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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
welcher dem Völkerrecht den Charakter einer konventionellen
Ordnung gibt, d. h. einer Ordnung mit zufälligem Inhalt, wie
er gerade verabredet worden ist1. Die Behauptung bedarf aber
noch näherer Begründung.

Wenn wir sagen, daß es im Völkerrecht kein anderes Recht
als Vertragsrecht gibt, so soll das nicht nur heißen, daß es kein
objektives, gesetztes oder geübtes (positives) Recht gibt, sondern
auch daß es keine anderen Rechtsgeschäfte als den zweiseitigen
Vertrag geben kann, das Rechtsgeschäft, das durch die über-
einstimmende Willenserklärung zweier (oder mehrerer) Staaten
zustande kommt. (Ob diesem Rechtsgeschäft positivrechtliche
Geltung wirklich zukomme, soll unter S. 387 ff. untersucht werden.)
Es gibt keine einseitigen Rechtsgeschäfte, d. h. Rechtsgeschäfte,
durch die ein Rechtssubjekt ein anderes verpflichtet, wie im Privat-
recht die Stiftung oder die letztwillige Verfügung, da sonst die
rechtlichen Beziehungen unter den Staaten durch den Willen eines
von ihnen bestimmt werden könnten, und zwar, da es, wie noch
auszuführen (unten S. 393), keine inhaltlichen Schranken gibt, frei,
nach Belieben, was ohne Widerspruch nicht annehmbar ist2.

Ist aber alles gewillkürte Recht Vertragsrecht, so ist es alles
von gleicher Art und gleicher Geltungskraft. Früheres Recht kann
stets durch späteres abgeändert werden; die Staaten, die die erste
Ordnung (durch vertragliche Verständigung) getroffen haben, kön-
nen sie unfehlbar auch wieder abändern. Es gibt keine Hierarchie
der formellen Geltungskraft wie im Landesrecht, weil es keine
Hierarchie der Zuständigkeiten gibt (S. 269). Im Landesrecht geht die
Verfassung dem Gesetz und dieses der Verordnung vor; im Völker-
recht sind alle Anordnungen gleich, weil sie alle Verträge sind.
Ein Vertrag mag nach seinem Inhalt noch so bedeutsam, nach
seiner Form noch so feierlich sein, er wird durch jeden späteren
Vertrag (unter denselben Parteien) angeändert; und wenn nicht
alle Parteien des ersten Vertrages den zweiten schließen, so wird

1 Weshalb Kraus, Gedanken über Staatsethos im internationalen
Verkehr (1925) 263, als dem internationalen und bürgerlichen Verkehr ge-
meinsam hervorhebt den Interessenausgleich und die Interessensolidarität.
Triepel a. a. O.; Heffter-Geffcken, Das europäische Völkerrecht, 8. A.
(1889), 3 f.
2 v. Bar im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 6 146.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
welcher dem Völkerrecht den Charakter einer konventionellen
Ordnung gibt, d. h. einer Ordnung mit zufälligem Inhalt, wie
er gerade verabredet worden ist1. Die Behauptung bedarf aber
noch näherer Begründung.

Wenn wir sagen, daß es im Völkerrecht kein anderes Recht
als Vertragsrecht gibt, so soll das nicht nur heißen, daß es kein
objektives, gesetztes oder geübtes (positives) Recht gibt, sondern
auch daß es keine anderen Rechtsgeschäfte als den zweiseitigen
Vertrag geben kann, das Rechtsgeschäft, das durch die über-
einstimmende Willenserklärung zweier (oder mehrerer) Staaten
zustande kommt. (Ob diesem Rechtsgeschäft positivrechtliche
Geltung wirklich zukomme, soll unter S. 387 ff. untersucht werden.)
Es gibt keine einseitigen Rechtsgeschäfte, d. h. Rechtsgeschäfte,
durch die ein Rechtssubjekt ein anderes verpflichtet, wie im Privat-
recht die Stiftung oder die letztwillige Verfügung, da sonst die
rechtlichen Beziehungen unter den Staaten durch den Willen eines
von ihnen bestimmt werden könnten, und zwar, da es, wie noch
auszuführen (unten S. 393), keine inhaltlichen Schranken gibt, frei,
nach Belieben, was ohne Widerspruch nicht annehmbar ist2.

Ist aber alles gewillkürte Recht Vertragsrecht, so ist es alles
von gleicher Art und gleicher Geltungskraft. Früheres Recht kann
stets durch späteres abgeändert werden; die Staaten, die die erste
Ordnung (durch vertragliche Verständigung) getroffen haben, kön-
nen sie unfehlbar auch wieder abändern. Es gibt keine Hierarchie
der formellen Geltungskraft wie im Landesrecht, weil es keine
Hierarchie der Zuständigkeiten gibt (S. 269). Im Landesrecht geht die
Verfassung dem Gesetz und dieses der Verordnung vor; im Völker-
recht sind alle Anordnungen gleich, weil sie alle Verträge sind.
Ein Vertrag mag nach seinem Inhalt noch so bedeutsam, nach
seiner Form noch so feierlich sein, er wird durch jeden späteren
Vertrag (unter denselben Parteien) angeändert; und wenn nicht
alle Parteien des ersten Vertrages den zweiten schließen, so wird

1 Weshalb Kraus, Gedanken über Staatsethos im internationalen
Verkehr (1925) 263, als dem internationalen und bürgerlichen Verkehr ge-
meinsam hervorhebt den Interessenausgleich und die Interessensolidarität.
Triepel a. a. O.; Heffter-Geffcken, Das europäische Völkerrecht, 8. A.
(1889), 3 f.
2 v. Bar im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 6 146.
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[384/0399] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. welcher dem Völkerrecht den Charakter einer konventionellen Ordnung gibt, d. h. einer Ordnung mit zufälligem Inhalt, wie er gerade verabredet worden ist 1. Die Behauptung bedarf aber noch näherer Begründung. Wenn wir sagen, daß es im Völkerrecht kein anderes Recht als Vertragsrecht gibt, so soll das nicht nur heißen, daß es kein objektives, gesetztes oder geübtes (positives) Recht gibt, sondern auch daß es keine anderen Rechtsgeschäfte als den zweiseitigen Vertrag geben kann, das Rechtsgeschäft, das durch die über- einstimmende Willenserklärung zweier (oder mehrerer) Staaten zustande kommt. (Ob diesem Rechtsgeschäft positivrechtliche Geltung wirklich zukomme, soll unter S. 387 ff. untersucht werden.) Es gibt keine einseitigen Rechtsgeschäfte, d. h. Rechtsgeschäfte, durch die ein Rechtssubjekt ein anderes verpflichtet, wie im Privat- recht die Stiftung oder die letztwillige Verfügung, da sonst die rechtlichen Beziehungen unter den Staaten durch den Willen eines von ihnen bestimmt werden könnten, und zwar, da es, wie noch auszuführen (unten S. 393), keine inhaltlichen Schranken gibt, frei, nach Belieben, was ohne Widerspruch nicht annehmbar ist 2. Ist aber alles gewillkürte Recht Vertragsrecht, so ist es alles von gleicher Art und gleicher Geltungskraft. Früheres Recht kann stets durch späteres abgeändert werden; die Staaten, die die erste Ordnung (durch vertragliche Verständigung) getroffen haben, kön- nen sie unfehlbar auch wieder abändern. Es gibt keine Hierarchie der formellen Geltungskraft wie im Landesrecht, weil es keine Hierarchie der Zuständigkeiten gibt (S. 269). Im Landesrecht geht die Verfassung dem Gesetz und dieses der Verordnung vor; im Völker- recht sind alle Anordnungen gleich, weil sie alle Verträge sind. Ein Vertrag mag nach seinem Inhalt noch so bedeutsam, nach seiner Form noch so feierlich sein, er wird durch jeden späteren Vertrag (unter denselben Parteien) angeändert; und wenn nicht alle Parteien des ersten Vertrages den zweiten schließen, so wird 1 Weshalb Kraus, Gedanken über Staatsethos im internationalen Verkehr (1925) 263, als dem internationalen und bürgerlichen Verkehr ge- meinsam hervorhebt den Interessenausgleich und die Interessensolidarität. Triepel a. a. O.; Heffter-Geffcken, Das europäische Völkerrecht, 8. A. (1889), 3 f. 2 v. Bar im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 6 146.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/399>, abgerufen am 22.11.2024.