Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Abschnitt.mußten sie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein
Jahrhundert gab, welches mit voller Einseitigkeit die alte
Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war
nicht mehr Schuld Einzelner sondern höhere geschichtliche
Fügung. Alle Bildung der seitherigen und künftigen Zeiten
beruht darauf daß dieß geschehen ist, und daß es damals
so ganz einseitig und mit Zurücksetzung aller andern Lebens-
zwecke geschehen ist.

Ihr Lebens-
lauf.
Der Lebenslauf der Humanisten war in der Regel
ein solcher, daß nur die stärksten sittlichen Naturen ihn
durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erste
Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den
oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder-
kind 1) ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung
in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder
aber bleiben insgemein auf einer gewissen Stufe stehen,
oder sie müssen sich die weitere Entwicklung und Geltung
unter den allerbittersten Prüfungen erkämpfen. Auch für
den aufstrebenden Jüngling war der Ruhm und das
glänzende Auftreten des Humanisten eine gefährliche Lockung;
es kam ihm vor, auch er könne "wegen angeborenen Hoch-
"sinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach-
"ten" 2). Und so stürzte man sich in ein wechselvolles,
aufreibendes Leben hinein, in welchem angestrengte Studien,

1) Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis
des hier Gesagten schuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam-
pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl.
Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Graev. thesaur. VI,
III, Col.
276. -- Das Wunderkind Cecchino Bracci, st. 1544 im
15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. --
Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem
instillare
und ihn schon als Kind in der arabischen Astrologie unter-
wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34.
2) Ausdruck des Filippo Villani, vite p. 5. bei einem solchen
Anlaß.

3. Abſchnitt.mußten ſie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein
Jahrhundert gab, welches mit voller Einſeitigkeit die alte
Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war
nicht mehr Schuld Einzelner ſondern höhere geſchichtliche
Fügung. Alle Bildung der ſeitherigen und künftigen Zeiten
beruht darauf daß dieß geſchehen iſt, und daß es damals
ſo ganz einſeitig und mit Zurückſetzung aller andern Lebens-
zwecke geſchehen iſt.

Ihr Lebens-
lauf.
Der Lebenslauf der Humaniſten war in der Regel
ein ſolcher, daß nur die ſtärkſten ſittlichen Naturen ihn
durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erſte
Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den
oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder-
kind 1) ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung
in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder
aber bleiben insgemein auf einer gewiſſen Stufe ſtehen,
oder ſie müſſen ſich die weitere Entwicklung und Geltung
unter den allerbitterſten Prüfungen erkämpfen. Auch für
den aufſtrebenden Jüngling war der Ruhm und das
glänzende Auftreten des Humaniſten eine gefährliche Lockung;
es kam ihm vor, auch er könne „wegen angeborenen Hoch-
„ſinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach-
„ten“ 2). Und ſo ſtürzte man ſich in ein wechſelvolles,
aufreibendes Leben hinein, in welchem angeſtrengte Studien,

1) Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis
des hier Geſagten ſchuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam-
pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl.
Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Græv. thesaur. VI,
III, Col.
276. — Das Wunderkind Cecchino Bracci, ſt. 1544 im
15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. —
Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem
instillare
und ihn ſchon als Kind in der arabiſchen Aſtrologie unter-
wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34.
2) Ausdruck des Filippo Villani, vite p. 5. bei einem ſolchen
Anlaß.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0280" n="270"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>mußten &#x017F;ie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein<lb/>
Jahrhundert gab, welches mit voller Ein&#x017F;eitigkeit die alte<lb/>
Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war<lb/>
nicht mehr Schuld Einzelner &#x017F;ondern höhere ge&#x017F;chichtliche<lb/>
Fügung. Alle Bildung der &#x017F;eitherigen und künftigen Zeiten<lb/>
beruht darauf daß dieß ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, und daß es damals<lb/>
&#x017F;o ganz ein&#x017F;eitig und mit Zurück&#x017F;etzung aller andern Lebens-<lb/>
zwecke ge&#x017F;chehen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><note place="left">Ihr Lebens-<lb/>
lauf.</note>Der Lebenslauf der Humani&#x017F;ten war in der Regel<lb/>
ein &#x017F;olcher, daß nur die &#x017F;tärk&#x017F;ten &#x017F;ittlichen Naturen ihn<lb/>
durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die er&#x017F;te<lb/>
Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den<lb/>
oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder-<lb/>
kind <note place="foot" n="1)">Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis<lb/>
des hier Ge&#x017F;agten &#x017F;chuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam-<lb/>
pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl.<lb/><hi rendition="#aq">Scardeonius, de urb. Patav. antiq.,</hi> bei <hi rendition="#aq">Græv. thesaur. VI,<lb/>
III, Col.</hi> 276. &#x2014; Das Wunderkind Cecchino Bracci, &#x017F;t. 1544 im<lb/>
15. Jahr, vgl. <hi rendition="#aq">Trucchi, poesie ital. inedite III, p.</hi> 229. &#x2014;<lb/>
Wie der Vater des Cardano ihm wollte <hi rendition="#aq">memoriam artificialem<lb/>
instillare</hi> und ihn &#x017F;chon als Kind in der arabi&#x017F;chen A&#x017F;trologie unter-<lb/>
wies, vgl. <hi rendition="#aq">Cardanus, de propria vita, cap.</hi> 34.</note> ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung<lb/>
in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder<lb/>
aber bleiben insgemein auf einer gewi&#x017F;&#x017F;en Stufe &#x017F;tehen,<lb/>
oder &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die weitere Entwicklung und Geltung<lb/>
unter den allerbitter&#x017F;ten Prüfungen erkämpfen. Auch für<lb/>
den auf&#x017F;trebenden Jüngling war der Ruhm und das<lb/>
glänzende Auftreten des Humani&#x017F;ten eine gefährliche Lockung;<lb/>
es kam ihm vor, auch er könne &#x201E;wegen angeborenen Hoch-<lb/>
&#x201E;&#x017F;inns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach-<lb/>
&#x201E;ten&#x201C; <note place="foot" n="2)">Ausdruck des <hi rendition="#aq">Filippo Villani, vite p.</hi> 5. bei einem &#x017F;olchen<lb/>
Anlaß.</note>. Und &#x017F;o &#x017F;türzte man &#x017F;ich in ein wech&#x017F;elvolles,<lb/>
aufreibendes Leben hinein, in welchem ange&#x017F;trengte Studien,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] mußten ſie hier in Nachtheil gerathen. Daß es aber ein Jahrhundert gab, welches mit voller Einſeitigkeit die alte Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war nicht mehr Schuld Einzelner ſondern höhere geſchichtliche Fügung. Alle Bildung der ſeitherigen und künftigen Zeiten beruht darauf daß dieß geſchehen iſt, und daß es damals ſo ganz einſeitig und mit Zurückſetzung aller andern Lebens- zwecke geſchehen iſt. 3. Abſchnitt. Der Lebenslauf der Humaniſten war in der Regel ein ſolcher, daß nur die ſtärkſten ſittlichen Naturen ihn durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erſte Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunder- kind 1) ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung in jenem Stande, der damals Alles galt. Wunderkinder aber bleiben insgemein auf einer gewiſſen Stufe ſtehen, oder ſie müſſen ſich die weitere Entwicklung und Geltung unter den allerbitterſten Prüfungen erkämpfen. Auch für den aufſtrebenden Jüngling war der Ruhm und das glänzende Auftreten des Humaniſten eine gefährliche Lockung; es kam ihm vor, auch er könne „wegen angeborenen Hoch- „ſinns die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beach- „ten“ 2). Und ſo ſtürzte man ſich in ein wechſelvolles, aufreibendes Leben hinein, in welchem angeſtrengte Studien, Ihr Lebens- lauf. 1) Solche kommen mehrere vor, doch muß ich einen eigentlichen Beweis des hier Geſagten ſchuldig bleiben. Das Wunderkind Giulio Cam- pagnola gehört nicht zu den aus Ehrgeiz emporgetriebenen. Vgl. Scardeonius, de urb. Patav. antiq., bei Græv. thesaur. VI, III, Col. 276. — Das Wunderkind Cecchino Bracci, ſt. 1544 im 15. Jahr, vgl. Trucchi, poesie ital. inedite III, p. 229. — Wie der Vater des Cardano ihm wollte memoriam artificialem instillare und ihn ſchon als Kind in der arabiſchen Aſtrologie unter- wies, vgl. Cardanus, de propria vita, cap. 34. 2) Ausdruck des Filippo Villani, vite p. 5. bei einem ſolchen Anlaß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/280
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/280>, abgerufen am 22.11.2024.