Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.II. Teil. Die staatliche Verfassung. welche die Rechtsfolge zu bestimmen hat: der Steuerveranlagung,der Änderung der gewerblichen Anlage, der Entziehung der elter- lichen Gewalt, der Strafe, mit einem Wort: einer Feststellung der Behörde, welche diesen sekundären Rechtssatz anzuwenden hat. Jede verpflichtende Anordnung der rechtsanwendenden Behörden hat eine solche gesetzliche Pflicht der Rechtsgenossen zur Voraus- setzung: Die Steuerveranlagung die Steuerpflicht; die Entziehung der elterlichen Gewalt die Elternpflicht; die Bestrafung die Ver- haltungsnorm; und daß diese Pflicht im gegebenen Falle vorliege bzw. verletzt worden sei, hat die rechtsanwendende Behörde behufs Entschließung über die zu treffende Anordnung verbindlich fest- zustellen; darin besteht, wie oben erwähnt, ihre rechtsanwendende Tätigkeit. Der einzelne Rechtsgenosse aber, an den sich die Verhaltungs- Es ist daher nicht zufällig, daß die primären Verhaltungs- II. Teil. Die staatliche Verfassung. welche die Rechtsfolge zu bestimmen hat: der Steuerveranlagung,der Änderung der gewerblichen Anlage, der Entziehung der elter- lichen Gewalt, der Strafe, mit einem Wort: einer Feststellung der Behörde, welche diesen sekundären Rechtssatz anzuwenden hat. Jede verpflichtende Anordnung der rechtsanwendenden Behörden hat eine solche gesetzliche Pflicht der Rechtsgenossen zur Voraus- setzung: Die Steuerveranlagung die Steuerpflicht; die Entziehung der elterlichen Gewalt die Elternpflicht; die Bestrafung die Ver- haltungsnorm; und daß diese Pflicht im gegebenen Falle vorliege bzw. verletzt worden sei, hat die rechtsanwendende Behörde behufs Entschließung über die zu treffende Anordnung verbindlich fest- zustellen; darin besteht, wie oben erwähnt, ihre rechtsanwendende Tätigkeit. Der einzelne Rechtsgenosse aber, an den sich die Verhaltungs- Es ist daher nicht zufällig, daß die primären Verhaltungs- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0317" n="302"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/> welche die Rechtsfolge zu bestimmen hat: der Steuerveranlagung,<lb/> der Änderung der gewerblichen Anlage, der Entziehung der elter-<lb/> lichen Gewalt, der Strafe, mit einem Wort: einer Feststellung der<lb/> Behörde, welche diesen sekundären Rechtssatz anzuwenden hat.<lb/><hi rendition="#g">Jede</hi> verpflichtende Anordnung der rechtsanwendenden Behörden<lb/> hat eine solche gesetzliche Pflicht der Rechtsgenossen zur Voraus-<lb/> setzung: Die Steuerveranlagung die Steuerpflicht; die Entziehung<lb/> der elterlichen Gewalt die Elternpflicht; die Bestrafung die Ver-<lb/> haltungsnorm; und daß diese Pflicht im gegebenen Falle vorliege<lb/> bzw. verletzt worden sei, hat die rechtsanwendende Behörde behufs<lb/> Entschließung über die zu treffende Anordnung verbindlich fest-<lb/> zustellen; darin besteht, wie oben erwähnt, ihre rechtsanwendende<lb/> Tätigkeit.</p><lb/> <p>Der einzelne Rechtsgenosse aber, an den sich die Verhaltungs-<lb/> norm selbst wendet, hat keine solche verbindliche, maßgebende<lb/> Feststellung vorzunehmen. Er hat zwar die Voraussetzung in<lb/> seiner Rechtspflicht zu prüfen, aber seine „Entscheidung“ darüber<lb/> entscheidet nichts; sie läßt die Frage, ob die Voraussetzungen vor-<lb/> liegen oder nicht, unentschieden. Er kann eben das Gesetz, das<lb/> ihn verpflichtet, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes anwenden;<lb/> nur der Vertreter der Ordnung, die das Gesetz aufgestellt hat, die<lb/> staatliche Behörde, kann es.</p><lb/> <p>Es ist daher nicht zufällig, daß die primären Verhaltungs-<lb/> regeln, sofern sie lediglich als solche (und ohne Erwähnung ihrer<lb/> Durchführung durch die Behörde und der Rechtsfolgen der Ver-<lb/> letzung) aufgestellt werden, wie in den obigen Beispielen, meist<lb/> nicht in die grammatikalische Form von bedingten Sätzen ge-<lb/> kleidet werden, sondern von unbedingten kategorischen Befehlen.<lb/> Aber die grammatikalische Form ist selbstverständlich nicht ent-<lb/> scheidend. Auch die in solchen Verhaltungsmaßregeln ausge-<lb/> drückten Pflichten haben im logischen Sinn ihre tatsächlichen<lb/> Voraussetzungen, und gelegentlich werden sie auch in einem Wenn-<lb/> Satze mitgeteilt, z. B. „Wenn Föhn weht, sollen alle Herdfeuer<lb/> gelöscht werden“; „Wenn jemand mehr als Fr. 1000. — reines<lb/> Vermögen hat, soll er es erklären“. Das ist ein Zufall des Aus-<lb/> druckes. Wo nun das Gesetz das Verhalten der Rechtsgenossen<lb/> bestimmt, hat der Rechtsgenosse sich zwar über das Vorhanden-<lb/> sein dieser Voraussetzungen schlüssig zu machen, aber er ent-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [302/0317]
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
welche die Rechtsfolge zu bestimmen hat: der Steuerveranlagung,
der Änderung der gewerblichen Anlage, der Entziehung der elter-
lichen Gewalt, der Strafe, mit einem Wort: einer Feststellung der
Behörde, welche diesen sekundären Rechtssatz anzuwenden hat.
Jede verpflichtende Anordnung der rechtsanwendenden Behörden
hat eine solche gesetzliche Pflicht der Rechtsgenossen zur Voraus-
setzung: Die Steuerveranlagung die Steuerpflicht; die Entziehung
der elterlichen Gewalt die Elternpflicht; die Bestrafung die Ver-
haltungsnorm; und daß diese Pflicht im gegebenen Falle vorliege
bzw. verletzt worden sei, hat die rechtsanwendende Behörde behufs
Entschließung über die zu treffende Anordnung verbindlich fest-
zustellen; darin besteht, wie oben erwähnt, ihre rechtsanwendende
Tätigkeit.
Der einzelne Rechtsgenosse aber, an den sich die Verhaltungs-
norm selbst wendet, hat keine solche verbindliche, maßgebende
Feststellung vorzunehmen. Er hat zwar die Voraussetzung in
seiner Rechtspflicht zu prüfen, aber seine „Entscheidung“ darüber
entscheidet nichts; sie läßt die Frage, ob die Voraussetzungen vor-
liegen oder nicht, unentschieden. Er kann eben das Gesetz, das
ihn verpflichtet, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes anwenden;
nur der Vertreter der Ordnung, die das Gesetz aufgestellt hat, die
staatliche Behörde, kann es.
Es ist daher nicht zufällig, daß die primären Verhaltungs-
regeln, sofern sie lediglich als solche (und ohne Erwähnung ihrer
Durchführung durch die Behörde und der Rechtsfolgen der Ver-
letzung) aufgestellt werden, wie in den obigen Beispielen, meist
nicht in die grammatikalische Form von bedingten Sätzen ge-
kleidet werden, sondern von unbedingten kategorischen Befehlen.
Aber die grammatikalische Form ist selbstverständlich nicht ent-
scheidend. Auch die in solchen Verhaltungsmaßregeln ausge-
drückten Pflichten haben im logischen Sinn ihre tatsächlichen
Voraussetzungen, und gelegentlich werden sie auch in einem Wenn-
Satze mitgeteilt, z. B. „Wenn Föhn weht, sollen alle Herdfeuer
gelöscht werden“; „Wenn jemand mehr als Fr. 1000. — reines
Vermögen hat, soll er es erklären“. Das ist ein Zufall des Aus-
druckes. Wo nun das Gesetz das Verhalten der Rechtsgenossen
bestimmt, hat der Rechtsgenosse sich zwar über das Vorhanden-
sein dieser Voraussetzungen schlüssig zu machen, aber er ent-
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