wie das Recht auszugestalten sei, d. h. wie es sein solle, ist sinnlos1.
Im anderen Fall, dagegen, den wir annehmen, ist die Gesetz- gebung eine sinnvolle Tätigkeit, und es kann die Richtigkeit eines Gesetzes (unter gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen) er- wogen, obgleich nicht bewiesen werden. Die Erörterung, was als Gesetz begründet sei, ist nicht bloß ein Spiel psychologischer Kräfte, hinter dem nur der naive, unwissenschaftliche Laie einen Gedanken sucht, und das erlassene Gesetz kann auch auf seine sachliche Richtigkeit geprüft werden, nicht nur vom politischen Theoretiker sondern auch von einer staatlichen Behörde, wenn die Verfassung ihr die Zuständigkeit dazu gibt2.
2. Kapitel. Die Rechtsanwendung.
Eine Rechtsordnung wäre nicht vollständig, wenn sie nur dafür sorgte, daß alle erforderlichen Rechtssätze verbindlich gemacht werden. Das Recht ist nicht nur da, um den Einzelnen als die richtige Verhaltungsmaxime vorgeschlagen, empfohlen zu werden, sondern um angewendet und vollzogen zu werden. Eine noch so gute Gesetzgebung wäre als Rechtsordnung sinnlos, wenn niemand berufen wäre, sie anzuwenden und sie dadurch vollstreckbar zu machen. Denn es hat keinen Sinn, eine Regel als rechtsverbindlich zu erklären, d. h. als verbindlich für alle ohne Rücksicht auf die Überzeugung des Einzelnen, und es der Überzeugung des Einzelnen anheimzustellen, ob er sie befolgen will. Man kann nicht ein System von Regeln aufstellen, die befolgt werden sollen, wie sie sind, und es jedem Einzelnen überlassen, zu entscheiden, ob er diese Regeln, als Ganzes oder im einzelnen, als verbindlich be- trachten will. Wer eine Rechtsordnung macht, kann also die Aufgabe nicht von der Hand weisen, dafür zu sorgen, daß ihre abstrakten Vorschriften auch in concreto angewendet werden,
1 Vgl. Stammler, Wirtschaft und Recht § 16.
2 Wie es z. B. Jeze, Principes generaux du droit admin., 3. A., 350, richtig, aber ohne genügende Begründung annimmt, und wie es z. B. das Schweizerische Bundesgericht in Anwendung des Grundsatzes der Rechts- gleichheit in beschränktem Maße tut.
Die Rechtsanwendung.
wie das Recht auszugestalten sei, d. h. wie es sein solle, ist sinnlos1.
Im anderen Fall, dagegen, den wir annehmen, ist die Gesetz- gebung eine sinnvolle Tätigkeit, und es kann die Richtigkeit eines Gesetzes (unter gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen) er- wogen, obgleich nicht bewiesen werden. Die Erörterung, was als Gesetz begründet sei, ist nicht bloß ein Spiel psychologischer Kräfte, hinter dem nur der naive, unwissenschaftliche Laie einen Gedanken sucht, und das erlassene Gesetz kann auch auf seine sachliche Richtigkeit geprüft werden, nicht nur vom politischen Theoretiker sondern auch von einer staatlichen Behörde, wenn die Verfassung ihr die Zuständigkeit dazu gibt2.
2. Kapitel. Die Rechtsanwendung.
Eine Rechtsordnung wäre nicht vollständig, wenn sie nur dafür sorgte, daß alle erforderlichen Rechtssätze verbindlich gemacht werden. Das Recht ist nicht nur da, um den Einzelnen als die richtige Verhaltungsmaxime vorgeschlagen, empfohlen zu werden, sondern um angewendet und vollzogen zu werden. Eine noch so gute Gesetzgebung wäre als Rechtsordnung sinnlos, wenn niemand berufen wäre, sie anzuwenden und sie dadurch vollstreckbar zu machen. Denn es hat keinen Sinn, eine Regel als rechtsverbindlich zu erklären, d. h. als verbindlich für alle ohne Rücksicht auf die Überzeugung des Einzelnen, und es der Überzeugung des Einzelnen anheimzustellen, ob er sie befolgen will. Man kann nicht ein System von Regeln aufstellen, die befolgt werden sollen, wie sie sind, und es jedem Einzelnen überlassen, zu entscheiden, ob er diese Regeln, als Ganzes oder im einzelnen, als verbindlich be- trachten will. Wer eine Rechtsordnung macht, kann also die Aufgabe nicht von der Hand weisen, dafür zu sorgen, daß ihre abstrakten Vorschriften auch in concreto angewendet werden,
1 Vgl. Stammler, Wirtschaft und Recht § 16.
2 Wie es z. B. Jèze, Principes généraux du droit admin., 3. A., 350, richtig, aber ohne genügende Begründung annimmt, und wie es z. B. das Schweizerische Bundesgericht in Anwendung des Grundsatzes der Rechts- gleichheit in beschränktem Maße tut.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0270"n="255"/><fwplace="top"type="header">Die Rechtsanwendung.</fw><lb/>
wie das Recht auszugestalten sei, d. h. wie es sein <hirendition="#g">solle,</hi> ist<lb/>
sinnlos<noteplace="foot"n="1">Vgl. <hirendition="#g">Stammler,</hi> Wirtschaft und Recht § 16.</note>.</p><lb/><p>Im anderen Fall, dagegen, den wir annehmen, ist die Gesetz-<lb/>
gebung eine sinnvolle Tätigkeit, und es kann die Richtigkeit eines<lb/>
Gesetzes (unter gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen) er-<lb/>
wogen, obgleich nicht bewiesen werden. Die Erörterung, was als<lb/>
Gesetz begründet sei, ist nicht bloß ein Spiel psychologischer<lb/>
Kräfte, hinter dem nur der naive, unwissenschaftliche Laie einen<lb/>
Gedanken sucht, und das erlassene Gesetz kann auch auf seine<lb/>
sachliche Richtigkeit geprüft werden, nicht nur vom politischen<lb/>
Theoretiker sondern auch von einer staatlichen Behörde, wenn die<lb/>
Verfassung ihr die Zuständigkeit dazu gibt<noteplace="foot"n="2">Wie es z. B. <hirendition="#g">Jèze,</hi> Principes généraux du droit admin., 3. A., 350,<lb/>
richtig, aber ohne genügende Begründung annimmt, und wie es z. B. das<lb/>
Schweizerische Bundesgericht in Anwendung des Grundsatzes der Rechts-<lb/>
gleichheit in beschränktem Maße tut.</note>.</p><lb/></div><divn="3"><head>2. <hirendition="#g">Kapitel</hi>.<lb/>
Die Rechtsanwendung.</head><lb/><p>Eine Rechtsordnung wäre nicht vollständig, wenn sie nur dafür<lb/>
sorgte, daß alle erforderlichen Rechtssätze verbindlich gemacht<lb/>
werden. Das Recht ist nicht nur da, um den Einzelnen als die<lb/>
richtige Verhaltungsmaxime vorgeschlagen, empfohlen zu werden,<lb/>
sondern um angewendet und vollzogen zu werden. Eine noch so<lb/>
gute Gesetzgebung wäre als <hirendition="#g">Rechts</hi>ordnung sinnlos, wenn niemand<lb/>
berufen wäre, sie anzuwenden und sie dadurch vollstreckbar zu<lb/>
machen. Denn es hat keinen Sinn, eine Regel als rechtsverbindlich<lb/>
zu erklären, d. h. als verbindlich für alle ohne Rücksicht auf die<lb/>
Überzeugung des Einzelnen, und es der Überzeugung des Einzelnen<lb/>
anheimzustellen, ob er sie befolgen will. Man kann nicht ein<lb/>
System von Regeln aufstellen, die befolgt werden sollen, <hirendition="#g">wie sie<lb/>
sind,</hi> und es jedem Einzelnen überlassen, zu entscheiden, ob er<lb/>
diese Regeln, als Ganzes oder im einzelnen, als verbindlich be-<lb/>
trachten will. Wer eine <hirendition="#g">Rechts</hi>ordnung macht, kann also die<lb/>
Aufgabe nicht von der Hand weisen, dafür zu sorgen, daß ihre<lb/>
abstrakten Vorschriften auch in concreto angewendet werden,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[255/0270]
Die Rechtsanwendung.
wie das Recht auszugestalten sei, d. h. wie es sein solle, ist
sinnlos 1.
Im anderen Fall, dagegen, den wir annehmen, ist die Gesetz-
gebung eine sinnvolle Tätigkeit, und es kann die Richtigkeit eines
Gesetzes (unter gegebenen tatsächlichen Voraussetzungen) er-
wogen, obgleich nicht bewiesen werden. Die Erörterung, was als
Gesetz begründet sei, ist nicht bloß ein Spiel psychologischer
Kräfte, hinter dem nur der naive, unwissenschaftliche Laie einen
Gedanken sucht, und das erlassene Gesetz kann auch auf seine
sachliche Richtigkeit geprüft werden, nicht nur vom politischen
Theoretiker sondern auch von einer staatlichen Behörde, wenn die
Verfassung ihr die Zuständigkeit dazu gibt 2.
2. Kapitel.
Die Rechtsanwendung.
Eine Rechtsordnung wäre nicht vollständig, wenn sie nur dafür
sorgte, daß alle erforderlichen Rechtssätze verbindlich gemacht
werden. Das Recht ist nicht nur da, um den Einzelnen als die
richtige Verhaltungsmaxime vorgeschlagen, empfohlen zu werden,
sondern um angewendet und vollzogen zu werden. Eine noch so
gute Gesetzgebung wäre als Rechtsordnung sinnlos, wenn niemand
berufen wäre, sie anzuwenden und sie dadurch vollstreckbar zu
machen. Denn es hat keinen Sinn, eine Regel als rechtsverbindlich
zu erklären, d. h. als verbindlich für alle ohne Rücksicht auf die
Überzeugung des Einzelnen, und es der Überzeugung des Einzelnen
anheimzustellen, ob er sie befolgen will. Man kann nicht ein
System von Regeln aufstellen, die befolgt werden sollen, wie sie
sind, und es jedem Einzelnen überlassen, zu entscheiden, ob er
diese Regeln, als Ganzes oder im einzelnen, als verbindlich be-
trachten will. Wer eine Rechtsordnung macht, kann also die
Aufgabe nicht von der Hand weisen, dafür zu sorgen, daß ihre
abstrakten Vorschriften auch in concreto angewendet werden,
1 Vgl. Stammler, Wirtschaft und Recht § 16.
2 Wie es z. B. Jèze, Principes généraux du droit admin., 3. A., 350,
richtig, aber ohne genügende Begründung annimmt, und wie es z. B. das
Schweizerische Bundesgericht in Anwendung des Grundsatzes der Rechts-
gleichheit in beschränktem Maße tut.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/270>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.