Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Das Völkerrecht. ständen und unter bestimmten Staaten als Richtlinien für ihrgegenseitiges Verhalten betrachtet werden, als Maximen, die zu befolgen, eine vernünftige Politik gebietet. Aber rechtsverbindlich werden sie erst, wenn die Staaten sie in freigewollten Vereinba- rungen verwirklicht haben, denen sie gewillt sind, ihr internes Recht anzupassen; sie werden nur so verbindlich, wie sie in der Vereinbarung anerkannt sind und weil sie dort anerkannt sind, als vereinbartes Recht, als Vertragsrecht. Außervertragliches, All- gemeines (positives) Völkerrecht kann es nicht geben1. Die Wissenschaft mag, für übersehbare Fälle, solche Verein- c) Der Annahme solcher allgemeinverbindlicher internationaler Wenn man sich vergegenwärtigt, daß jeder Staat seine 1 Vgl. die Kritik von Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 77 ff. 2 Es ist kein Ausweg aus dieser Leere des objektiven Völkerrechts,
wenn man annimmt, die Staaten seien zwar nicht von Rechts wegen zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, sie seien aber verpflichtet, ihr Ver- halten durch Vertrag zu odnen; sie seien z. B. verpflichtet, einen Handels- vertrag zur Regelung ihres wirtschaftlichen Verkehrs zu schließen oder einer Übereinkunft über die Kontrolle des Opiumhandels beizutreten. Wenn die Staaten verpflichtet wären, einen Vertrag zu schließen (der auch inhalt- lich bestimmt sein müßte), wäre es kein Vertrag; und wenn sie ihn frei schließen, sind sie vorher nicht verpflichtet (vgl. oben S. 395, Anm. 1). Eine rechtliche Verpflichtung zur vertraglichen Regelung besteht also nicht; aber daß dies der Weg der Vernunft ist das geht aus allem Gesagten hervor. Gerechte Beziehungen sind nur von frei vereinbarten Verstän- digungen, vom guten Willen vernünftiger Staatslenker zu erwarten, nicht von einem Fortschritt des allgemeinen (objektiven) Völkerrechts oder von einer internationalen Zwangsorganisation. Das Völkerrecht. ständen und unter bestimmten Staaten als Richtlinien für ihrgegenseitiges Verhalten betrachtet werden, als Maximen, die zu befolgen, eine vernünftige Politik gebietet. Aber rechtsverbindlich werden sie erst, wenn die Staaten sie in freigewollten Vereinba- rungen verwirklicht haben, denen sie gewillt sind, ihr internes Recht anzupassen; sie werden nur so verbindlich, wie sie in der Vereinbarung anerkannt sind und weil sie dort anerkannt sind, als vereinbartes Recht, als Vertragsrecht. Außervertragliches, All- gemeines (positives) Völkerrecht kann es nicht geben1. Die Wissenschaft mag, für übersehbare Fälle, solche Verein- c) Der Annahme solcher allgemeinverbindlicher internationaler Wenn man sich vergegenwärtigt, daß jeder Staat seine 1 Vgl. die Kritik von Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917) 77 ff. 2 Es ist kein Ausweg aus dieser Leere des objektiven Völkerrechts,
wenn man annimmt, die Staaten seien zwar nicht von Rechts wegen zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, sie seien aber verpflichtet, ihr Ver- halten durch Vertrag zu odnen; sie seien z. B. verpflichtet, einen Handels- vertrag zur Regelung ihres wirtschaftlichen Verkehrs zu schließen oder einer Übereinkunft über die Kontrolle des Opiumhandels beizutreten. Wenn die Staaten verpflichtet wären, einen Vertrag zu schließen (der auch inhalt- lich bestimmt sein müßte), wäre es kein Vertrag; und wenn sie ihn frei schließen, sind sie vorher nicht verpflichtet (vgl. oben S. 395, Anm. 1). Eine rechtliche Verpflichtung zur vertraglichen Regelung besteht also nicht; aber daß dies der Weg der Vernunft ist das geht aus allem Gesagten hervor. Gerechte Beziehungen sind nur von frei vereinbarten Verstän- digungen, vom guten Willen vernünftiger Staatslenker zu erwarten, nicht von einem Fortschritt des allgemeinen (objektiven) Völkerrechts oder von einer internationalen Zwangsorganisation. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0422" n="407"/><fw place="top" type="header">Das Völkerrecht.</fw><lb/> ständen und unter bestimmten Staaten als Richtlinien für ihr<lb/> gegenseitiges Verhalten betrachtet werden, als Maximen, die zu<lb/> befolgen, eine vernünftige Politik gebietet. Aber rechtsverbindlich<lb/> werden sie erst, wenn die Staaten sie in freigewollten Vereinba-<lb/> rungen verwirklicht haben, denen sie gewillt sind, ihr internes<lb/> Recht anzupassen; sie werden nur so verbindlich, wie sie in der<lb/> Vereinbarung anerkannt sind und weil sie dort anerkannt sind, als<lb/> vereinbartes Recht, als Vertragsrecht. Außervertragliches, All-<lb/> gemeines (positives) Völkerrecht kann es nicht geben<note place="foot" n="1">Vgl. die Kritik von <hi rendition="#g">Nelson,</hi> Die Rechtswissenschaft ohne Recht<lb/> (1917) 77 ff.</note>.</p><lb/> <p>Die Wissenschaft mag, für übersehbare Fälle, solche Verein-<lb/> barungen durch kritische Erörterungen vorbereiten und aufzeigen,<lb/> was hier billigerweise vereinbart werden könnte; aber was sie<lb/> dann begründet, sind abzuschließende Verträge, nicht mangels<lb/> Verträge verbindliches „gesetzliches“ objektives Völkerrecht<note place="foot" n="2">Es ist kein Ausweg aus dieser Leere des objektiven Völkerrechts,<lb/> wenn man annimmt, die Staaten seien zwar nicht von Rechts wegen zu<lb/> einem bestimmten Verhalten verpflichtet, sie seien aber verpflichtet, ihr Ver-<lb/> halten durch Vertrag zu odnen; sie seien z. B. verpflichtet, einen Handels-<lb/> vertrag zur Regelung ihres wirtschaftlichen Verkehrs zu schließen oder einer<lb/> Übereinkunft über die Kontrolle des Opiumhandels beizutreten. Wenn die<lb/> Staaten <hi rendition="#g">verpflichtet</hi> wären, einen Vertrag zu schließen (der auch inhalt-<lb/> lich bestimmt sein müßte), wäre es kein Vertrag; und wenn sie ihn frei<lb/> schließen, sind sie vorher nicht verpflichtet (vgl. oben S. 395, Anm. 1). Eine<lb/><hi rendition="#g">rechtliche</hi> Verpflichtung zur vertraglichen Regelung besteht also nicht;<lb/> aber daß dies der Weg der <hi rendition="#g">Vernunft</hi> ist das geht aus allem Gesagten<lb/> hervor. <hi rendition="#g">Gerechte</hi> Beziehungen sind nur von frei vereinbarten Verstän-<lb/> digungen, vom guten Willen vernünftiger Staatslenker zu erwarten, nicht<lb/> von einem Fortschritt des <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> (objektiven) Völkerrechts oder von<lb/> einer internationalen Zwangsorganisation.</note>.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">c)</hi> Der Annahme solcher allgemeinverbindlicher internationaler<lb/> Rechtssätze steht aber noch ein anderes Hindernis im Wege:<lb/> ein <hi rendition="#b">technisches</hi>.</p><lb/> <p>Wenn man sich vergegenwärtigt, daß jeder Staat <hi rendition="#g">seine</hi><lb/> Rechtsordnung hat, die nicht nur inhaltlich, sondern auch im be-<lb/> grifflich-konstruktiven Aufbau von der der anderen verschieden<lb/> ist, daß aber das internationale Recht, ebenfalls in Begriffen Sätze<lb/> aufstellen muß, die einen bestimmten Sinn haben, denselben für<lb/> alle Staaten, so erkennt man, daß hier eine Schwierigkeit liegt, die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [407/0422]
Das Völkerrecht.
ständen und unter bestimmten Staaten als Richtlinien für ihr
gegenseitiges Verhalten betrachtet werden, als Maximen, die zu
befolgen, eine vernünftige Politik gebietet. Aber rechtsverbindlich
werden sie erst, wenn die Staaten sie in freigewollten Vereinba-
rungen verwirklicht haben, denen sie gewillt sind, ihr internes
Recht anzupassen; sie werden nur so verbindlich, wie sie in der
Vereinbarung anerkannt sind und weil sie dort anerkannt sind, als
vereinbartes Recht, als Vertragsrecht. Außervertragliches, All-
gemeines (positives) Völkerrecht kann es nicht geben 1.
Die Wissenschaft mag, für übersehbare Fälle, solche Verein-
barungen durch kritische Erörterungen vorbereiten und aufzeigen,
was hier billigerweise vereinbart werden könnte; aber was sie
dann begründet, sind abzuschließende Verträge, nicht mangels
Verträge verbindliches „gesetzliches“ objektives Völkerrecht 2.
c) Der Annahme solcher allgemeinverbindlicher internationaler
Rechtssätze steht aber noch ein anderes Hindernis im Wege:
ein technisches.
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß jeder Staat seine
Rechtsordnung hat, die nicht nur inhaltlich, sondern auch im be-
grifflich-konstruktiven Aufbau von der der anderen verschieden
ist, daß aber das internationale Recht, ebenfalls in Begriffen Sätze
aufstellen muß, die einen bestimmten Sinn haben, denselben für
alle Staaten, so erkennt man, daß hier eine Schwierigkeit liegt, die
1 Vgl. die Kritik von Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht
(1917) 77 ff.
2 Es ist kein Ausweg aus dieser Leere des objektiven Völkerrechts,
wenn man annimmt, die Staaten seien zwar nicht von Rechts wegen zu
einem bestimmten Verhalten verpflichtet, sie seien aber verpflichtet, ihr Ver-
halten durch Vertrag zu odnen; sie seien z. B. verpflichtet, einen Handels-
vertrag zur Regelung ihres wirtschaftlichen Verkehrs zu schließen oder einer
Übereinkunft über die Kontrolle des Opiumhandels beizutreten. Wenn die
Staaten verpflichtet wären, einen Vertrag zu schließen (der auch inhalt-
lich bestimmt sein müßte), wäre es kein Vertrag; und wenn sie ihn frei
schließen, sind sie vorher nicht verpflichtet (vgl. oben S. 395, Anm. 1). Eine
rechtliche Verpflichtung zur vertraglichen Regelung besteht also nicht;
aber daß dies der Weg der Vernunft ist das geht aus allem Gesagten
hervor. Gerechte Beziehungen sind nur von frei vereinbarten Verstän-
digungen, vom guten Willen vernünftiger Staatslenker zu erwarten, nicht
von einem Fortschritt des allgemeinen (objektiven) Völkerrechts oder von
einer internationalen Zwangsorganisation.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |