3. Abschnitt.ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarcophag angeblich mit der Aufschrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantasie an; die Lombarden seien sofort verschwunden sammt den Schätzen und Edelsteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere sei mit einer sichernden Essenz überzogen und so frisch, ja so beweglich gewesen wie die eines eben gestorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hieß es sogar, sie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte sie nach dem Conservatorenpalast auf dem Capitol, und dahin, um sie zu sehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen auch um sie abzumalen; "denn sie war schön, wie man es "nicht sagen noch schreiben kann, und wenn man es sagte "oder schriebe, so würden es, die sie nicht sahen, doch nicht "glauben". Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte sie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verscharrt werden; in der Hofhalle der Conservatoren blieb nur der leere Sarcophag. Wahrscheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede ist, ganz wohl passen würden. Das Rührende an der Sache ist nicht der Thatbestand sondern das feste Vorurtheil, daß der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor sich zu sehen glaubte, nothwendig herrlicher sein müsse als Alles was jetzt lebe.
Die neuen Aus- grabungenInzwischen wuchs die sachliche Kenntniß des alten Rom durch Ausgrabungen; schon unter Alexander VI. lernte man die sog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbe- decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticanischen Venus, des Torso, der Cleopatra u. a. m. 1); auch die
1) Schon unter Julius II. grub man nach in der Absicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine.
3. Abſchnitt.ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarcophag angeblich mit der Aufſchrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantaſie an; die Lombarden ſeien ſofort verſchwunden ſammt den Schätzen und Edelſteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere ſei mit einer ſichernden Eſſenz überzogen und ſo friſch, ja ſo beweglich geweſen wie die eines eben geſtorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hieß es ſogar, ſie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte ſie nach dem Conſervatorenpalaſt auf dem Capitol, und dahin, um ſie zu ſehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen auch um ſie abzumalen; „denn ſie war ſchön, wie man es „nicht ſagen noch ſchreiben kann, und wenn man es ſagte „oder ſchriebe, ſo würden es, die ſie nicht ſahen, doch nicht „glauben“. Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte ſie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verſcharrt werden; in der Hofhalle der Conſervatoren blieb nur der leere Sarcophag. Wahrſcheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede iſt, ganz wohl paſſen würden. Das Rührende an der Sache iſt nicht der Thatbeſtand ſondern das feſte Vorurtheil, daß der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor ſich zu ſehen glaubte, nothwendig herrlicher ſein müſſe als Alles was jetzt lebe.
Die neuen Aus- grabungenInzwiſchen wuchs die ſachliche Kenntniß des alten Rom durch Ausgrabungen; ſchon unter Alexander VI. lernte man die ſog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbe- decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticaniſchen Venus, des Torſo, der Cleopatra u. a. m. 1); auch die
1) Schon unter Julius II. grub man nach in der Abſicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine.
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ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen
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Lombarden ſeien ſofort verſchwunden ſammt den Schätzen
und Edelſteinen, welche im Sarcophag zum Schmuck und
Geleit der Leiche dienten; letztere ſei mit einer ſichernden
Eſſenz überzogen und ſo friſch, ja ſo beweglich geweſen wie
die eines eben geſtorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann
hieß es ſogar, ſie habe noch ganz die Farbe des Lebens,
Augen und Mund halb offen. Man brachte ſie nach dem
Conſervatorenpalaſt auf dem Capitol, und dahin, um ſie
zu ſehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; Viele kamen
auch um ſie abzumalen; „denn ſie war ſchön, wie man es
„nicht ſagen noch ſchreiben kann, und wenn man es ſagte
„oder ſchriebe, ſo würden es, die ſie nicht ſahen, doch nicht
„glauben“. Aber auf Befehl Innocenz VIII. mußte ſie
eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort
verſcharrt werden; in der Hofhalle der Conſervatoren blieb
nur der leere Sarcophag. Wahrſcheinlich war über den
Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Styles
aus Wachs oder etwas Aehnlichem modellirt, wozu die
vergoldeten Haare, von welchen die Rede iſt, ganz wohl
paſſen würden. Das Rührende an der Sache iſt nicht der
Thatbeſtand ſondern das feſte Vorurtheil, daß der antike Leib,
den man endlich hier in Wirklichkeit vor ſich zu ſehen glaubte,
nothwendig herrlicher ſein müſſe als Alles was jetzt lebe.
3. Abſchnitt.
Inzwiſchen wuchs die ſachliche Kenntniß des alten Rom
durch Ausgrabungen; ſchon unter Alexander VI. lernte
man die ſog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbe-
decoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo
den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die
glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vaticaniſchen
Venus, des Torſo, der Cleopatra u. a. m. 1); auch die
Die neuen Aus-
grabungen
1) Schon unter Julius II. grub man nach in der Abſicht, Statuen zu
finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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