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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Hauslehrerschaft, Secretariat, Professur, Dienstbarkeit bei3. Abschnitt.
Fürsten, tödtliche Feindschaften und Gefahren, begeisterte
Bewunderung und Ueberschüttung mit Hohn, Ueberfluß und
Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegensten Wissen
konnte der flachste Dilettantismus bisweilen den Rang ab-
laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieser Stand mit
einer festen Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er
entweder den Ortswechsel geradezu erforderte, oder den
Menschen so stimmte, daß ihm nirgends lange wohl sein
konnte. Während er der Leute des Ortes satt wurde und
im Wirbel der Feindschaften sich übel befand, verlangten
auch eben jene Leute stets Neues (S. 207). So ManchesVergleichung
mit
den Sophisten

hier auch an die griechischen Sophisten der Kaiserzeit er-
innert, wie sie Philostratus beschreibt, so standen diese doch
günstiger, indem sie großentheils Reichthümer besaßen, oder
leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil sie
nicht sowohl Gelehrte als ausübende Virtuosen der Rede
waren. Der Humanist der Renaissance dagegen muß eine
große Erudition und einen Strudel der verschiedensten Lagen
und Beschäftigungen zu tragen wissen. Dazu dann, um
sich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, sobald man
ihm ohnehin das Schlimmste zutraute, Gleichgültigkeit
gegen alle sonst geltende Moral. Ohne Hochmuth sind
solche Charactere vollends nicht denkbar; sie bedürfen des-
selben schon um oben schwimmend zu bleiben und die mit dem
Haß abwechselnde Vergötterung bestärkt sie nothwendig
darin. Sie sind die auffallendsten Beispiele und Opfer
der entfesselten Subjectivität.

Die Klagen wie die satirischen Schilderungen beginnen,Ankläger im
XV. Jahrh.;

wie bemerkt, schon früh, indem ja für jeden entwickelten
Individualismus, für jede Art von Celebrität ein bestimmter
Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja
die Betreffenden selber das furchtbarste Material, welches
man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert
ordnet Battista Mantovano in der Aufzählung der sieben

Hauslehrerſchaft, Secretariat, Profeſſur, Dienſtbarkeit bei3. Abſchnitt.
Fürſten, tödtliche Feindſchaften und Gefahren, begeiſterte
Bewunderung und Ueberſchüttung mit Hohn, Ueberfluß und
Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegenſten Wiſſen
konnte der flachſte Dilettantismus bisweilen den Rang ab-
laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieſer Stand mit
einer feſten Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er
entweder den Ortswechſel geradezu erforderte, oder den
Menſchen ſo ſtimmte, daß ihm nirgends lange wohl ſein
konnte. Während er der Leute des Ortes ſatt wurde und
im Wirbel der Feindſchaften ſich übel befand, verlangten
auch eben jene Leute ſtets Neues (S. 207). So ManchesVergleichung
mit
den Sophiſten

hier auch an die griechiſchen Sophiſten der Kaiſerzeit er-
innert, wie ſie Philoſtratus beſchreibt, ſo ſtanden dieſe doch
günſtiger, indem ſie großentheils Reichthümer beſaßen, oder
leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil ſie
nicht ſowohl Gelehrte als ausübende Virtuoſen der Rede
waren. Der Humaniſt der Renaiſſance dagegen muß eine
große Erudition und einen Strudel der verſchiedenſten Lagen
und Beſchäftigungen zu tragen wiſſen. Dazu dann, um
ſich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, ſobald man
ihm ohnehin das Schlimmſte zutraute, Gleichgültigkeit
gegen alle ſonſt geltende Moral. Ohne Hochmuth ſind
ſolche Charactere vollends nicht denkbar; ſie bedürfen des-
ſelben ſchon um oben ſchwimmend zu bleiben und die mit dem
Haß abwechſelnde Vergötterung beſtärkt ſie nothwendig
darin. Sie ſind die auffallendſten Beiſpiele und Opfer
der entfeſſelten Subjectivität.

Die Klagen wie die ſatiriſchen Schilderungen beginnen,Ankläger im
XV. Jahrh.;

wie bemerkt, ſchon früh, indem ja für jeden entwickelten
Individualismus, für jede Art von Celebrität ein beſtimmter
Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja
die Betreffenden ſelber das furchtbarſte Material, welches
man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert
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[271/0281] Hauslehrerſchaft, Secretariat, Profeſſur, Dienſtbarkeit bei Fürſten, tödtliche Feindſchaften und Gefahren, begeiſterte Bewunderung und Ueberſchüttung mit Hohn, Ueberfluß und Armuth wirr aufeinander folgten. Dem gediegenſten Wiſſen konnte der flachſte Dilettantismus bisweilen den Rang ab- laufen. Das Hauptübel aber war, daß dieſer Stand mit einer feſten Heimath beinahe unverträglich blieb, indem er entweder den Ortswechſel geradezu erforderte, oder den Menſchen ſo ſtimmte, daß ihm nirgends lange wohl ſein konnte. Während er der Leute des Ortes ſatt wurde und im Wirbel der Feindſchaften ſich übel befand, verlangten auch eben jene Leute ſtets Neues (S. 207). So Manches hier auch an die griechiſchen Sophiſten der Kaiſerzeit er- innert, wie ſie Philoſtratus beſchreibt, ſo ſtanden dieſe doch günſtiger, indem ſie großentheils Reichthümer beſaßen, oder leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil ſie nicht ſowohl Gelehrte als ausübende Virtuoſen der Rede waren. Der Humaniſt der Renaiſſance dagegen muß eine große Erudition und einen Strudel der verſchiedenſten Lagen und Beſchäftigungen zu tragen wiſſen. Dazu dann, um ſich zu betäuben, unordentlicher Genuß, und, ſobald man ihm ohnehin das Schlimmſte zutraute, Gleichgültigkeit gegen alle ſonſt geltende Moral. Ohne Hochmuth ſind ſolche Charactere vollends nicht denkbar; ſie bedürfen des- ſelben ſchon um oben ſchwimmend zu bleiben und die mit dem Haß abwechſelnde Vergötterung beſtärkt ſie nothwendig darin. Sie ſind die auffallendſten Beiſpiele und Opfer der entfeſſelten Subjectivität. 3. Abſchnitt. Vergleichung mit den Sophiſten Die Klagen wie die ſatiriſchen Schilderungen beginnen, wie bemerkt, ſchon früh, indem ja für jeden entwickelten Individualismus, für jede Art von Celebrität ein beſtimmter Hohn als Zuchtruthe vorhanden war. Zudem lieferten ja die Betreffenden ſelber das furchtbarſte Material, welches man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert ordnet Battiſta Mantovano in der Aufzählung der ſieben Ankläger im XV. Jahrh.;

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/281>, abgerufen am 22.11.2024.