Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

5. Abschnitt.Aus der Procession aber entwickelt sich in den eben
gelegenen italienischen Städten mit ihren breiten 1), wohl-
gepflasterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co-
stumirten zu Wagen und zu Fuß, erst von überwiegend
geistlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung.
Fronleichnamsprocession und Carnevalszug berühren sich
hier in einem gemeinsamen Prachtstyl, welchem sich dann
auch fürstliche Einzüge anschließen. Auch die übrigen Völker
verlangten bei solchen Gelegenheiten bisweilen den größten
Aufwand, in Italien allein aber bildete sich eine kunstge-
rechte Behandlungsweise, die den Zug als sinnvolles Ganzes
componirte und ausstattete.

Heutiger Be-
stand.
Was von diesen Dingen heute noch in Uebung ist,
kann nur ein armer Ueberrest heißen. Kirchliche sowohl als
fürstliche Aufzüge haben sich des dramatischen Elementes,
der Costumirung, fast völlig entledigt, weil man den Spott
fürchtet und weil die gebildeten Classen, welche ehemals
diesen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verschiedenen
Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch
am Carneval sind die großen Maskenzüge außer Uebung.
Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geistlichen
Masken bei Umzügen von Bruderschaften, ja selbst das
pomphafte Rosalienfest zu Palermo, verräth deutlich, wie
weit sich die höhere Bildung von diesen Dingen zurückge-
zogen hat.

Die volle Blüthe des Festwesens tritt erst mit dem
entschiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr-
hundert ein 2), wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien

1) Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens.
2) Die Festlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von
Mailand 1395 (Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch
etwas roh mittelalterliches, und das dramatische Element fehlt noch
ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia

5. Abſchnitt.Aus der Proceſſion aber entwickelt ſich in den eben
gelegenen italieniſchen Städten mit ihren breiten 1), wohl-
gepflaſterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co-
ſtumirten zu Wagen und zu Fuß, erſt von überwiegend
geiſtlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung.
Fronleichnamsproceſſion und Carnevalszug berühren ſich
hier in einem gemeinſamen Prachtſtyl, welchem ſich dann
auch fürſtliche Einzüge anſchließen. Auch die übrigen Völker
verlangten bei ſolchen Gelegenheiten bisweilen den größten
Aufwand, in Italien allein aber bildete ſich eine kunſtge-
rechte Behandlungsweiſe, die den Zug als ſinnvolles Ganzes
componirte und ausſtattete.

Heutiger Be-
ſtand.
Was von dieſen Dingen heute noch in Uebung iſt,
kann nur ein armer Ueberreſt heißen. Kirchliche ſowohl als
fürſtliche Aufzüge haben ſich des dramatiſchen Elementes,
der Coſtumirung, faſt völlig entledigt, weil man den Spott
fürchtet und weil die gebildeten Claſſen, welche ehemals
dieſen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verſchiedenen
Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch
am Carneval ſind die großen Maskenzüge außer Uebung.
Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geiſtlichen
Masken bei Umzügen von Bruderſchaften, ja ſelbſt das
pomphafte Roſalienfeſt zu Palermo, verräth deutlich, wie
weit ſich die höhere Bildung von dieſen Dingen zurückge-
zogen hat.

Die volle Blüthe des Feſtweſens tritt erſt mit dem
entſchiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr-
hundert ein 2), wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien

1) Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens.
2) Die Feſtlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von
Mailand 1395 (Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch
etwas roh mittelalterliches, und das dramatiſche Element fehlt noch
ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0412" n="402"/>
        <p><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">5. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>Aus der Proce&#x017F;&#x017F;ion aber entwickelt &#x017F;ich in den eben<lb/>
gelegenen italieni&#x017F;chen Städten mit ihren breiten <note place="foot" n="1)">Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens.</note>, wohl-<lb/>
gepfla&#x017F;terten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co-<lb/>
&#x017F;tumirten zu Wagen und zu Fuß, er&#x017F;t von überwiegend<lb/>
gei&#x017F;tlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung.<lb/>
Fronleichnamsproce&#x017F;&#x017F;ion und Carnevalszug berühren &#x017F;ich<lb/>
hier in einem gemein&#x017F;amen Pracht&#x017F;tyl, welchem &#x017F;ich dann<lb/>
auch für&#x017F;tliche Einzüge an&#x017F;chließen. Auch die übrigen Völker<lb/>
verlangten bei &#x017F;olchen Gelegenheiten bisweilen den größten<lb/>
Aufwand, in Italien allein aber bildete &#x017F;ich eine kun&#x017F;tge-<lb/>
rechte Behandlungswei&#x017F;e, die den Zug als &#x017F;innvolles Ganzes<lb/>
componirte und aus&#x017F;tattete.</p><lb/>
        <p><note place="left">Heutiger Be-<lb/>
&#x017F;tand.</note>Was von die&#x017F;en Dingen heute noch in Uebung i&#x017F;t,<lb/>
kann nur ein armer Ueberre&#x017F;t heißen. Kirchliche &#x017F;owohl als<lb/>
für&#x017F;tliche Aufzüge haben &#x017F;ich des dramati&#x017F;chen Elementes,<lb/>
der Co&#x017F;tumirung, fa&#x017F;t völlig entledigt, weil man den Spott<lb/>
fürchtet und weil die gebildeten Cla&#x017F;&#x017F;en, welche ehemals<lb/>
die&#x017F;en Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch<lb/>
am Carneval &#x017F;ind die großen Maskenzüge außer Uebung.<lb/>
Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen gei&#x017F;tlichen<lb/>
Masken bei Umzügen von Bruder&#x017F;chaften, ja &#x017F;elb&#x017F;t das<lb/>
pomphafte Ro&#x017F;alienfe&#x017F;t zu Palermo, verräth deutlich, wie<lb/>
weit &#x017F;ich die höhere Bildung von die&#x017F;en Dingen zurückge-<lb/>
zogen hat.</p><lb/>
        <p>Die volle Blüthe des Fe&#x017F;twe&#x017F;ens tritt er&#x017F;t mit dem<lb/>
ent&#x017F;chiedenen Siege des Modernen, mit dem <hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahr-<lb/>
hundert ein <note xml:id="seg2pn_27_1" next="#seg2pn_27_2" place="foot" n="2)">Die Fe&#x017F;tlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von<lb/>
Mailand 1395 (<hi rendition="#aq">Corio, fol.</hi> 274) haben bei größter Pracht noch<lb/>
etwas roh mittelalterliches, und das dramati&#x017F;che Element fehlt noch<lb/>
ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia</note>, wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0412] Aus der Proceſſion aber entwickelt ſich in den eben gelegenen italieniſchen Städten mit ihren breiten 1), wohl- gepflaſterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Co- ſtumirten zu Wagen und zu Fuß, erſt von überwiegend geiſtlicher, dann mehr und mehr von weltlicher Bedeutung. Fronleichnamsproceſſion und Carnevalszug berühren ſich hier in einem gemeinſamen Prachtſtyl, welchem ſich dann auch fürſtliche Einzüge anſchließen. Auch die übrigen Völker verlangten bei ſolchen Gelegenheiten bisweilen den größten Aufwand, in Italien allein aber bildete ſich eine kunſtge- rechte Behandlungsweiſe, die den Zug als ſinnvolles Ganzes componirte und ausſtattete. 5. Abſchnitt. Was von dieſen Dingen heute noch in Uebung iſt, kann nur ein armer Ueberreſt heißen. Kirchliche ſowohl als fürſtliche Aufzüge haben ſich des dramatiſchen Elementes, der Coſtumirung, faſt völlig entledigt, weil man den Spott fürchtet und weil die gebildeten Claſſen, welche ehemals dieſen Dingen ihre volle Kraft widmeten, aus verſchiedenen Gründen keine Freude mehr daran haben können. Auch am Carneval ſind die großen Maskenzüge außer Uebung. Was noch weiterlebt, wie z. B. die einzelnen geiſtlichen Masken bei Umzügen von Bruderſchaften, ja ſelbſt das pomphafte Roſalienfeſt zu Palermo, verräth deutlich, wie weit ſich die höhere Bildung von dieſen Dingen zurückge- zogen hat. Heutiger Be- ſtand. Die volle Blüthe des Feſtweſens tritt erſt mit dem entſchiedenen Siege des Modernen, mit dem XV. Jahr- hundert ein 2), wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien 1) Dieß im Vergleich mit den Städten des Nordens. 2) Die Feſtlichkeiten bei der Erhebung des Visconti zum Herzog von Mailand 1395 (Corio, fol. 274) haben bei größter Pracht noch etwas roh mittelalterliches, und das dramatiſche Element fehlt noch ganz. Vgl. auch die relative Geringfügigkeit der Aufzüge in Pavia

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/412
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/412>, abgerufen am 21.11.2024.