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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Der Zweck der staatlichen Organisation.
keit schlechthin als Mißbrauch und Willkür zu bezeichnen? Wenn
nicht: worin besteht die Einheit der staatlichen Zwecke?

Richtig ist sicher, daß der Staat nicht beliebige, auch nicht
einmal verschiedene zusammenhanglose Zwecke verfolgen kann;
wenn die Einrichtung des (gesetzgebenden) Staates einen Zweck
haben soll, muß sie einen bestimmten Zweck haben, nicht mehrere
verschiedene1.

Der Staat scheint aber heute in der Tat sich nicht mehr zu
begnügen mit der Aufstellung und Anwendung von Rechtsnormen,
mit dem, was man den Rechtszweck genannt hat; er nimmt sich
vor, noch andere "Kulturgüter" zu fördern, geistige und materielle,
abgesehen von der äußeren Sicherheit gegen andere Staaten. Die
Verwirklichung des Rechts einerseits, die Förderung der Kultur
andererseits, das scheinen die beiden Gebiete der (inneren) staat-
lichen Tätigkeit zu sein, aber auch die Zweiheit seiner Ziele. Auf
dem ersten Gebiet ist er Gesetzgeber, Richter und Vollzieher, auf
dem zweiten Erzieher, Verkehrstechniker, Bankmann, kurzum
Versorger der Gemeinschaft. Wie kann derselbe Staat beides sein,
ohne die Einheit seines Wesens und damit die Folgerichtigkeit
seines Handelns preiszugeben, ohne die Berechtigung seiner
Existenz überhaupt in Frage zu stellen?

Wenn man die als Rechtszweck bezeichnete Tätigkeit des
Staates der anderen, die man etwa mit dem Worte Kulturzweck
bezeichnet, gegenüberstellt, versteht man, sofern man den Ge-
danken zu Ende denkt, unter jener ersten Tätigkeit nicht alle
rechtsverbindlichen Anordnungen des Staates, sondern nur eine
bestimmte Art: die Rechtsnormen, welche den Einzelnen die
Regeln ihres Verhaltens vorschreiben; die Regeln ihrer privaten
Tätigkeit. Der Gesetzgeber wird hier einerseits die Voraus-
setzungen bestimmen müssen, unter welchen die Rechtsgenossen
Rechtsgeschäfte abschließen können, die Vertragsfähigkeit und

1 Das hat G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., (1914) 234,
richtig erkannt, obschon er die Forderung keineswegs durchgeführt hat;
denn er gibt S. 263 dem Staat zur Aufgabe, neben der Rechtssetzung und
dem Rechtsschutz, noch die Selbstbehauptung und die Förderung der
Kultur: einesteils exklusive, nur dem Staat zukommende, andererseits
konkurrierende, auch anderen offenstehende Zwecke. Ähnlich z. B. Max
Wundt,
Staatsphilosophie (1923) 62; Krabbe, Die Lehre der Rechts-
souveränität (1901) 217 ff., 248; vgl. aber Die moderne Staatsidee (1919) 255.

Der Zweck der staatlichen Organisation.
keit schlechthin als Mißbrauch und Willkür zu bezeichnen? Wenn
nicht: worin besteht die Einheit der staatlichen Zwecke?

Richtig ist sicher, daß der Staat nicht beliebige, auch nicht
einmal verschiedene zusammenhanglose Zwecke verfolgen kann;
wenn die Einrichtung des (gesetzgebenden) Staates einen Zweck
haben soll, muß sie einen bestimmten Zweck haben, nicht mehrere
verschiedene1.

Der Staat scheint aber heute in der Tat sich nicht mehr zu
begnügen mit der Aufstellung und Anwendung von Rechtsnormen,
mit dem, was man den Rechtszweck genannt hat; er nimmt sich
vor, noch andere „Kulturgüter“ zu fördern, geistige und materielle,
abgesehen von der äußeren Sicherheit gegen andere Staaten. Die
Verwirklichung des Rechts einerseits, die Förderung der Kultur
andererseits, das scheinen die beiden Gebiete der (inneren) staat-
lichen Tätigkeit zu sein, aber auch die Zweiheit seiner Ziele. Auf
dem ersten Gebiet ist er Gesetzgeber, Richter und Vollzieher, auf
dem zweiten Erzieher, Verkehrstechniker, Bankmann, kurzum
Versorger der Gemeinschaft. Wie kann derselbe Staat beides sein,
ohne die Einheit seines Wesens und damit die Folgerichtigkeit
seines Handelns preiszugeben, ohne die Berechtigung seiner
Existenz überhaupt in Frage zu stellen?

Wenn man die als Rechtszweck bezeichnete Tätigkeit des
Staates der anderen, die man etwa mit dem Worte Kulturzweck
bezeichnet, gegenüberstellt, versteht man, sofern man den Ge-
danken zu Ende denkt, unter jener ersten Tätigkeit nicht alle
rechtsverbindlichen Anordnungen des Staates, sondern nur eine
bestimmte Art: die Rechtsnormen, welche den Einzelnen die
Regeln ihres Verhaltens vorschreiben; die Regeln ihrer privaten
Tätigkeit. Der Gesetzgeber wird hier einerseits die Voraus-
setzungen bestimmen müssen, unter welchen die Rechtsgenossen
Rechtsgeschäfte abschließen können, die Vertragsfähigkeit und

1 Das hat G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., (1914) 234,
richtig erkannt, obschon er die Forderung keineswegs durchgeführt hat;
denn er gibt S. 263 dem Staat zur Aufgabe, neben der Rechtssetzung und
dem Rechtsschutz, noch die Selbstbehauptung und die Förderung der
Kultur: einesteils exklusive, nur dem Staat zukommende, andererseits
konkurrierende, auch anderen offenstehende Zwecke. Ähnlich z. B. Max
Wundt,
Staatsphilosophie (1923) 62; Krabbe, Die Lehre der Rechts-
souveränität (1901) 217 ff., 248; vgl. aber Die moderne Staatsidee (1919) 255.
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[133/0148] Der Zweck der staatlichen Organisation. keit schlechthin als Mißbrauch und Willkür zu bezeichnen? Wenn nicht: worin besteht die Einheit der staatlichen Zwecke? Richtig ist sicher, daß der Staat nicht beliebige, auch nicht einmal verschiedene zusammenhanglose Zwecke verfolgen kann; wenn die Einrichtung des (gesetzgebenden) Staates einen Zweck haben soll, muß sie einen bestimmten Zweck haben, nicht mehrere verschiedene 1. Der Staat scheint aber heute in der Tat sich nicht mehr zu begnügen mit der Aufstellung und Anwendung von Rechtsnormen, mit dem, was man den Rechtszweck genannt hat; er nimmt sich vor, noch andere „Kulturgüter“ zu fördern, geistige und materielle, abgesehen von der äußeren Sicherheit gegen andere Staaten. Die Verwirklichung des Rechts einerseits, die Förderung der Kultur andererseits, das scheinen die beiden Gebiete der (inneren) staat- lichen Tätigkeit zu sein, aber auch die Zweiheit seiner Ziele. Auf dem ersten Gebiet ist er Gesetzgeber, Richter und Vollzieher, auf dem zweiten Erzieher, Verkehrstechniker, Bankmann, kurzum Versorger der Gemeinschaft. Wie kann derselbe Staat beides sein, ohne die Einheit seines Wesens und damit die Folgerichtigkeit seines Handelns preiszugeben, ohne die Berechtigung seiner Existenz überhaupt in Frage zu stellen? Wenn man die als Rechtszweck bezeichnete Tätigkeit des Staates der anderen, die man etwa mit dem Worte Kulturzweck bezeichnet, gegenüberstellt, versteht man, sofern man den Ge- danken zu Ende denkt, unter jener ersten Tätigkeit nicht alle rechtsverbindlichen Anordnungen des Staates, sondern nur eine bestimmte Art: die Rechtsnormen, welche den Einzelnen die Regeln ihres Verhaltens vorschreiben; die Regeln ihrer privaten Tätigkeit. Der Gesetzgeber wird hier einerseits die Voraus- setzungen bestimmen müssen, unter welchen die Rechtsgenossen Rechtsgeschäfte abschließen können, die Vertragsfähigkeit und 1 Das hat G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., (1914) 234, richtig erkannt, obschon er die Forderung keineswegs durchgeführt hat; denn er gibt S. 263 dem Staat zur Aufgabe, neben der Rechtssetzung und dem Rechtsschutz, noch die Selbstbehauptung und die Förderung der Kultur: einesteils exklusive, nur dem Staat zukommende, andererseits konkurrierende, auch anderen offenstehende Zwecke. Ähnlich z. B. Max Wundt, Staatsphilosophie (1923) 62; Krabbe, Die Lehre der Rechts- souveränität (1901) 217 ff., 248; vgl. aber Die moderne Staatsidee (1919) 255.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/148>, abgerufen am 24.11.2024.