Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Private und öffentlich-rechtliche Verbände. gibt es nun aber solche Zuständigkeiten auch im privatrechlichenVerbande mit Binnenorganisation (vgl. S. 325). Das Statut solcher Verbände entsteht zwar durch Rechtsgeschäft; es ist also im Ver- hältnis zum objektiven Recht ein zufälliges Produkt privater Will- kür; aber wenn es einmal entstanden ist, bildet es die ständige Norm des Verhaltens der Verbandsorgane, eine vom Willen des Einzelnen unabhängige Norm; im Verhältnis zu dieser Norm sind die Organe gegenüber den Mitgliedern in ähnlichem Sinne zu- ständig wie die Organe des Staates gegenüber den Staatsgenossen: nämlich kraft einer über beiden stehenden gemeinsamen Norm. Nur ist die staatliche Norm schlechthin, unbedingt verbindlich, die statuarische bedingt, nämlich sofern sie mit der objektiven Rechts- norm in Einklang steht. Aber was das Organ der Körperschaft beschließt, ist zunächst für das Mitglied verpflichtend; das Mitglied muß den formell gültigen Beschluß anfechten vor der staatlichen Behörde, wenn es ihn nicht anerkennen will (vgl. z. B. SchwZGB Art. 75). Was dagegen eine Vertragspartei der anderen gegenüber fordert,ist auch nicht in dieser bedingten Weise verbindlich, sondern bleibt eine einfache Forderung, der die Bestreitung des Vertragsgegners als gleichberechtigt gegenübersteht. Der Beschluß der Vereinsversammlung wird, wenn er nicht angefochten wird, formell (d. h. ohne Rücksicht auf seine materielle Berechtigung) verbindlich wie die Anordnung einer staatlichen Behörde; die Forderung einer Vertragspartei gegenüber der anderen wird es nicht. Darin besteht die "Gewalt",von der man im Bereiche des Verbandes mit Recht spricht1. Die Verfassung, die private, statu- tarische, wie die öffentlich-rechtliche, sind beide über den einzelnen 1 Darin besteht auch das gemeinsame des privaten und öffentlichen
Verbandsrechts, das man oft Sozialrecht genannt hat: beide Arten Verbände beruhen auf einer überindividuellen Organisation. "Endlich wurde klar, daß, wo immer in einer Gemeinschaft eine den Gliedern gegenüber selb- ständige Persönlichkeit des Ganzen anerkannt ist, überhaupt ein Rechts- system höherer Ordnung anhebt, an welches das System der individua- listischen Rechtsbeziehungen nicht heranreicht": Gierke, Die Genossen- schaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung (1887) 9, 641; Das Wesen der menschlichen Verbände (Rektoratsrede 1902) 25. Vgl. oben S. 17 f. Unter den Mitgliedern der Kollektivgesellschaft, die keine Binnenorgani- sation hat, entscheiden nicht Beschlüsse der Gesellschaftsorgane; sie stehen unter sich im "individualistischen" Verhältnis von Vertragsparteien. Private und öffentlich-rechtliche Verbände. gibt es nun aber solche Zuständigkeiten auch im privatrechlichenVerbande mit Binnenorganisation (vgl. S. 325). Das Statut solcher Verbände entsteht zwar durch Rechtsgeschäft; es ist also im Ver- hältnis zum objektiven Recht ein zufälliges Produkt privater Will- kür; aber wenn es einmal entstanden ist, bildet es die ständige Norm des Verhaltens der Verbandsorgane, eine vom Willen des Einzelnen unabhängige Norm; im Verhältnis zu dieser Norm sind die Organe gegenüber den Mitgliedern in ähnlichem Sinne zu- ständig wie die Organe des Staates gegenüber den Staatsgenossen: nämlich kraft einer über beiden stehenden gemeinsamen Norm. Nur ist die staatliche Norm schlechthin, unbedingt verbindlich, die statuarische bedingt, nämlich sofern sie mit der objektiven Rechts- norm in Einklang steht. Aber was das Organ der Körperschaft beschließt, ist zunächst für das Mitglied verpflichtend; das Mitglied muß den formell gültigen Beschluß anfechten vor der staatlichen Behörde, wenn es ihn nicht anerkennen will (vgl. z. B. SchwZGB Art. 75). Was dagegen eine Vertragspartei der anderen gegenüber fordert,ist auch nicht in dieser bedingten Weise verbindlich, sondern bleibt eine einfache Forderung, der die Bestreitung des Vertragsgegners als gleichberechtigt gegenübersteht. Der Beschluß der Vereinsversammlung wird, wenn er nicht angefochten wird, formell (d. h. ohne Rücksicht auf seine materielle Berechtigung) verbindlich wie die Anordnung einer staatlichen Behörde; die Forderung einer Vertragspartei gegenüber der anderen wird es nicht. Darin besteht die „Gewalt“,von der man im Bereiche des Verbandes mit Recht spricht1. Die Verfassung, die private, statu- tarische, wie die öffentlich-rechtliche, sind beide über den einzelnen 1 Darin besteht auch das gemeinsame des privaten und öffentlichen
Verbandsrechts, das man oft Sozialrecht genannt hat: beide Arten Verbände beruhen auf einer überindividuellen Organisation. „Endlich wurde klar, daß, wo immer in einer Gemeinschaft eine den Gliedern gegenüber selb- ständige Persönlichkeit des Ganzen anerkannt ist, überhaupt ein Rechts- system höherer Ordnung anhebt, an welches das System der individua- listischen Rechtsbeziehungen nicht heranreicht“: Gierke, Die Genossen- schaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung (1887) 9, 641; Das Wesen der menschlichen Verbände (Rektoratsrede 1902) 25. Vgl. oben S. 17 f. Unter den Mitgliedern der Kollektivgesellschaft, die keine Binnenorgani- sation hat, entscheiden nicht Beschlüsse der Gesellschaftsorgane; sie stehen unter sich im „individualistischen“ Verhältnis von Vertragsparteien. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0356" n="341"/><fw place="top" type="header">Private und öffentlich-rechtliche Verbände.</fw><lb/> gibt es nun aber solche Zuständigkeiten auch im privatrechlichen<lb/> Verbande mit Binnenorganisation (vgl. S. 325). Das Statut solcher<lb/> Verbände entsteht zwar durch Rechtsgeschäft; es ist also im Ver-<lb/> hältnis zum objektiven Recht ein zufälliges Produkt privater Will-<lb/> kür; aber wenn es einmal entstanden ist, bildet es die ständige<lb/> Norm des Verhaltens der Verbandsorgane, eine vom Willen des<lb/> Einzelnen unabhängige Norm; im Verhältnis zu dieser Norm sind<lb/> die Organe gegenüber den Mitgliedern in ähnlichem Sinne zu-<lb/> ständig wie die Organe des Staates gegenüber den Staatsgenossen:<lb/> nämlich kraft einer über beiden stehenden gemeinsamen Norm.<lb/> Nur ist die staatliche Norm schlechthin, unbedingt verbindlich, die<lb/> statuarische bedingt, nämlich sofern sie mit der objektiven Rechts-<lb/> norm in Einklang steht. Aber was das Organ der Körperschaft<lb/> beschließt, ist zunächst für das Mitglied verpflichtend; das Mitglied<lb/> muß den formell gültigen Beschluß anfechten vor der staatlichen<lb/> Behörde, wenn es ihn nicht anerkennen will (vgl. z. B. SchwZGB<lb/> Art. 75). Was dagegen eine Vertragspartei der anderen gegenüber<lb/> fordert,ist auch nicht in dieser bedingten Weise verbindlich,<lb/> sondern bleibt eine einfache Forderung, der die Bestreitung des<lb/> Vertragsgegners als gleichberechtigt gegenübersteht. Der Beschluß<lb/> der Vereinsversammlung wird, wenn er nicht angefochten wird,<lb/> formell (d. h. ohne Rücksicht auf seine materielle Berechtigung)<lb/> verbindlich wie die Anordnung einer staatlichen Behörde; die<lb/> Forderung einer Vertragspartei gegenüber der anderen wird es<lb/> nicht. Darin besteht die „Gewalt“,von der man im Bereiche des<lb/> Verbandes mit Recht spricht<note place="foot" n="1">Darin besteht auch das gemeinsame des privaten und öffentlichen<lb/> Verbandsrechts, das man oft Sozialrecht genannt hat: beide Arten Verbände<lb/> beruhen auf einer überindividuellen Organisation. „Endlich wurde klar,<lb/> daß, wo immer in einer Gemeinschaft eine den Gliedern gegenüber selb-<lb/> ständige Persönlichkeit des Ganzen anerkannt ist, überhaupt ein <hi rendition="#g">Rechts-<lb/> system höherer Ordnung</hi> anhebt, an welches das System der individua-<lb/> listischen Rechtsbeziehungen nicht heranreicht“: <hi rendition="#g">Gierke,</hi> Die Genossen-<lb/> schaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung (1887) 9, 641; Das Wesen<lb/> der menschlichen Verbände (Rektoratsrede 1902) 25. Vgl. oben S. 17 f.<lb/> Unter den Mitgliedern der Kollektivgesellschaft, die keine Binnenorgani-<lb/> sation hat, entscheiden nicht Beschlüsse der Gesellschaftsorgane; sie stehen<lb/> unter sich im „individualistischen“ Verhältnis von Vertragsparteien.</note>. Die Verfassung, die private, statu-<lb/> tarische, wie die öffentlich-rechtliche, sind beide über den einzelnen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [341/0356]
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gibt es nun aber solche Zuständigkeiten auch im privatrechlichen
Verbande mit Binnenorganisation (vgl. S. 325). Das Statut solcher
Verbände entsteht zwar durch Rechtsgeschäft; es ist also im Ver-
hältnis zum objektiven Recht ein zufälliges Produkt privater Will-
kür; aber wenn es einmal entstanden ist, bildet es die ständige
Norm des Verhaltens der Verbandsorgane, eine vom Willen des
Einzelnen unabhängige Norm; im Verhältnis zu dieser Norm sind
die Organe gegenüber den Mitgliedern in ähnlichem Sinne zu-
ständig wie die Organe des Staates gegenüber den Staatsgenossen:
nämlich kraft einer über beiden stehenden gemeinsamen Norm.
Nur ist die staatliche Norm schlechthin, unbedingt verbindlich, die
statuarische bedingt, nämlich sofern sie mit der objektiven Rechts-
norm in Einklang steht. Aber was das Organ der Körperschaft
beschließt, ist zunächst für das Mitglied verpflichtend; das Mitglied
muß den formell gültigen Beschluß anfechten vor der staatlichen
Behörde, wenn es ihn nicht anerkennen will (vgl. z. B. SchwZGB
Art. 75). Was dagegen eine Vertragspartei der anderen gegenüber
fordert,ist auch nicht in dieser bedingten Weise verbindlich,
sondern bleibt eine einfache Forderung, der die Bestreitung des
Vertragsgegners als gleichberechtigt gegenübersteht. Der Beschluß
der Vereinsversammlung wird, wenn er nicht angefochten wird,
formell (d. h. ohne Rücksicht auf seine materielle Berechtigung)
verbindlich wie die Anordnung einer staatlichen Behörde; die
Forderung einer Vertragspartei gegenüber der anderen wird es
nicht. Darin besteht die „Gewalt“,von der man im Bereiche des
Verbandes mit Recht spricht 1. Die Verfassung, die private, statu-
tarische, wie die öffentlich-rechtliche, sind beide über den einzelnen
1 Darin besteht auch das gemeinsame des privaten und öffentlichen
Verbandsrechts, das man oft Sozialrecht genannt hat: beide Arten Verbände
beruhen auf einer überindividuellen Organisation. „Endlich wurde klar,
daß, wo immer in einer Gemeinschaft eine den Gliedern gegenüber selb-
ständige Persönlichkeit des Ganzen anerkannt ist, überhaupt ein Rechts-
system höherer Ordnung anhebt, an welches das System der individua-
listischen Rechtsbeziehungen nicht heranreicht“: Gierke, Die Genossen-
schaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung (1887) 9, 641; Das Wesen
der menschlichen Verbände (Rektoratsrede 1902) 25. Vgl. oben S. 17 f.
Unter den Mitgliedern der Kollektivgesellschaft, die keine Binnenorgani-
sation hat, entscheiden nicht Beschlüsse der Gesellschaftsorgane; sie stehen
unter sich im „individualistischen“ Verhältnis von Vertragsparteien.
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