nur in der Darstellung des Lichtes und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian lange nicht erreicht. -- Die grosse Kreuzabnahme in der Academie, adas letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende bFarben. -- In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. -- Aber in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild csonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt).
Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung; wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit über- troffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Chri- stusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal, nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehen- den, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit.
d
Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, an- betend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung ebenfalls von hoher Vortrefflichkeit.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
schreitet auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Co- reggio, dessen Grablegung (S. 955, a) nur in der Darstellung des Lichtes und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian lange nicht erreicht. — Die grosse Kreuzabnahme in der Academie, adas letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende bFarben. — In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. — Aber in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild csonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt).
Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung; wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit über- troffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Chri- stusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal, nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehen- den, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit.
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Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, an- betend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung ebenfalls von hoher Vortrefflichkeit.
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[972/0994]
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
schreitet auch die Grenzen des edlern Ausdruckes wie z. B. bei Co-
reggio, dessen Grablegung (S. 955, a) nur in der Darstellung des Lichtes
und der Räumlichkeit einen Vorzug hat, im Wesentlichen aber Tizian
lange nicht erreicht. — Die grosse Kreuzabnahme in der Academie,
das letzte Bild desselben, zeigt in zerfliessenden Formen und etwas
gesetzlosen Linien noch einen wahren und grossen Affekt und glühende
Farben. — In der ebenfalls sehr späten Transfiguration (Hochaltar von
S. Salvatore) reichten allerdings die Kräfte nicht mehr aus. — Aber
in der Mitte seiner Laufbahn sammelte sich Tizian zu einem Altarbild
sonder Gleichen: Mariä Himmelfahrt (Academie, ehemals auf dem
Hochaltar der Frari; wegen dieser beträchtlich hohen Aufstellung sind
die Apostel schon etwas in der Untensicht dargestellt).
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Die untere Gruppe ist der wahrste Gluthausbruch der Begeisterung;
wie mächtig zieht es die Apostel, der Jungfrau nachzuschweben! in
einigen Köpfen verklärt sich der tizianische Charakter zu himmlischer
Schönheit. Oben, in dem jubelnden Reigen, ist von den erwachsenen
Engeln der welcher die Krone bringt, in ganzer, herrlicher Gestalt
gebildet; von den übrigen sieht man nur die überirdisch schönen
Köpfe, während die Putten in ganzer Figur, ebenfalls in ihrer Art
erhaben, dargestellt sind. Wenn Coreggio eingewirkt haben sollte, so
ist er doch hier an wahrer Himmelsfähigkeit der Gestalten weit über-
troffen. Der Gottvater ist von weniger idealem Typus als die Chri-
stusköpfe Tizians; vom Gürtel an verschwindet er in der Glorie, welche
die Jungfrau umstrahlt. Sie steht leicht und sicher auf den noch ideal,
nicht mathematisch wirklich gedachten Wolken; ihre Füsse sind ganz
sichtbar. Ihr rothes Gewand hebt sich ab von dem gewaltig wehen-
den, vorn geschürtzten dunkelblauen Mantel, ihr Haupt ist umwallt
von ganz mächtigen Haaren. Der Ausdruck aber ist eine der höchsten
Divinationen, um welche sich die Kunst glücklich zu preisen hat: die
letzten irdischen Bande springen; sie athmet Seligkeit.
Eine andere Assunta, im Dom von Verona, 1. Alt. l., ist ruhiger
gedacht; die Apostel an dem leeren Grabe schauen tief ergriffen, an-
betend der hier einsam Emporschwebenden nach. Die Durchführung
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 972. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/994>, abgerufen am 05.12.2024.
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