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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
klage gegen die Väter unehelicher Kinder vorgeschlagen wird und
der Antragsteller nachgewiesen hat, daß diese Einrichtung zwar
in einigen Fällen zu Erpressungen mißbraucht werden wird, daß
sie aber in vielen anderen verhütet, daß die Mutter betrogen und
mit dem Kind dem Elend preisgegeben wird, so hat er vorgebracht,
was er zur Begründung des Gesetzes, zur Beurteilung der gestellten
Frage vorbringen konnte. Daß dieser letztere Zustand gerechter
ist, kann er nicht "beweisen"; das muß das Gewissen des auf-
richtigen, rechtwollenden Einzelnen entscheiden. Der Antragsteller
kann durch die Darlegung der Folgen der beiden Ordnungen des
Rechtes der Unehelichen den Prozeß gewissermaßen instruieren1;
das Urteil fällt immer das Rechtsgefühl2 und es schöpft es aus
eigener Quelle.

Also ein Gefühl soll schließlich entscheiden?

Gewiß, eben weil es der theoretische Verstand nicht sein kann.
Aber ein Gefühl besonderer Art und von besonderer Bedeutung,
das sich als die gebieterische Stimme einer außer uns gültigen,
objektiv verbindlichen Ordnung angekündigt; gleich wie das Ge-
fühl, welches einen unbeweisbaren Satz (vom Widerspruch) als
wahr, eine Gesinnung als gut, und ein Kunstwerk als schön bezeugt.
Ein in unmittelbarer Anschauung als richtig empfundenes Urteil,
eine unmittelbare Anschauung des Richtigen3. Wie sollte auch der
Maßstab des Richtigen (Schönen und Wahren) gemessen werden?
Was als Maßstab dienen soll, kann unmöglich wieder als richtig

1 Vgl. die prozeßartigen Verhandlungen der Nomotheten in Athen;
Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 28 ff.
2 Das Gefühl für das, was Recht sein soll, das Riezler, Das Rechts-
gefühl, rechtspsychologische Betrachtungen (1921) 7, unterscheidet vom
Gefühl für das, was Recht ist (sensus juridicus), und vom Gefühl dafür,
daß nur das dem Recht Entsprechende geschehen soll; del Vecchio, La
giustizia, Discorso (1923) 7, 28.
3 Es ist durchaus unrichtig und unbeweisbar, wenn immer wieder
betont wird: "Jeder Wert beruht auf Gefühlen; Gefühle aber sind sub-
jektiv, sie können und müssen zunächst den objektiven Bestand einer
Wissenschaft vernichten", wie Barth, Die Philosophie der Geschichte als
Soziologie, 3. A. (1922) 48, sagt. Jedes Gefühl (wie auch jede Erkenntnis)
ist ein im Subjekt sich abspielender Vorgang; aber nicht darum, um den
psychologischen Hergang, handelt es sich, sondern um den Erkenntniswert
der Gefühle.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
klage gegen die Väter unehelicher Kinder vorgeschlagen wird und
der Antragsteller nachgewiesen hat, daß diese Einrichtung zwar
in einigen Fällen zu Erpressungen mißbraucht werden wird, daß
sie aber in vielen anderen verhütet, daß die Mutter betrogen und
mit dem Kind dem Elend preisgegeben wird, so hat er vorgebracht,
was er zur Begründung des Gesetzes, zur Beurteilung der gestellten
Frage vorbringen konnte. Daß dieser letztere Zustand gerechter
ist, kann er nicht „beweisen“; das muß das Gewissen des auf-
richtigen, rechtwollenden Einzelnen entscheiden. Der Antragsteller
kann durch die Darlegung der Folgen der beiden Ordnungen des
Rechtes der Unehelichen den Prozeß gewissermaßen instruieren1;
das Urteil fällt immer das Rechtsgefühl2 und es schöpft es aus
eigener Quelle.

Also ein Gefühl soll schließlich entscheiden?

Gewiß, eben weil es der theoretische Verstand nicht sein kann.
Aber ein Gefühl besonderer Art und von besonderer Bedeutung,
das sich als die gebieterische Stimme einer außer uns gültigen,
objektiv verbindlichen Ordnung angekündigt; gleich wie das Ge-
fühl, welches einen unbeweisbaren Satz (vom Widerspruch) als
wahr, eine Gesinnung als gut, und ein Kunstwerk als schön bezeugt.
Ein in unmittelbarer Anschauung als richtig empfundenes Urteil,
eine unmittelbare Anschauung des Richtigen3. Wie sollte auch der
Maßstab des Richtigen (Schönen und Wahren) gemessen werden?
Was als Maßstab dienen soll, kann unmöglich wieder als richtig

1 Vgl. die prozeßartigen Verhandlungen der Nomotheten in Athen;
Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 28 ff.
2 Das Gefühl für das, was Recht sein soll, das Riezler, Das Rechts-
gefühl, rechtspsychologische Betrachtungen (1921) 7, unterscheidet vom
Gefühl für das, was Recht ist (sensus juridicus), und vom Gefühl dafür,
daß nur das dem Recht Entsprechende geschehen soll; del Vecchio, La
giustizia, Discorso (1923) 7, 28.
3 Es ist durchaus unrichtig und unbeweisbar, wenn immer wieder
betont wird: „Jeder Wert beruht auf Gefühlen; Gefühle aber sind sub-
jektiv, sie können und müssen zunächst den objektiven Bestand einer
Wissenschaft vernichten“, wie Barth, Die Philosophie der Geschichte als
Soziologie, 3. A. (1922) 48, sagt. Jedes Gefühl (wie auch jede Erkenntnis)
ist ein im Subjekt sich abspielender Vorgang; aber nicht darum, um den
psychologischen Hergang, handelt es sich, sondern um den Erkenntniswert
der Gefühle.
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[252/0267] II. Teil. Die staatliche Verfassung. klage gegen die Väter unehelicher Kinder vorgeschlagen wird und der Antragsteller nachgewiesen hat, daß diese Einrichtung zwar in einigen Fällen zu Erpressungen mißbraucht werden wird, daß sie aber in vielen anderen verhütet, daß die Mutter betrogen und mit dem Kind dem Elend preisgegeben wird, so hat er vorgebracht, was er zur Begründung des Gesetzes, zur Beurteilung der gestellten Frage vorbringen konnte. Daß dieser letztere Zustand gerechter ist, kann er nicht „beweisen“; das muß das Gewissen des auf- richtigen, rechtwollenden Einzelnen entscheiden. Der Antragsteller kann durch die Darlegung der Folgen der beiden Ordnungen des Rechtes der Unehelichen den Prozeß gewissermaßen instruieren 1; das Urteil fällt immer das Rechtsgefühl 2 und es schöpft es aus eigener Quelle. Also ein Gefühl soll schließlich entscheiden? Gewiß, eben weil es der theoretische Verstand nicht sein kann. Aber ein Gefühl besonderer Art und von besonderer Bedeutung, das sich als die gebieterische Stimme einer außer uns gültigen, objektiv verbindlichen Ordnung angekündigt; gleich wie das Ge- fühl, welches einen unbeweisbaren Satz (vom Widerspruch) als wahr, eine Gesinnung als gut, und ein Kunstwerk als schön bezeugt. Ein in unmittelbarer Anschauung als richtig empfundenes Urteil, eine unmittelbare Anschauung des Richtigen 3. Wie sollte auch der Maßstab des Richtigen (Schönen und Wahren) gemessen werden? Was als Maßstab dienen soll, kann unmöglich wieder als richtig 1 Vgl. die prozeßartigen Verhandlungen der Nomotheten in Athen; Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 28 ff. 2 Das Gefühl für das, was Recht sein soll, das Riezler, Das Rechts- gefühl, rechtspsychologische Betrachtungen (1921) 7, unterscheidet vom Gefühl für das, was Recht ist (sensus juridicus), und vom Gefühl dafür, daß nur das dem Recht Entsprechende geschehen soll; del Vecchio, La giustizia, Discorso (1923) 7, 28. 3 Es ist durchaus unrichtig und unbeweisbar, wenn immer wieder betont wird: „Jeder Wert beruht auf Gefühlen; Gefühle aber sind sub- jektiv, sie können und müssen zunächst den objektiven Bestand einer Wissenschaft vernichten“, wie Barth, Die Philosophie der Geschichte als Soziologie, 3. A. (1922) 48, sagt. Jedes Gefühl (wie auch jede Erkenntnis) ist ein im Subjekt sich abspielender Vorgang; aber nicht darum, um den psychologischen Hergang, handelt es sich, sondern um den Erkenntniswert der Gefühle.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/267>, abgerufen am 24.11.2024.