welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen, so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich belebt.
Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr Inhalt heroisch ist, -- und um so harmonischer, je mehr sie sich dem Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höch- sten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute Copie von "Bacchus und Ariadne" (wie man sagt, von Nic. Poussin)a findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.)b im Pal. Pitti. -- Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio's Leda, nämlich der Darstellung von Calisto's Schuld, sind mehrere eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schienc mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. -- Eine andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes, kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venusd sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien, Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Epi- sode idyllischen Waldlebens. -- Sodann im Pal. Borghese: das spätee Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farben- schön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amo- rin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt, während dem andern die Augen verbunden werden.
Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Vor- aussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von der- jenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aus- sprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poe- sie. Das eine: die drei Menschenalter, befindet sich, arg über-f
Tizian. Historien. Mythologische Bilder.
welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen, so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich belebt.
Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr Inhalt heroisch ist, — und um so harmonischer, je mehr sie sich dem Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höch- sten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute Copie von „Bacchus und Ariadne“ (wie man sagt, von Nic. Poussin)a findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.)b im Pal. Pitti. — Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio’s Leda, nämlich der Darstellung von Calisto’s Schuld, sind mehrere eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schienc mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. — Eine andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes, kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venusd sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien, Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Epi- sode idyllischen Waldlebens. — Sodann im Pal. Borghese: das spätee Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farben- schön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amo- rin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt, während dem andern die Augen verbunden werden.
Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Vor- aussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von der- jenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aus- sprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poe- sie. Das eine: die drei Menschenalter, befindet sich, arg über-f
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Tizian. Historien. Mythologische Bilder.
welches vielleicht Rubens die Anregung zu seiner Amazonenschlacht
eingab; einen dramatischen Hauptgedanken muss man hier nicht suchen,
so wenig als völlige historische Treue in dem theils antiken, theils
Lanzknechtscostum; allein das Ganze wie das Einzelne ist meisterlich
belebt.
Die mythologischen Darstellungen müssen in jedem mehr
realistischen als idealen Styl um so unharmonischer sein, je mehr ihr
Inhalt heroisch ist, — und um so harmonischer, je mehr sie sich dem
Idyllischen, dem Pastoralen nähern. Tizian scheint diess klarer als die
meisten Zeitgenossen empfunden zu haben. Sein Hauptgegenstand sind
Bacchanalien, in welchen das schöne und selbst üppige Dasein die höch-
sten Momente feiert. Die Originale sind in London und Madrid. Eine gute
Copie von „Bacchus und Ariadne“ (wie man sagt, von Nic. Poussin)
findet man bei Camuccini in Rom, eine Episode daraus (angeblich von
Tizian selbst, aber eher von einem Nichtvenezianer des XVII. Jahrh.)
im Pal. Pitti. — Von einem berühmten Bilde im Geist von Coreggio’s
Leda, nämlich der Darstellung von Calisto’s Schuld, sind mehrere
eigenhändige Exemplare in Europa zerstreut; auch dasjenige in der
Academia di S. Luca zu Rom, woran etwa ein Drittheil fehlt, schien
mir (bei flüchtiger Betrachtung) ein schönes Originalwerk. — Eine
andere vielverbreitete Composition ist wenigstens durch ein spätes,
kleines, doch schönes Exemplar bei Camuccini repräsentirt: Venus
sucht den zur Jagd eilenden Adonis zurückzuhalten; ein in Linien,
Formen und Farben vorzüglicher Gedanke, zugleich eine rechte Epi-
sode idyllischen Waldlebens. — Sodann im Pal. Borghese: das späte
Halbfigurenbild der Ausrüstung Amors; wunderbar naiv und farben-
schön. Es ist nicht mythologisch, aber ganz poetisch, dass ein Amo-
rin schon für die Erlaubniss zum nächsten Ausflug gute Worte giebt,
während dem andern die Augen verbunden werden.
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Endlich hat Tizian ein paar Bilder ohne alle mythologische Vor-
aussetzung gemalt, blosse Allegorien wenn man will, aber von der-
jenigen seltenen Art, in welcher der allegorische Sinn, den man aus-
sprechen kann, sich ganz verliert neben einer unaussprechlichen Poe-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 975. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/997>, abgerufen am 05.12.2024.
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