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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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äußern Daseins als bewußtes, ausgesprochenes Ziel vor sich2. Abschnitt.
gehabt, ist schwer zu sagen; Mehrere aber besaßen die Sache,
so weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdischen mög-
lich ist. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Gesammt-
bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und
Character, so beobachte man dafür eine Individualität wie
die des Ariosto hauptsächlich in seinen Satiren. Bis zu
welchem Wohllaut sind da ausgeglichen der Stolz des
Menschen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen
Genüsse, der feinste Hohn und das tiefste Wohlwollen.

Wenn nun dieser Antrieb zur höchsten Ausbildung derDie
Vielseitigen.

Persönlichkeit zusammentraf mit einer wirklich mächtigen
und dabei vielseitigen Natur, welche sich zugleich aller Ele-
mente der damaligen Bildung bemeisterte, dann entstand
der "allseitige Mensch", l'uomo universale, welcher aus-
schließlich Italien angehört. Menschen von encyclopädischem
Wissen gab es durch das ganze Mittelalter in verschiedenen
Ländern, weil dieses Wissen nahe beisammen war; ebenso
kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allseitige Künstler
vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und
gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar-
zustellende Sache über die Form vorherrschte. In dem
Italien der Renaissance dagegen treffen wir einzelne Künstler,
welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in seiner
Art Vollendetes schaffen und dabei noch als Menschen den
größten Eindruck machen, Andere sind allseitig außerhalb
der ausübenden Kunst, ebenfalls in einem ungeheuer weiten
Kreise des Geistigen.

Dante, welcher schon bei Lebzeiten von den Einen
Poet, von den Andern Philosoph, von Dritten Theologe
genannt wurde 1), strömt in all seinen Schriften eine Fülle
von zwingender persönlicher Macht aus, der sich der Leser unter-
worfen fühlt auch abgesehen vom Gegenstande. Welche Willens-

1) Boccaccio, vita di Dante, p. 16.

äußern Daſeins als bewußtes, ausgeſprochenes Ziel vor ſich2. Abſchnitt.
gehabt, iſt ſchwer zu ſagen; Mehrere aber beſaßen die Sache,
ſo weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdiſchen mög-
lich iſt. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Geſammt-
bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und
Character, ſo beobachte man dafür eine Individualität wie
die des Arioſto hauptſächlich in ſeinen Satiren. Bis zu
welchem Wohllaut ſind da ausgeglichen der Stolz des
Menſchen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen
Genüſſe, der feinſte Hohn und das tiefſte Wohlwollen.

Wenn nun dieſer Antrieb zur höchſten Ausbildung derDie
Vielſeitigen.

Perſönlichkeit zuſammentraf mit einer wirklich mächtigen
und dabei vielſeitigen Natur, welche ſich zugleich aller Ele-
mente der damaligen Bildung bemeiſterte, dann entſtand
der „allſeitige Menſch“, l'uomo universale, welcher aus-
ſchließlich Italien angehört. Menſchen von encyclopädiſchem
Wiſſen gab es durch das ganze Mittelalter in verſchiedenen
Ländern, weil dieſes Wiſſen nahe beiſammen war; ebenſo
kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allſeitige Künſtler
vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und
gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar-
zuſtellende Sache über die Form vorherrſchte. In dem
Italien der Renaiſſance dagegen treffen wir einzelne Künſtler,
welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in ſeiner
Art Vollendetes ſchaffen und dabei noch als Menſchen den
größten Eindruck machen, Andere ſind allſeitig außerhalb
der ausübenden Kunſt, ebenfalls in einem ungeheuer weiten
Kreiſe des Geiſtigen.

Dante, welcher ſchon bei Lebzeiten von den Einen
Poet, von den Andern Philoſoph, von Dritten Theologe
genannt wurde 1), ſtrömt in all ſeinen Schriften eine Fülle
von zwingender perſönlicher Macht aus, der ſich der Leſer unter-
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1) Boccaccio, vita di Dante, p. 16.
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[137/0147] äußern Daſeins als bewußtes, ausgeſprochenes Ziel vor ſich gehabt, iſt ſchwer zu ſagen; Mehrere aber beſaßen die Sache, ſo weit dieß bei der Unvollkommenheit alles Irdiſchen mög- lich iſt. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Geſammt- bilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und Character, ſo beobachte man dafür eine Individualität wie die des Arioſto hauptſächlich in ſeinen Satiren. Bis zu welchem Wohllaut ſind da ausgeglichen der Stolz des Menſchen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen Genüſſe, der feinſte Hohn und das tiefſte Wohlwollen. 2. Abſchnitt. Wenn nun dieſer Antrieb zur höchſten Ausbildung der Perſönlichkeit zuſammentraf mit einer wirklich mächtigen und dabei vielſeitigen Natur, welche ſich zugleich aller Ele- mente der damaligen Bildung bemeiſterte, dann entſtand der „allſeitige Menſch“, l'uomo universale, welcher aus- ſchließlich Italien angehört. Menſchen von encyclopädiſchem Wiſſen gab es durch das ganze Mittelalter in verſchiedenen Ländern, weil dieſes Wiſſen nahe beiſammen war; ebenſo kommen noch bis ins XII. Jahrhundert allſeitige Künſtler vor, weil die Probleme der Architectur relativ einfach und gleichartig waren und in Sculptur und Malerei die dar- zuſtellende Sache über die Form vorherrſchte. In dem Italien der Renaiſſance dagegen treffen wir einzelne Künſtler, welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in ſeiner Art Vollendetes ſchaffen und dabei noch als Menſchen den größten Eindruck machen, Andere ſind allſeitig außerhalb der ausübenden Kunſt, ebenfalls in einem ungeheuer weiten Kreiſe des Geiſtigen. Die Vielſeitigen. Dante, welcher ſchon bei Lebzeiten von den Einen Poet, von den Andern Philoſoph, von Dritten Theologe genannt wurde 1), ſtrömt in all ſeinen Schriften eine Fülle von zwingender perſönlicher Macht aus, der ſich der Leſer unter- worfen fühlt auch abgeſehen vom Gegenſtande. Welche Willens- 1) Boccaccio, vita di Dante, p. 16.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/147>, abgerufen am 24.11.2024.