Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Die Rechtssetzung. nachgewiesen werden; wer das verlangt, verlangt zuviel; dennwenn es an einem andern sich messen lassen müßte, wäre es nicht der maßgebende Stab; und wenn es das ist, kann es nicht an ande- rem auf seine Richtigkeit gemessen werden; es muß unmittelbar, ohne Beurteilung und Beweis geschaut, eingesehen, empfunden werden; deshalb kann es auch nicht weiter analysiert werden. Daß der gefühlsmäßig empfundene Maßstab des Gerechten nicht weiter analysiert werden kann, ist also kein Grund, ihn abzulehnen, sondern ist notwendig seine begriffliche Voraussetzung. Will man überhaupt einen Maßstab, so will man etwas Unmeßbares, Unableit- bares und Unzergliederbares. Wer ihn anwendet, geht auf diese unabweisbare Prämisse zurück. Müßte auch sie wieder bewiesen, müßte jedes Urteil bewiesen werden, so könnte man keines be- weisen. Wie soll der Kurzwarenhändler beweisen, daß sein Maß- stab einen Meter lang ist, wenn die Richtigkeit des Urmeters in Sevres selbst bezweifelt wird? Wenn es überhaupt kein ethisches Urmaß gibt, sind alle Werturteile vergebliche Versuche, sich die "Richtigkeit" dieses oder jenes Verhaltens vorzumachen. Gibt es aber eines, so ist es unmöglich bloß relativ, veränderlich, bedingt1, sondern unbedingt und unveränderlich. Jeweilen anders sind aber und müssen sein die Rechtspläne, die für gegebene Zeiten und Völker ausgemessen werden, das für gegebene Voraussetzungen zu erstrebende Ideal einer konkreten Rechtsordnung. Daß das Rechtsgefühl sich im einzelnen Fall nicht irre, kann 1 Wie immer wieder behauptet wird; vgl. Riezler, Rechtsgefühl 82. 2 In diesem Sinn ist es richtig, mit M. E. Mayer, Rechtsphilosophie (1922), zu sagen, das Richtige muß erprobt werden: es muß sich auch in seinen Anwendungen als richtig erweisen; aber gemessen wird es immer mit demselben Maßstab. Es wird nicht erprobt, wie das Ergebnis der Rech- nung durch die Gegenprobe; das wäre ein Beweis. 3 Vgl. Lüdemann, Christl. Dogmatik, Bd. I. Grundlegung (1924),
149, 187ff., 324, 3. Derselbe, Das Erkennen und die Werturteile (Leipzig 1910). Vgl. Nelson, Kritik der praktischen Vernunft 405, 469, 659; System der philosophischen Rechtslehre 20 f. Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. A. (1927) 87, 266. -- Weshalb Die Rechtssetzung. nachgewiesen werden; wer das verlangt, verlangt zuviel; dennwenn es an einem andern sich messen lassen müßte, wäre es nicht der maßgebende Stab; und wenn es das ist, kann es nicht an ande- rem auf seine Richtigkeit gemessen werden; es muß unmittelbar, ohne Beurteilung und Beweis geschaut, eingesehen, empfunden werden; deshalb kann es auch nicht weiter analysiert werden. Daß der gefühlsmäßig empfundene Maßstab des Gerechten nicht weiter analysiert werden kann, ist also kein Grund, ihn abzulehnen, sondern ist notwendig seine begriffliche Voraussetzung. Will man überhaupt einen Maßstab, so will man etwas Unmeßbares, Unableit- bares und Unzergliederbares. Wer ihn anwendet, geht auf diese unabweisbare Prämisse zurück. Müßte auch sie wieder bewiesen, müßte jedes Urteil bewiesen werden, so könnte man keines be- weisen. Wie soll der Kurzwarenhändler beweisen, daß sein Maß- stab einen Meter lang ist, wenn die Richtigkeit des Urmeters in Sèvres selbst bezweifelt wird? Wenn es überhaupt kein ethisches Urmaß gibt, sind alle Werturteile vergebliche Versuche, sich die „Richtigkeit“ dieses oder jenes Verhaltens vorzumachen. Gibt es aber eines, so ist es unmöglich bloß relativ, veränderlich, bedingt1, sondern unbedingt und unveränderlich. Jeweilen anders sind aber und müssen sein die Rechtspläne, die für gegebene Zeiten und Völker ausgemessen werden, das für gegebene Voraussetzungen zu erstrebende Ideal einer konkreten Rechtsordnung. Daß das Rechtsgefühl sich im einzelnen Fall nicht irre, kann 1 Wie immer wieder behauptet wird; vgl. Riezler, Rechtsgefühl 82. 2 In diesem Sinn ist es richtig, mit M. E. Mayer, Rechtsphilosophie (1922), zu sagen, das Richtige muß erprobt werden: es muß sich auch in seinen Anwendungen als richtig erweisen; aber gemessen wird es immer mit demselben Maßstab. Es wird nicht erprobt, wie das Ergebnis der Rech- nung durch die Gegenprobe; das wäre ein Beweis. 3 Vgl. Lüdemann, Christl. Dogmatik, Bd. I. Grundlegung (1924),
149, 187ff., 324, 3. Derselbe, Das Erkennen und die Werturteile (Leipzig 1910). Vgl. Nelson, Kritik der praktischen Vernunft 405, 469, 659; System der philosophischen Rechtslehre 20 f. Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. A. (1927) 87, 266. — Weshalb <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0268" n="253"/><fw place="top" type="header">Die Rechtssetzung.</fw><lb/> nachgewiesen werden; wer das verlangt, verlangt zuviel; denn<lb/> wenn es an einem andern sich messen lassen müßte, wäre es nicht<lb/> der maßgebende Stab; und wenn es das ist, kann es nicht an ande-<lb/> rem auf seine Richtigkeit gemessen werden; es muß unmittelbar,<lb/> ohne Beurteilung und Beweis geschaut, eingesehen, empfunden<lb/> werden; deshalb kann es auch nicht weiter analysiert werden.<lb/> Daß der gefühlsmäßig empfundene Maßstab des Gerechten nicht<lb/> weiter analysiert werden kann, ist also kein Grund, ihn abzulehnen,<lb/> sondern ist notwendig seine begriffliche Voraussetzung. Will man<lb/> überhaupt einen Maßstab, so will man etwas Unmeßbares, Unableit-<lb/> bares und Unzergliederbares. Wer ihn anwendet, geht auf diese<lb/> unabweisbare Prämisse zurück. Müßte auch sie wieder bewiesen,<lb/> müßte <hi rendition="#g">jedes</hi> Urteil bewiesen werden, so könnte man keines be-<lb/> weisen. Wie soll der Kurzwarenhändler <hi rendition="#g">beweisen,</hi> daß sein Maß-<lb/> stab einen Meter lang ist, wenn die Richtigkeit des Urmeters in<lb/> Sèvres selbst bezweifelt wird? Wenn es überhaupt kein ethisches<lb/> Urmaß gibt, sind alle Werturteile vergebliche Versuche, sich die<lb/> „Richtigkeit“ dieses oder jenes Verhaltens vorzumachen. Gibt es<lb/> aber eines, so ist es unmöglich bloß relativ, veränderlich, bedingt<note place="foot" n="1">Wie immer wieder behauptet wird; vgl. <hi rendition="#g">Riezler,</hi> Rechtsgefühl 82.</note>,<lb/> sondern unbedingt und unveränderlich. Jeweilen anders sind aber<lb/> und müssen sein die Rechtspläne, die für gegebene Zeiten und<lb/> Völker ausgemessen werden, das für gegebene Voraussetzungen zu<lb/> erstrebende Ideal einer konkreten Rechtsordnung.</p><lb/> <p>Daß das Rechtsgefühl sich im einzelnen Fall nicht irre, kann<lb/> immer nur durch Vergleichung seines Urteils mit anderen Urteilen<lb/> derselben Art durch die planmäßige Betrachtung aller seiner<lb/> Urteile erprobt<note place="foot" n="2">In diesem Sinn ist es richtig, mit M. E. <hi rendition="#g">Mayer,</hi> Rechtsphilosophie<lb/> (1922), zu sagen, das Richtige muß erprobt werden: es muß sich auch in<lb/> seinen Anwendungen als richtig erweisen; aber gemessen wird es immer<lb/> mit demselben Maßstab. Es wird nicht erprobt, wie das Ergebnis der Rech-<lb/> nung durch die Gegenprobe; das wäre ein Beweis.</note> werden, also immer durch Berufung auf dieses<lb/> selbe Gefühl, und nicht auf fremde Autoritäten<note xml:id="seg2pn_39_1" next="#seg2pn_39_2" place="foot" n="3">Vgl. <hi rendition="#g">Lüdemann,</hi> Christl. Dogmatik, Bd. I. Grundlegung (1924),<lb/> 149, 187ff., 324, 3. <hi rendition="#g">Derselbe,</hi> Das Erkennen und die Werturteile (Leipzig<lb/> 1910). Vgl. <hi rendition="#g">Nelson,</hi> Kritik der praktischen Vernunft 405, 469, 659; System<lb/> der philosophischen Rechtslehre 20 f. <hi rendition="#g">Max Scheler,</hi> Der Formalismus<lb/> in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. A. (1927) 87, 266. — Weshalb</note>. Und daß alle<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [253/0268]
Die Rechtssetzung.
nachgewiesen werden; wer das verlangt, verlangt zuviel; denn
wenn es an einem andern sich messen lassen müßte, wäre es nicht
der maßgebende Stab; und wenn es das ist, kann es nicht an ande-
rem auf seine Richtigkeit gemessen werden; es muß unmittelbar,
ohne Beurteilung und Beweis geschaut, eingesehen, empfunden
werden; deshalb kann es auch nicht weiter analysiert werden.
Daß der gefühlsmäßig empfundene Maßstab des Gerechten nicht
weiter analysiert werden kann, ist also kein Grund, ihn abzulehnen,
sondern ist notwendig seine begriffliche Voraussetzung. Will man
überhaupt einen Maßstab, so will man etwas Unmeßbares, Unableit-
bares und Unzergliederbares. Wer ihn anwendet, geht auf diese
unabweisbare Prämisse zurück. Müßte auch sie wieder bewiesen,
müßte jedes Urteil bewiesen werden, so könnte man keines be-
weisen. Wie soll der Kurzwarenhändler beweisen, daß sein Maß-
stab einen Meter lang ist, wenn die Richtigkeit des Urmeters in
Sèvres selbst bezweifelt wird? Wenn es überhaupt kein ethisches
Urmaß gibt, sind alle Werturteile vergebliche Versuche, sich die
„Richtigkeit“ dieses oder jenes Verhaltens vorzumachen. Gibt es
aber eines, so ist es unmöglich bloß relativ, veränderlich, bedingt 1,
sondern unbedingt und unveränderlich. Jeweilen anders sind aber
und müssen sein die Rechtspläne, die für gegebene Zeiten und
Völker ausgemessen werden, das für gegebene Voraussetzungen zu
erstrebende Ideal einer konkreten Rechtsordnung.
Daß das Rechtsgefühl sich im einzelnen Fall nicht irre, kann
immer nur durch Vergleichung seines Urteils mit anderen Urteilen
derselben Art durch die planmäßige Betrachtung aller seiner
Urteile erprobt 2 werden, also immer durch Berufung auf dieses
selbe Gefühl, und nicht auf fremde Autoritäten 3. Und daß alle
1 Wie immer wieder behauptet wird; vgl. Riezler, Rechtsgefühl 82.
2 In diesem Sinn ist es richtig, mit M. E. Mayer, Rechtsphilosophie
(1922), zu sagen, das Richtige muß erprobt werden: es muß sich auch in
seinen Anwendungen als richtig erweisen; aber gemessen wird es immer
mit demselben Maßstab. Es wird nicht erprobt, wie das Ergebnis der Rech-
nung durch die Gegenprobe; das wäre ein Beweis.
3 Vgl. Lüdemann, Christl. Dogmatik, Bd. I. Grundlegung (1924),
149, 187ff., 324, 3. Derselbe, Das Erkennen und die Werturteile (Leipzig
1910). Vgl. Nelson, Kritik der praktischen Vernunft 405, 469, 659; System
der philosophischen Rechtslehre 20 f. Max Scheler, Der Formalismus
in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. A. (1927) 87, 266. — Weshalb
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |