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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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"Sie haben sich sehr geirrt und bewiesen, daß sie den Ehr-2. Abschnitt.
"geiz der Menschen und die Begier nach Fortdauer des
"Namens wenig kannten. Wie Manche, die sich durch
"Löbliches nicht auszeichnen konnten, strebten danach durch
"Schmähliches! Jene Schriftsteller erwogen nicht, daß
"Handlungen, welche Größe an sich haben, wie dieß bei
"den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall ist,
"immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen scheinen, welcher
"Art sie auch seien und welches der Ausgang sein möge 1)."
Bei mehr als einem auffallenden und schrecklichen Unter-
nehmen wird von besonnenen Geschichtschreibern als Beweg-
grund das brennende Verlangen nach etwas Großem undDas
Herostratische.

Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart sich nicht eine
bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, sondern etwas
wirklich Dämonisches, d. h. Unfreiheit des Entschlusses ver-
bunden mit Anwendung der äußersten Mittel und Gleich-
gültigkeit gegen den Erfolg als solchen. Macchiavell selber
faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) so
auf 2); von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza
(S. 57) sagen ungefähr dasselbe die Actenstücke; die Er-
mordung des Herzogs Alessandro von Florenz (1537)
schreibt selbst Varchi (im V. Buch) der Ruhmsucht des
Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel schärfer
hebt aber Paolo Giovio 3) dieß Motiv hervor; Lorenzino,
wegen der Verstümmelung antiker Statuen in Rom durch
ein Pamphlet des Molza an den Pranger gestellt, brütet
über einer That, deren "Neuheit" jene Schmach in Ver-
gessenheit bringen sollte, und ermordet seinen Verwandten

1) Hiezu vgl. Discorsi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran-
dezza
haben und in alcuna parte generosa sein; die grandezza
kann von einer That jede infamia entfernen; der Mensch kann
onorevolmente tristo sein, im Gegensatz zum perfettamente
buono.
2) Storie fiorentine, L. VI.
3) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Marius Molsa.

„Sie haben ſich ſehr geirrt und bewieſen, daß ſie den Ehr-2. Abſchnitt.
„geiz der Menſchen und die Begier nach Fortdauer des
„Namens wenig kannten. Wie Manche, die ſich durch
„Löbliches nicht auszeichnen konnten, ſtrebten danach durch
„Schmähliches! Jene Schriftſteller erwogen nicht, daß
„Handlungen, welche Größe an ſich haben, wie dieß bei
„den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall iſt,
„immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen ſcheinen, welcher
„Art ſie auch ſeien und welches der Ausgang ſein möge 1).“
Bei mehr als einem auffallenden und ſchrecklichen Unter-
nehmen wird von beſonnenen Geſchichtſchreibern als Beweg-
grund das brennende Verlangen nach etwas Großem undDas
Heroſtratiſche.

Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart ſich nicht eine
bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, ſondern etwas
wirklich Dämoniſches, d. h. Unfreiheit des Entſchluſſes ver-
bunden mit Anwendung der äußerſten Mittel und Gleich-
gültigkeit gegen den Erfolg als ſolchen. Macchiavell ſelber
faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) ſo
auf 2); von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza
(S. 57) ſagen ungefähr daſſelbe die Actenſtücke; die Er-
mordung des Herzogs Aleſſandro von Florenz (1537)
ſchreibt ſelbſt Varchi (im V. Buch) der Ruhmſucht des
Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel ſchärfer
hebt aber Paolo Giovio 3) dieß Motiv hervor; Lorenzino,
wegen der Verſtümmelung antiker Statuen in Rom durch
ein Pamphlet des Molza an den Pranger geſtellt, brütet
über einer That, deren „Neuheit“ jene Schmach in Ver-
geſſenheit bringen ſollte, und ermordet ſeinen Verwandten

1) Hiezu vgl. Discorſi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran-
dezza
haben und in alcuna parte generosa ſein; die grandezza
kann von einer That jede infamia entfernen; der Menſch kann
onorevolmente tristo ſein, im Gegenſatz zum perfettamente
buono.
2) Storie fiorentine, L. VI.
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[153/0163] „Sie haben ſich ſehr geirrt und bewieſen, daß ſie den Ehr- „geiz der Menſchen und die Begier nach Fortdauer des „Namens wenig kannten. Wie Manche, die ſich durch „Löbliches nicht auszeichnen konnten, ſtrebten danach durch „Schmähliches! Jene Schriftſteller erwogen nicht, daß „Handlungen, welche Größe an ſich haben, wie dieß bei „den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall iſt, „immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen ſcheinen, welcher „Art ſie auch ſeien und welches der Ausgang ſein möge 1).“ Bei mehr als einem auffallenden und ſchrecklichen Unter- nehmen wird von beſonnenen Geſchichtſchreibern als Beweg- grund das brennende Verlangen nach etwas Großem und Denkwürdigem angegeben. Hier offenbart ſich nicht eine bloße Ausartung der gemeinen Eitelkeit, ſondern etwas wirklich Dämoniſches, d. h. Unfreiheit des Entſchluſſes ver- bunden mit Anwendung der äußerſten Mittel und Gleich- gültigkeit gegen den Erfolg als ſolchen. Macchiavell ſelber faßt z. B. den Character des Stefano Porcari (S. 105) ſo auf 2); von den Mördern des Galeazzo Maria Sforza (S. 57) ſagen ungefähr daſſelbe die Actenſtücke; die Er- mordung des Herzogs Aleſſandro von Florenz (1537) ſchreibt ſelbſt Varchi (im V. Buch) der Ruhmſucht des Thäters Lorenzino Medici (S. 60) zu. Noch viel ſchärfer hebt aber Paolo Giovio 3) dieß Motiv hervor; Lorenzino, wegen der Verſtümmelung antiker Statuen in Rom durch ein Pamphlet des Molza an den Pranger geſtellt, brütet über einer That, deren „Neuheit“ jene Schmach in Ver- geſſenheit bringen ſollte, und ermordet ſeinen Verwandten 2. Abſchnitt. Das Heroſtratiſche. 1) Hiezu vgl. Discorſi I. 27. Die tristizia, Verbrechen, kann gran- dezza haben und in alcuna parte generosa ſein; die grandezza kann von einer That jede infamia entfernen; der Menſch kann onorevolmente tristo ſein, im Gegenſatz zum perfettamente buono. 2) Storie fiorentine, L. VI. 3) Paul. Jov. Elogia, bei Anlaß des Marius Molſa.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/163>, abgerufen am 24.11.2024.