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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.sie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer
nur ein Stück hört und zugleich den Rhapsoden vor sich
sich sieht. In Betreff der vorgeschriebenen Figuren ist die
Stimmung des Dichters eine doppelte: seine humanistische
Bildung protestirt gegen das mittelalterliche Wesen derselben,
während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen
Turnier- und Kriegswesens alle mögliche Kennerschaft und
poetische Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf-
gabe des Recitanten sind. Deßhalb kömmt es selbst bei
Luigi Pulci.Pulci 1) zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums,
wenn auch die komisch derbe Redeweise seiner Paladine oft
daran streift. Daneben stellt er das Ideal der Rauflust,
seinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit seinem
Glockenschwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch
diesen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber-
stellung des absurden und dabei höchst merkwürdigen Mon-
strum's Margutte. Ein besonderes Gewicht legt aber Pulci
auf diese beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere
keinesweges, und seine Geschichte geht auch nachdem sie
längst daraus verschwunden sind, ihren wunderlichen Gang
Bojardo.weiter. Auch Bojardo 2) steht ganz bewußt über seinen
Gestalten und braucht sie nach Belieben ernst und komisch;
selbst mit den dämonischen Wesen treibt er seinen Spaß
und schildert sie bisweilen absichtlich als tölpelhaft. Es
giebt aber eine künstlerische Aufgabe, mit welchem er es
sich so sehr ernst sein läßt wie Pulci; nämlich die äußerst
lebendige und, man möchte sagen technisch genaue Schilde-
rung aller Hergänge. -- Pulci recitirte sein Gedicht, sobald
wieder ein Gesang fertig war, vor der Gesellschaft des Lo-
renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das seinige vor
dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht,

1) Der Morgante zuerst gedruckt vor 1488. -- Das Turnierwesen
s. unten.
2) Der Orlando inamorato zuerst gedruckt 1496.

4. Abſchnitt.ſie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer
nur ein Stück hört und zugleich den Rhapſoden vor ſich
ſich ſieht. In Betreff der vorgeſchriebenen Figuren iſt die
Stimmung des Dichters eine doppelte: ſeine humaniſtiſche
Bildung proteſtirt gegen das mittelalterliche Weſen derſelben,
während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen
Turnier- und Kriegsweſens alle mögliche Kennerſchaft und
poetiſche Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf-
gabe des Recitanten ſind. Deßhalb kömmt es ſelbſt bei
Luigi Pulci.Pulci 1) zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums,
wenn auch die komiſch derbe Redeweiſe ſeiner Paladine oft
daran ſtreift. Daneben ſtellt er das Ideal der Raufluſt,
ſeinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit ſeinem
Glockenſchwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch
dieſen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber-
ſtellung des abſurden und dabei höchſt merkwürdigen Mon-
ſtrum's Margutte. Ein beſonderes Gewicht legt aber Pulci
auf dieſe beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere
keinesweges, und ſeine Geſchichte geht auch nachdem ſie
längſt daraus verſchwunden ſind, ihren wunderlichen Gang
Bojardo.weiter. Auch Bojardo 2) ſteht ganz bewußt über ſeinen
Geſtalten und braucht ſie nach Belieben ernſt und komiſch;
ſelbſt mit den dämoniſchen Weſen treibt er ſeinen Spaß
und ſchildert ſie bisweilen abſichtlich als tölpelhaft. Es
giebt aber eine künſtleriſche Aufgabe, mit welchem er es
ſich ſo ſehr ernſt ſein läßt wie Pulci; nämlich die äußerſt
lebendige und, man möchte ſagen techniſch genaue Schilde-
rung aller Hergänge. — Pulci recitirte ſein Gedicht, ſobald
wieder ein Geſang fertig war, vor der Geſellſchaft des Lo-
renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das ſeinige vor
dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht,

1) Der Morgante zuerſt gedruckt vor 1488. — Das Turnierweſen
ſ. unten.
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[322/0332] ſie verlangen, der Hörer denkt nicht daran, da er immer nur ein Stück hört und zugleich den Rhapſoden vor ſich ſich ſieht. In Betreff der vorgeſchriebenen Figuren iſt die Stimmung des Dichters eine doppelte: ſeine humaniſtiſche Bildung proteſtirt gegen das mittelalterliche Weſen derſelben, während doch ihre Kämpfe als Seitenbild des damaligen Turnier- und Kriegsweſens alle mögliche Kennerſchaft und poetiſche Hingebung erfordern und zugleich eine Glanzauf- gabe des Recitanten ſind. Deßhalb kömmt es ſelbſt bei Pulci 1) zu keiner eigentlichen Parodie des Ritterthums, wenn auch die komiſch derbe Redeweiſe ſeiner Paladine oft daran ſtreift. Daneben ſtellt er das Ideal der Raufluſt, ſeinen drolligen und gutmüthigen Morgante, der mit ſeinem Glockenſchwengel ganze Armeen bändigt; ja er weiß auch dieſen wiederum relativ zu verklären durch die Gegenüber- ſtellung des abſurden und dabei höchſt merkwürdigen Mon- ſtrum's Margutte. Ein beſonderes Gewicht legt aber Pulci auf dieſe beiden derb und kräftig gezeichneten Charactere keinesweges, und ſeine Geſchichte geht auch nachdem ſie längſt daraus verſchwunden ſind, ihren wunderlichen Gang weiter. Auch Bojardo 2) ſteht ganz bewußt über ſeinen Geſtalten und braucht ſie nach Belieben ernſt und komiſch; ſelbſt mit den dämoniſchen Weſen treibt er ſeinen Spaß und ſchildert ſie bisweilen abſichtlich als tölpelhaft. Es giebt aber eine künſtleriſche Aufgabe, mit welchem er es ſich ſo ſehr ernſt ſein läßt wie Pulci; nämlich die äußerſt lebendige und, man möchte ſagen techniſch genaue Schilde- rung aller Hergänge. — Pulci recitirte ſein Gedicht, ſobald wieder ein Geſang fertig war, vor der Geſellſchaft des Lo- renzo magnifico, und gleichermaßen Bojardo das ſeinige vor dem Hofe des Ercole von Ferrara; nun erräth man leicht, 4. Abſchnitt. Luigi Pulci. Bojardo. 1) Der Morgante zuerſt gedruckt vor 1488. — Das Turnierweſen ſ. unten. 2) Der Orlando inamorato zuerſt gedruckt 1496.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/332>, abgerufen am 21.11.2024.