Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.II. Teil. Die staatliche Verfassung. wirksam sein soll, kann es nur kraft eines Rechtssatzes sein, dersolchen Rechtsakten Wirksamkeit verleiht. Dieser Rechtssatz kann aber nicht dem bisherigen Verfassungsrecht (der souveränen Gliedstaaten) angehören1, da man sonst annehmen müßte, die geltende Verfassung sehe Rechtsgeschäfte vor, welche sie selbst aufheben; er muß also dem zwischenstaatlichen Recht, dem Völkerrecht, angehören. Allein im Völkerrecht gibt es keine anderen Rechtsgeschäfte als Verträge (und auf vertraglicher Grundlage sich abspielende Rechtshandlungen); und der Vertrag ist keine taugliche Grundlage des Staates (vgl. oben S. 143, 191). Aus einem völkerrechtlichen Geschäft, auch wenn es nicht Vertrag wäre, können übrigens, das ist klar, nur völkerrechtliche Wirkungen entstehen. 2. Es geht auch nicht an, die rechtliche Verbindlichkeit einer Ordnung aus Normen anderer Art abzuleiten. Daß etwas rechtlich verbindlich ist, kann nur aus einer Rechtsnorm abge- leitet werden, sofern man unter "ableiten" die logische Deduktion versteht; denn der Schlußsatz muß in den Vordersätzen stets schon enthalten sein; wie auch umgekehrt durch Schluß nur gewonnen werden kann, was schon in den Prämissen war. Recht kann nur aus Recht gefolgert werden, und aus sittlichen Grund- sätzen kann man nur sittliche Folgesätze ableiten. Versteht man aber unter ableiten die Möglichkeit, in ver- nünftiger Erwägung einzusehen, so wird man allerdings aus der Vernunft die Verbindlichkeit des Rechts ableiten können; die Verbindlichkeit eines bestimmten, konkreten Rechts aber nur in dem oben erörterten Sinne, daß das Recht, welches sich für eine gegebene Gemeinschaft als richtig erweist, verdient, durch die Macht unterstützt zu werden und damit zu gelten. Man wird auch nicht so leicht die nackte Behauptung finden, daß sich aus der sittlichen Pflicht, etwa der Pflicht, in Gemein- [Berlin 1902] 123) selbst angenommen hatte. Vgl. meinen Kommentar der Bundesverfassung, 2. A. (1914) 41. -- Rechtschaffende Verträge: Berg- bohm, Verträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts (1876) 81; Oppenheim, International law, 3. A., I (1920) 22, und andere. 1 Wie es diejenigen implicite annehmen, welche die Entstehung des
neuen Staates auf ein Gesetz oder einen Beschluß des alten zurückführen, wie gelegentlich Binding, Zum Werden und Leben der Staaten 177. Brie im Handbuch der Politik I (1912) 73, läßt Gesetz, neben Vertrag und Gewohnheitsrecht zu. II. Teil. Die staatliche Verfassung. wirksam sein soll, kann es nur kraft eines Rechtssatzes sein, dersolchen Rechtsakten Wirksamkeit verleiht. Dieser Rechtssatz kann aber nicht dem bisherigen Verfassungsrecht (der souveränen Gliedstaaten) angehören1, da man sonst annehmen müßte, die geltende Verfassung sehe Rechtsgeschäfte vor, welche sie selbst aufheben; er muß also dem zwischenstaatlichen Recht, dem Völkerrecht, angehören. Allein im Völkerrecht gibt es keine anderen Rechtsgeschäfte als Verträge (und auf vertraglicher Grundlage sich abspielende Rechtshandlungen); und der Vertrag ist keine taugliche Grundlage des Staates (vgl. oben S. 143, 191). Aus einem völkerrechtlichen Geschäft, auch wenn es nicht Vertrag wäre, können übrigens, das ist klar, nur völkerrechtliche Wirkungen entstehen. 2. Es geht auch nicht an, die rechtliche Verbindlichkeit einer Ordnung aus Normen anderer Art abzuleiten. Daß etwas rechtlich verbindlich ist, kann nur aus einer Rechtsnorm abge- leitet werden, sofern man unter „ableiten“ die logische Deduktion versteht; denn der Schlußsatz muß in den Vordersätzen stets schon enthalten sein; wie auch umgekehrt durch Schluß nur gewonnen werden kann, was schon in den Prämissen war. Recht kann nur aus Recht gefolgert werden, und aus sittlichen Grund- sätzen kann man nur sittliche Folgesätze ableiten. Versteht man aber unter ableiten die Möglichkeit, in ver- nünftiger Erwägung einzusehen, so wird man allerdings aus der Vernunft die Verbindlichkeit des Rechts ableiten können; die Verbindlichkeit eines bestimmten, konkreten Rechts aber nur in dem oben erörterten Sinne, daß das Recht, welches sich für eine gegebene Gemeinschaft als richtig erweist, verdient, durch die Macht unterstützt zu werden und damit zu gelten. Man wird auch nicht so leicht die nackte Behauptung finden, daß sich aus der sittlichen Pflicht, etwa der Pflicht, in Gemein- [Berlin 1902] 123) selbst angenommen hatte. Vgl. meinen Kommentar der Bundesverfassung, 2. A. (1914) 41. — Rechtschaffende Verträge: Berg- bohm, Verträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts (1876) 81; Oppenheim, International law, 3. A., I (1920) 22, und andere. 1 Wie es diejenigen implicite annehmen, welche die Entstehung des
neuen Staates auf ein Gesetz oder einen Beschluß des alten zurückführen, wie gelegentlich Binding, Zum Werden und Leben der Staaten 177. Brie im Handbuch der Politik I (1912) 73, läßt Gesetz, neben Vertrag und Gewohnheitsrecht zu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0211" n="196"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/> wirksam sein soll, kann es nur kraft eines Rechtssatzes sein, der<lb/> solchen Rechtsakten Wirksamkeit verleiht. Dieser Rechtssatz<lb/> kann aber nicht dem bisherigen Verfassungsrecht (der souveränen<lb/> Gliedstaaten) angehören<note place="foot" n="1">Wie es diejenigen implicite annehmen, welche die Entstehung des<lb/> neuen Staates auf ein Gesetz oder einen Beschluß des alten zurückführen,<lb/> wie gelegentlich <hi rendition="#g">Binding,</hi> Zum Werden und Leben der Staaten 177.<lb/><hi rendition="#g">Brie</hi> im Handbuch der Politik I (1912) 73, läßt Gesetz, neben Vertrag<lb/> und Gewohnheitsrecht zu.</note>, da man sonst annehmen müßte, die<lb/> geltende Verfassung sehe Rechtsgeschäfte vor, welche sie selbst<lb/> aufheben; er muß also dem zwischenstaatlichen Recht, dem<lb/> Völkerrecht, angehören. Allein im Völkerrecht gibt es keine anderen<lb/> Rechtsgeschäfte als Verträge (und auf vertraglicher Grundlage<lb/> sich abspielende Rechtshandlungen); und der Vertrag ist keine<lb/> taugliche Grundlage des Staates (vgl. oben S. 143, 191). Aus einem<lb/> völkerrechtlichen Geschäft, auch wenn es nicht Vertrag wäre, können<lb/> übrigens, das ist klar, nur völkerrechtliche Wirkungen entstehen.<lb/> 2. Es geht auch nicht an, die rechtliche Verbindlichkeit<lb/> einer Ordnung <hi rendition="#b">aus Normen anderer Art</hi> abzuleiten. Daß etwas<lb/><hi rendition="#g">rechtlich</hi> verbindlich ist, kann nur aus einer Rechtsnorm abge-<lb/> leitet werden, sofern man unter „ableiten“ die logische Deduktion<lb/> versteht; denn der Schlußsatz muß in den Vordersätzen stets<lb/> schon enthalten sein; wie auch umgekehrt durch Schluß nur<lb/> gewonnen werden kann, was schon in den Prämissen war. Recht<lb/> kann nur aus Recht gefolgert werden, und aus sittlichen Grund-<lb/> sätzen kann man nur sittliche Folgesätze ableiten.<lb/> Versteht man aber unter ableiten die Möglichkeit, in ver-<lb/> nünftiger Erwägung einzusehen, so wird man allerdings aus der<lb/> Vernunft die Verbindlichkeit des Rechts ableiten können; die<lb/> Verbindlichkeit eines bestimmten, konkreten Rechts aber nur in<lb/> dem oben erörterten Sinne, daß das Recht, welches sich für eine<lb/> gegebene Gemeinschaft als richtig erweist, <hi rendition="#g">verdient,</hi> durch die<lb/> Macht unterstützt zu werden und damit zu gelten.<lb/> Man wird auch nicht so leicht die nackte Behauptung finden,<lb/> daß sich aus der <hi rendition="#g">sittlichen</hi> Pflicht, etwa der Pflicht, in Gemein-<lb/><note xml:id="seg2pn_30_2" prev="#seg2pn_30_1" place="foot" n="3">[Berlin 1902] 123) selbst angenommen hatte. Vgl. <hi rendition="#g">meinen</hi> Kommentar<lb/> der Bundesverfassung, 2. A. (1914) 41. — Rechtschaffende Verträge: <hi rendition="#g">Berg-<lb/> bohm,</hi> Verträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts (1876) 81;<lb/><hi rendition="#g">Oppenheim,</hi> International law, 3. A., I (1920) 22, und andere.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [196/0211]
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
wirksam sein soll, kann es nur kraft eines Rechtssatzes sein, der
solchen Rechtsakten Wirksamkeit verleiht. Dieser Rechtssatz
kann aber nicht dem bisherigen Verfassungsrecht (der souveränen
Gliedstaaten) angehören 1, da man sonst annehmen müßte, die
geltende Verfassung sehe Rechtsgeschäfte vor, welche sie selbst
aufheben; er muß also dem zwischenstaatlichen Recht, dem
Völkerrecht, angehören. Allein im Völkerrecht gibt es keine anderen
Rechtsgeschäfte als Verträge (und auf vertraglicher Grundlage
sich abspielende Rechtshandlungen); und der Vertrag ist keine
taugliche Grundlage des Staates (vgl. oben S. 143, 191). Aus einem
völkerrechtlichen Geschäft, auch wenn es nicht Vertrag wäre, können
übrigens, das ist klar, nur völkerrechtliche Wirkungen entstehen.
2. Es geht auch nicht an, die rechtliche Verbindlichkeit
einer Ordnung aus Normen anderer Art abzuleiten. Daß etwas
rechtlich verbindlich ist, kann nur aus einer Rechtsnorm abge-
leitet werden, sofern man unter „ableiten“ die logische Deduktion
versteht; denn der Schlußsatz muß in den Vordersätzen stets
schon enthalten sein; wie auch umgekehrt durch Schluß nur
gewonnen werden kann, was schon in den Prämissen war. Recht
kann nur aus Recht gefolgert werden, und aus sittlichen Grund-
sätzen kann man nur sittliche Folgesätze ableiten.
Versteht man aber unter ableiten die Möglichkeit, in ver-
nünftiger Erwägung einzusehen, so wird man allerdings aus der
Vernunft die Verbindlichkeit des Rechts ableiten können; die
Verbindlichkeit eines bestimmten, konkreten Rechts aber nur in
dem oben erörterten Sinne, daß das Recht, welches sich für eine
gegebene Gemeinschaft als richtig erweist, verdient, durch die
Macht unterstützt zu werden und damit zu gelten.
Man wird auch nicht so leicht die nackte Behauptung finden,
daß sich aus der sittlichen Pflicht, etwa der Pflicht, in Gemein-
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1 Wie es diejenigen implicite annehmen, welche die Entstehung des
neuen Staates auf ein Gesetz oder einen Beschluß des alten zurückführen,
wie gelegentlich Binding, Zum Werden und Leben der Staaten 177.
Brie im Handbuch der Politik I (1912) 73, läßt Gesetz, neben Vertrag
und Gewohnheitsrecht zu.
3 [Berlin 1902] 123) selbst angenommen hatte. Vgl. meinen Kommentar
der Bundesverfassung, 2. A. (1914) 41. — Rechtschaffende Verträge: Berg-
bohm, Verträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts (1876) 81;
Oppenheim, International law, 3. A., I (1920) 22, und andere.
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