Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
liche Zustand gegebener Menschen sei (von verschiedenen denkbaren
Zuständen), ist nicht eine andere Frage als die nach der gerechten
Ordnung ihres Zusammenlebens; denn zu jenem "gesellschaft-
lichen", "sozialen" Zustand gehört das Recht immer notwendig
auch. Und welches dieser gerechte Zustand, welches diese gerechte
Ordnung sei, das ist immer die Frage. Was wir betonen wollten ist
nur, daß man zur Beantwortung dieser Frage nicht die möglichen
abstrakten Rechtsgrundsätze miteinander vergleichen kann,
sondern diese Grundsätze zusammengehalten mit den gegebenen
tatsächlichen Voraussetzungen. Das Recht rechtfertigt sich nur
durch die Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Zustandes, den es
verwirklichen hilft und zu dem es gehört; es hat keinen anderen
Zweck, als gerecht zu sein. Die Gerechtigkeit eines gesellschaftlichen
Zustandes und des ihm zugrunde liegenden Rechtes läßt sich nicht
wiederum beweisen, so wenig wie sich beweisen läßt, daß das
Gerechte verbindlich ist und getan werden soll. Ob ein Recht der
Forderung des Gerechten genügt, läßt sich einsehen, wenn wir
es uns unter bestimmten Voraussetzungen angewendet denken
und den damit gegebenen Zustand mit anderen vergleichen; aber
beweisen läßt es sich nicht (vgl. unten S. 251 f.).

Wenn wir von einem Zweck des Staates sprechen, meinen
wir den Zweck der Zuständigkeitsordnung, die jede geltende
Rechtsordnung mit enthalten muß. Dieser Zweck ist, sagen wir,
das Verfahren zu bestimmen, in welchem jeweilen entschieden
wird, was im Grundsatz und im Einzelfall, rechtsverbindlich sein
soll, wie es erzwungen wird. Wie das Recht beschaffen sein soll,
ist hier nicht in Frage; es mag so oder anders lauten. Aber stets
ist es die Aufgabe der staatlichen Organisation, dafür zu sorgen,
daß das (nach den Umständen richtige) Recht geschaffen und
angewendet werde.

Damit ist die Frage nach dem Zweck des Staates in zwar
formaler, aber einheitlicher und einfacher Weise beantwortet.
Allein es bleibt eine Schwierigkeit ungelöst: Läßt sich die gesamte
Tätigkeit des Staates auf diesen einen Zweck der Rechtsver-
wirklichung zurückführen, also, konkreter gesprochen, darauf:
Gesetze zu machen und anzuwenden? Hat nicht der moderne
Staat sich noch eine Menge anderer Aufgaben außer dem "Rechts-
zweck" gestellt? Und wenn ja, ist diese Erweiterung seiner Tätig-

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
liche Zustand gegebener Menschen sei (von verschiedenen denkbaren
Zuständen), ist nicht eine andere Frage als die nach der gerechten
Ordnung ihres Zusammenlebens; denn zu jenem „gesellschaft-
lichen“, „sozialen“ Zustand gehört das Recht immer notwendig
auch. Und welches dieser gerechte Zustand, welches diese gerechte
Ordnung sei, das ist immer die Frage. Was wir betonen wollten ist
nur, daß man zur Beantwortung dieser Frage nicht die möglichen
abstrakten Rechtsgrundsätze miteinander vergleichen kann,
sondern diese Grundsätze zusammengehalten mit den gegebenen
tatsächlichen Voraussetzungen. Das Recht rechtfertigt sich nur
durch die Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Zustandes, den es
verwirklichen hilft und zu dem es gehört; es hat keinen anderen
Zweck, als gerecht zu sein. Die Gerechtigkeit eines gesellschaftlichen
Zustandes und des ihm zugrunde liegenden Rechtes läßt sich nicht
wiederum beweisen, so wenig wie sich beweisen läßt, daß das
Gerechte verbindlich ist und getan werden soll. Ob ein Recht der
Forderung des Gerechten genügt, läßt sich einsehen, wenn wir
es uns unter bestimmten Voraussetzungen angewendet denken
und den damit gegebenen Zustand mit anderen vergleichen; aber
beweisen läßt es sich nicht (vgl. unten S. 251 f.).

Wenn wir von einem Zweck des Staates sprechen, meinen
wir den Zweck der Zuständigkeitsordnung, die jede geltende
Rechtsordnung mit enthalten muß. Dieser Zweck ist, sagen wir,
das Verfahren zu bestimmen, in welchem jeweilen entschieden
wird, was im Grundsatz und im Einzelfall, rechtsverbindlich sein
soll, wie es erzwungen wird. Wie das Recht beschaffen sein soll,
ist hier nicht in Frage; es mag so oder anders lauten. Aber stets
ist es die Aufgabe der staatlichen Organisation, dafür zu sorgen,
daß das (nach den Umständen richtige) Recht geschaffen und
angewendet werde.

Damit ist die Frage nach dem Zweck des Staates in zwar
formaler, aber einheitlicher und einfacher Weise beantwortet.
Allein es bleibt eine Schwierigkeit ungelöst: Läßt sich die gesamte
Tätigkeit des Staates auf diesen einen Zweck der Rechtsver-
wirklichung zurückführen, also, konkreter gesprochen, darauf:
Gesetze zu machen und anzuwenden? Hat nicht der moderne
Staat sich noch eine Menge anderer Aufgaben außer dem „Rechts-
zweck“ gestellt? Und wenn ja, ist diese Erweiterung seiner Tätig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0147" n="132"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/>
liche Zustand gegebener Menschen sei (von verschiedenen denkbaren<lb/>
Zuständen), ist nicht eine <hi rendition="#g">andere</hi> Frage als die nach der gerechten<lb/>
Ordnung ihres Zusammenlebens; denn zu jenem &#x201E;gesellschaft-<lb/>
lichen&#x201C;, &#x201E;sozialen&#x201C; Zustand gehört das Recht immer notwendig<lb/>
auch. Und welches dieser gerechte Zustand, welches diese gerechte<lb/>
Ordnung sei, das ist immer die Frage. Was wir betonen wollten ist<lb/>
nur, daß man zur Beantwortung dieser Frage nicht die möglichen<lb/>
abstrakten Rechtsgrundsätze <hi rendition="#g">miteinander</hi> vergleichen kann,<lb/>
sondern diese Grundsätze zusammengehalten mit den gegebenen<lb/>
tatsächlichen Voraussetzungen. Das Recht rechtfertigt sich nur<lb/>
durch die Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Zustandes, den es<lb/>
verwirklichen hilft und zu dem es gehört; es hat keinen anderen<lb/>
Zweck, als gerecht zu sein. Die Gerechtigkeit eines gesellschaftlichen<lb/>
Zustandes und des ihm zugrunde liegenden Rechtes läßt sich nicht<lb/>
wiederum <hi rendition="#g">beweisen,</hi> so wenig wie sich beweisen läßt, daß das<lb/>
Gerechte verbindlich ist und getan werden soll. Ob ein Recht der<lb/>
Forderung des Gerechten genügt, läßt sich <hi rendition="#g">einsehen,</hi> wenn wir<lb/>
es uns unter bestimmten Voraussetzungen angewendet denken<lb/>
und den damit gegebenen Zustand mit anderen vergleichen; aber<lb/>
beweisen läßt es sich nicht (vgl. unten S. 251 f.).</p><lb/>
            <p>Wenn wir von einem Zweck des Staates sprechen, meinen<lb/>
wir den Zweck der Zuständigkeitsordnung, die jede geltende<lb/>
Rechtsordnung mit enthalten muß. Dieser Zweck ist, sagen wir,<lb/>
das Verfahren zu bestimmen, in welchem jeweilen entschieden<lb/>
wird, was im Grundsatz und im Einzelfall, rechtsverbindlich sein<lb/>
soll, wie es erzwungen wird. Wie das Recht beschaffen sein soll,<lb/>
ist hier nicht in Frage; es mag so oder anders lauten. Aber stets<lb/>
ist es die Aufgabe der staatlichen Organisation, dafür zu sorgen,<lb/>
daß das (nach den Umständen richtige) Recht geschaffen und<lb/>
angewendet werde.</p><lb/>
            <p>Damit ist die Frage nach dem Zweck des Staates in zwar<lb/>
formaler, aber einheitlicher und einfacher Weise beantwortet.<lb/>
Allein es bleibt eine Schwierigkeit ungelöst: Läßt sich die gesamte<lb/>
Tätigkeit des Staates auf diesen <hi rendition="#g">einen Zweck</hi> der Rechtsver-<lb/>
wirklichung zurückführen, also, konkreter gesprochen, darauf:<lb/>
Gesetze zu machen und anzuwenden? Hat nicht der moderne<lb/>
Staat sich noch eine Menge anderer Aufgaben außer dem &#x201E;Rechts-<lb/>
zweck&#x201C; gestellt? Und wenn ja, ist diese Erweiterung seiner Tätig-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0147] II. Teil. Die staatliche Verfassung. liche Zustand gegebener Menschen sei (von verschiedenen denkbaren Zuständen), ist nicht eine andere Frage als die nach der gerechten Ordnung ihres Zusammenlebens; denn zu jenem „gesellschaft- lichen“, „sozialen“ Zustand gehört das Recht immer notwendig auch. Und welches dieser gerechte Zustand, welches diese gerechte Ordnung sei, das ist immer die Frage. Was wir betonen wollten ist nur, daß man zur Beantwortung dieser Frage nicht die möglichen abstrakten Rechtsgrundsätze miteinander vergleichen kann, sondern diese Grundsätze zusammengehalten mit den gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen. Das Recht rechtfertigt sich nur durch die Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Zustandes, den es verwirklichen hilft und zu dem es gehört; es hat keinen anderen Zweck, als gerecht zu sein. Die Gerechtigkeit eines gesellschaftlichen Zustandes und des ihm zugrunde liegenden Rechtes läßt sich nicht wiederum beweisen, so wenig wie sich beweisen läßt, daß das Gerechte verbindlich ist und getan werden soll. Ob ein Recht der Forderung des Gerechten genügt, läßt sich einsehen, wenn wir es uns unter bestimmten Voraussetzungen angewendet denken und den damit gegebenen Zustand mit anderen vergleichen; aber beweisen läßt es sich nicht (vgl. unten S. 251 f.). Wenn wir von einem Zweck des Staates sprechen, meinen wir den Zweck der Zuständigkeitsordnung, die jede geltende Rechtsordnung mit enthalten muß. Dieser Zweck ist, sagen wir, das Verfahren zu bestimmen, in welchem jeweilen entschieden wird, was im Grundsatz und im Einzelfall, rechtsverbindlich sein soll, wie es erzwungen wird. Wie das Recht beschaffen sein soll, ist hier nicht in Frage; es mag so oder anders lauten. Aber stets ist es die Aufgabe der staatlichen Organisation, dafür zu sorgen, daß das (nach den Umständen richtige) Recht geschaffen und angewendet werde. Damit ist die Frage nach dem Zweck des Staates in zwar formaler, aber einheitlicher und einfacher Weise beantwortet. Allein es bleibt eine Schwierigkeit ungelöst: Läßt sich die gesamte Tätigkeit des Staates auf diesen einen Zweck der Rechtsver- wirklichung zurückführen, also, konkreter gesprochen, darauf: Gesetze zu machen und anzuwenden? Hat nicht der moderne Staat sich noch eine Menge anderer Aufgaben außer dem „Rechts- zweck“ gestellt? Und wenn ja, ist diese Erweiterung seiner Tätig-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/147
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/147>, abgerufen am 21.11.2024.