Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Die Geltung des Rechts. sie, d. h. die Verfassung, gilt, dann werden sicher die verfassungs-mäßig erlassenen Gesetze auch gelten, wie schon oben (S. 169) ausgeführt. Aber der Verfassung selbst Verbindlichkeit zu ver- schaffen, das ist die Schwierigkeit1. Begrifflich gehören Staat und (positives) Recht zusammen, aber keines kann aus dem anderen abgeleitet werden (vgl. oben S. 179). Das Recht gilt nicht ohne Staat und ein Staat ist Staat nur als die Organisation eines (materiellen) Rechtes; aber der Staat "entsteht" nicht aus dem Recht, und das Recht nicht aus dem Staat, noch erklärt eines die Verbindlichkeit des anderen. c) Von den beiden obigen Auffassungen etwas hat eine Er- klärung, die von der Entstehung des Bundesstaats mitunter ge- geben wird: der neue Gesamtstaat sei entstanden auf dem Wege eines Rechtsgeschäftes der bisher souveränen Gliedstaaten unter- einander, eines Rechtsgeschäfts, das nicht sowohl ein Vertrag sei2 als eine Willenseinigung besonderer Art, die Gesamtakt oder Vereinbarung genannt wird3. Allein wenn dieser Akt rechts- 1 Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 6 ff.; Kelsen in seinen Schriften über das Problem der Souveränität (1920) und über den soziologischen und den juristischen Staatsbegriff (1922), besonders S. 121 ff. Richtig ist, daß die Verbindlichkeit des staatlichen Organismus eine ver- bindliche rechtliche Ordnung voraussetzt; aber nicht weniger richtig ist, daß die positive Verbindlichkeit dieser Ordnung ihrerseits eine in Wirksam- keit stehende staatliche Organisation voraussetzt. 2 Wie es früher oft charakterisiert worden ist; vgl. Laband, Staats- recht, 5. A., I 32. 3 Gesamtakt nach Kuntze, Der Gesamtakt, ein neuer Rechtsbegriff.
Festgabe der Leipziger Juristischen Fakultät für O. Müller (1892), dem Triepel, Landesrecht und Völkerrecht 178 ff., Anschütz in der Enzyklo- pädie, 6. A., II 506, und für die Schweiz F. Fleiner, Die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 (Basel 1898), sowie Jag- metti, Der Einfluß der Lehre von der Volkssouveränität und vom pouvoir constituant auf das schweizerische Verfassungsrecht (Zürcher Diss. 1920, 130), zugestimmt haben. Als Vereinbarung haben den Vorgang bezeichnet: Binding, Die Gründung des Norddeutschen Bundes (1889) 67 ff.; Zum Werden und Leben der Staaten (1920) 189 ff.; Max Huber, Die sozio- logischen Grundlagen des Völkerrechts, Jahrbuch für öffentliches Recht 1910, 71; auch der "schöpferische Beschluß" einer auf Vertrag beruhenden Tagsatzung, von dem Schollenberger, Kommentar der Bundesverfassung (1905) 31, spricht, kann nicht wohl etwas anderes als eine vertragsmäßige Verständigung sein, wie es Sch. früher (Bundesstaatsrecht der Schweiz Die Geltung des Rechts. sie, d. h. die Verfassung, gilt, dann werden sicher die verfassungs-mäßig erlassenen Gesetze auch gelten, wie schon oben (S. 169) ausgeführt. Aber der Verfassung selbst Verbindlichkeit zu ver- schaffen, das ist die Schwierigkeit1. Begrifflich gehören Staat und (positives) Recht zusammen, aber keines kann aus dem anderen abgeleitet werden (vgl. oben S. 179). Das Recht gilt nicht ohne Staat und ein Staat ist Staat nur als die Organisation eines (materiellen) Rechtes; aber der Staat „entsteht“ nicht aus dem Recht, und das Recht nicht aus dem Staat, noch erklärt eines die Verbindlichkeit des anderen. c) Von den beiden obigen Auffassungen etwas hat eine Er- klärung, die von der Entstehung des Bundesstaats mitunter ge- geben wird: der neue Gesamtstaat sei entstanden auf dem Wege eines Rechtsgeschäftes der bisher souveränen Gliedstaaten unter- einander, eines Rechtsgeschäfts, das nicht sowohl ein Vertrag sei2 als eine Willenseinigung besonderer Art, die Gesamtakt oder Vereinbarung genannt wird3. Allein wenn dieser Akt rechts- 1 Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 6 ff.; Kelsen in seinen Schriften über das Problem der Souveränität (1920) und über den soziologischen und den juristischen Staatsbegriff (1922), besonders S. 121 ff. Richtig ist, daß die Verbindlichkeit des staatlichen Organismus eine ver- bindliche rechtliche Ordnung voraussetzt; aber nicht weniger richtig ist, daß die positive Verbindlichkeit dieser Ordnung ihrerseits eine in Wirksam- keit stehende staatliche Organisation voraussetzt. 2 Wie es früher oft charakterisiert worden ist; vgl. Laband, Staats- recht, 5. A., I 32. 3 Gesamtakt nach Kuntze, Der Gesamtakt, ein neuer Rechtsbegriff.
Festgabe der Leipziger Juristischen Fakultät für O. Müller (1892), dem Triepel, Landesrecht und Völkerrecht 178 ff., Anschütz in der Enzyklo- pädie, 6. A., II 506, und für die Schweiz F. Fleiner, Die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 (Basel 1898), sowie Jag- metti, Der Einfluß der Lehre von der Volkssouveränität und vom pouvoir constituant auf das schweizerische Verfassungsrecht (Zürcher Diss. 1920, 130), zugestimmt haben. Als Vereinbarung haben den Vorgang bezeichnet: Binding, Die Gründung des Norddeutschen Bundes (1889) 67 ff.; Zum Werden und Leben der Staaten (1920) 189 ff.; Max Huber, Die sozio- logischen Grundlagen des Völkerrechts, Jahrbuch für öffentliches Recht 1910, 71; auch der „schöpferische Beschluß“ einer auf Vertrag beruhenden Tagsatzung, von dem Schollenberger, Kommentar der Bundesverfassung (1905) 31, spricht, kann nicht wohl etwas anderes als eine vertragsmäßige Verständigung sein, wie es Sch. früher (Bundesstaatsrecht der Schweiz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0210" n="195"/><fw place="top" type="header">Die Geltung des Rechts.</fw><lb/> sie, d. h. die Verfassung, gilt, dann werden sicher die verfassungs-<lb/> mäßig erlassenen Gesetze auch gelten, wie schon oben (S. 169)<lb/> ausgeführt. Aber der Verfassung selbst Verbindlichkeit zu ver-<lb/> schaffen, das ist die Schwierigkeit<note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Nelson,</hi> Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 6 ff.; <hi rendition="#g">Kelsen</hi><lb/> in seinen Schriften über das Problem der Souveränität (1920) und über den<lb/> soziologischen und den juristischen Staatsbegriff (1922), besonders S. 121 ff.<lb/> Richtig ist, daß die Verbindlichkeit des staatlichen Organismus eine ver-<lb/> bindliche rechtliche Ordnung voraussetzt; aber nicht weniger richtig ist,<lb/> daß die positive Verbindlichkeit dieser Ordnung ihrerseits eine in Wirksam-<lb/> keit stehende staatliche Organisation voraussetzt.</note>. Begrifflich gehören Staat<lb/> und (positives) Recht zusammen, aber keines kann aus dem anderen<lb/> abgeleitet werden (vgl. oben S. 179). Das Recht gilt nicht ohne<lb/> Staat und ein Staat ist Staat nur als die Organisation eines<lb/> (materiellen) Rechtes; aber der Staat „entsteht“ nicht aus dem<lb/> Recht, und das Recht nicht aus dem Staat, noch erklärt eines die<lb/> Verbindlichkeit des anderen.<lb/> c) Von den <hi rendition="#g">beiden</hi> obigen Auffassungen etwas hat eine Er-<lb/> klärung, die von der Entstehung des Bundesstaats mitunter ge-<lb/> geben wird: der neue Gesamtstaat sei entstanden auf dem Wege<lb/> eines Rechtsgeschäftes der bisher souveränen Gliedstaaten unter-<lb/> einander, eines Rechtsgeschäfts, das nicht sowohl ein Vertrag<lb/> sei<note place="foot" n="2">Wie es früher oft charakterisiert worden ist; vgl. <hi rendition="#g">Laband,</hi> Staats-<lb/> recht, 5. A., I 32.</note> als eine <hi rendition="#b">Willenseinigung besonderer Art,</hi> die Gesamtakt oder<lb/> Vereinbarung genannt wird<note xml:id="seg2pn_30_1" next="#seg2pn_30_2" place="foot" n="3">Gesamtakt nach <hi rendition="#g">Kuntze,</hi> Der Gesamtakt, ein neuer Rechtsbegriff.<lb/> Festgabe der Leipziger Juristischen Fakultät für O. Müller (1892), dem<lb/><hi rendition="#g">Triepel,</hi> Landesrecht und Völkerrecht 178 ff., <hi rendition="#g">Anschütz</hi> in der Enzyklo-<lb/> pädie, 6. A., II 506, und für die Schweiz F. <hi rendition="#g">Fleiner,</hi> Die Gründung des<lb/> Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 (Basel 1898), sowie <hi rendition="#g">Jag-<lb/> metti,</hi> Der Einfluß der Lehre von der Volkssouveränität und vom pouvoir<lb/> constituant auf das schweizerische Verfassungsrecht (Zürcher Diss. 1920,<lb/> 130), zugestimmt haben. Als Vereinbarung haben den Vorgang bezeichnet:<lb/><hi rendition="#g">Binding,</hi> Die Gründung des Norddeutschen Bundes (1889) 67 ff.; Zum<lb/> Werden und Leben der Staaten (1920) 189 ff.; <hi rendition="#g">Max Huber,</hi> Die sozio-<lb/> logischen Grundlagen des Völkerrechts, Jahrbuch für öffentliches Recht<lb/> 1910, 71; auch der „schöpferische Beschluß“ einer auf Vertrag beruhenden<lb/> Tagsatzung, von dem <hi rendition="#g">Schollenberger,</hi> Kommentar der Bundesverfassung<lb/> (1905) 31, spricht, kann nicht wohl etwas anderes als eine vertragsmäßige<lb/> Verständigung sein, wie es Sch. früher (Bundesstaatsrecht der Schweiz</note>. Allein wenn dieser Akt rechts-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0210]
Die Geltung des Rechts.
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ausgeführt. Aber der Verfassung selbst Verbindlichkeit zu ver-
schaffen, das ist die Schwierigkeit 1. Begrifflich gehören Staat
und (positives) Recht zusammen, aber keines kann aus dem anderen
abgeleitet werden (vgl. oben S. 179). Das Recht gilt nicht ohne
Staat und ein Staat ist Staat nur als die Organisation eines
(materiellen) Rechtes; aber der Staat „entsteht“ nicht aus dem
Recht, und das Recht nicht aus dem Staat, noch erklärt eines die
Verbindlichkeit des anderen.
c) Von den beiden obigen Auffassungen etwas hat eine Er-
klärung, die von der Entstehung des Bundesstaats mitunter ge-
geben wird: der neue Gesamtstaat sei entstanden auf dem Wege
eines Rechtsgeschäftes der bisher souveränen Gliedstaaten unter-
einander, eines Rechtsgeschäfts, das nicht sowohl ein Vertrag
sei 2 als eine Willenseinigung besonderer Art, die Gesamtakt oder
Vereinbarung genannt wird 3. Allein wenn dieser Akt rechts-
1 Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 6 ff.; Kelsen
in seinen Schriften über das Problem der Souveränität (1920) und über den
soziologischen und den juristischen Staatsbegriff (1922), besonders S. 121 ff.
Richtig ist, daß die Verbindlichkeit des staatlichen Organismus eine ver-
bindliche rechtliche Ordnung voraussetzt; aber nicht weniger richtig ist,
daß die positive Verbindlichkeit dieser Ordnung ihrerseits eine in Wirksam-
keit stehende staatliche Organisation voraussetzt.
2 Wie es früher oft charakterisiert worden ist; vgl. Laband, Staats-
recht, 5. A., I 32.
3 Gesamtakt nach Kuntze, Der Gesamtakt, ein neuer Rechtsbegriff.
Festgabe der Leipziger Juristischen Fakultät für O. Müller (1892), dem
Triepel, Landesrecht und Völkerrecht 178 ff., Anschütz in der Enzyklo-
pädie, 6. A., II 506, und für die Schweiz F. Fleiner, Die Gründung des
Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 (Basel 1898), sowie Jag-
metti, Der Einfluß der Lehre von der Volkssouveränität und vom pouvoir
constituant auf das schweizerische Verfassungsrecht (Zürcher Diss. 1920,
130), zugestimmt haben. Als Vereinbarung haben den Vorgang bezeichnet:
Binding, Die Gründung des Norddeutschen Bundes (1889) 67 ff.; Zum
Werden und Leben der Staaten (1920) 189 ff.; Max Huber, Die sozio-
logischen Grundlagen des Völkerrechts, Jahrbuch für öffentliches Recht
1910, 71; auch der „schöpferische Beschluß“ einer auf Vertrag beruhenden
Tagsatzung, von dem Schollenberger, Kommentar der Bundesverfassung
(1905) 31, spricht, kann nicht wohl etwas anderes als eine vertragsmäßige
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