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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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5. Abschnitt.los; der Beschreiber des Festes, Olivier selbst, kam als
"Kirche" costumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines
Elephanten, den ein Riese führte, und sang eine lange
Klage über den Sieg der Ungläubigen 1).

Repräsentanten
des
Allgemeinen.
Wenn aber aber auch die Allegorien der italienischen
Dichtungen, Kunstwerke und Feste an Geschmack und Zu-
sammenhang im Ganzen höher stehen, so bilden sie doch
nicht die starke Seite. Der entscheidende Vortheil 2) lag
viel mehr darin, daß man hier außer den Personificationen
des Allgemeinen auch historische Repräsentanten desselben
Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichterische
Aufzählung wie an die künstlerische Darstellung zahlreicher
berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie,
die Trionfi des Petrarca, die Amorosa Visione des Boc-
caccio -- lauter Werke, welche hierauf gegründet sind --
außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch
das Alterthum hatten die Nation mit diesem historischen
Element vertraut gemacht. Und nun erschienen diese Ge-
stalten auch bei Festzügen entweder völlig individualisirt,
als bestimmte Masken, oder wenigstens als Gruppen, als
characteristisches Geleite einer allegorischen Hauptfigur oder
Hauptsache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweise
componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollsten Aufführun-
gen im Norden zwischen unergründliche Symbolik und buntes
sinnloses Spiel getheilt waren.

Die Mysterien,Wir beginnen mit der vielleicht ältesten Gattung, den
Mysterien 3). Sie gleichen im Ganzen denjenigen des

1) Für andere französische Feste s. z. B Juvenal des Ursins ad a.
1389 (Einzug der Königin Isabeau); -- Jean de Troyes ad a.
1461 (Einzug Ludwigs XI.). Auch hier fehlt es nicht ganz an
Schwebemaschinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles ist
bunter, zusammenhangloser und die Allegorien meist unergründlich.
2) D. h. ein Vortheil für sehr große Dichter und Künstler, die etwas
damit anzufangen wußten.
3) Vgl. Bartol. Gamba, notizie intorno alle opere di Feo Bel-

5. Abſchnitt.los; der Beſchreiber des Feſtes, Olivier ſelbſt, kam als
„Kirche“ coſtumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines
Elephanten, den ein Rieſe führte, und ſang eine lange
Klage über den Sieg der Ungläubigen 1).

Repräſentanten
des
Allgemeinen.
Wenn aber aber auch die Allegorien der italieniſchen
Dichtungen, Kunſtwerke und Feſte an Geſchmack und Zu-
ſammenhang im Ganzen höher ſtehen, ſo bilden ſie doch
nicht die ſtarke Seite. Der entſcheidende Vortheil 2) lag
viel mehr darin, daß man hier außer den Perſonificationen
des Allgemeinen auch hiſtoriſche Repräſentanten deſſelben
Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichteriſche
Aufzählung wie an die künſtleriſche Darſtellung zahlreicher
berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie,
die Trionfi des Petrarca, die Amoroſa Viſione des Boc-
caccio — lauter Werke, welche hierauf gegründet ſind —
außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch
das Alterthum hatten die Nation mit dieſem hiſtoriſchen
Element vertraut gemacht. Und nun erſchienen dieſe Ge-
ſtalten auch bei Feſtzügen entweder völlig individualiſirt,
als beſtimmte Masken, oder wenigſtens als Gruppen, als
characteriſtiſches Geleite einer allegoriſchen Hauptfigur oder
Hauptſache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweiſe
componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollſten Aufführun-
gen im Norden zwiſchen unergründliche Symbolik und buntes
ſinnloſes Spiel getheilt waren.

Die Myſterien,Wir beginnen mit der vielleicht älteſten Gattung, den
Myſterien 3). Sie gleichen im Ganzen denjenigen des

1) Für andere franzöſiſche Feſte ſ. z. B Juvénal des Ursins ad a.
1389 (Einzug der Königin Iſabeau); — Jean de Troyes ad a.
1461 (Einzug Ludwigs XI.). Auch hier fehlt es nicht ganz an
Schwebemaſchinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles iſt
bunter, zuſammenhangloſer und die Allegorien meiſt unergründlich.
2) D. h. ein Vortheil für ſehr große Dichter und Künſtler, die etwas
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[406/0416] los; der Beſchreiber des Feſtes, Olivier ſelbſt, kam als „Kirche“ coſtumirt in dem Thurm auf dem Rücken eines Elephanten, den ein Rieſe führte, und ſang eine lange Klage über den Sieg der Ungläubigen 1). 5. Abſchnitt. Wenn aber aber auch die Allegorien der italieniſchen Dichtungen, Kunſtwerke und Feſte an Geſchmack und Zu- ſammenhang im Ganzen höher ſtehen, ſo bilden ſie doch nicht die ſtarke Seite. Der entſcheidende Vortheil 2) lag viel mehr darin, daß man hier außer den Perſonificationen des Allgemeinen auch hiſtoriſche Repräſentanten deſſelben Allgemeinen in Menge kannte, daß man an die dichteriſche Aufzählung wie an die künſtleriſche Darſtellung zahlreicher berühmter Individuen gewöhnt war. Die göttliche Comödie, die Trionfi des Petrarca, die Amoroſa Viſione des Boc- caccio — lauter Werke, welche hierauf gegründet ſind — außerdem die ganze große Ausweitung der Bildung durch das Alterthum hatten die Nation mit dieſem hiſtoriſchen Element vertraut gemacht. Und nun erſchienen dieſe Ge- ſtalten auch bei Feſtzügen entweder völlig individualiſirt, als beſtimmte Masken, oder wenigſtens als Gruppen, als characteriſtiſches Geleite einer allegoriſchen Hauptfigur oder Hauptſache. Man lernte dabei überhaupt gruppenweiſe componiren, zu einer Zeit, da die prachtvollſten Aufführun- gen im Norden zwiſchen unergründliche Symbolik und buntes ſinnloſes Spiel getheilt waren. Repräſentanten des Allgemeinen. Wir beginnen mit der vielleicht älteſten Gattung, den Myſterien 3). Sie gleichen im Ganzen denjenigen des Die Myſterien, 1) Für andere franzöſiſche Feſte ſ. z. B Juvénal des Ursins ad a. 1389 (Einzug der Königin Iſabeau); — Jean de Troyes ad a. 1461 (Einzug Ludwigs XI.). Auch hier fehlt es nicht ganz an Schwebemaſchinen, an lebendigen Statuen u. dgl., aber Alles iſt bunter, zuſammenhangloſer und die Allegorien meiſt unergründlich. 2) D. h. ein Vortheil für ſehr große Dichter und Künſtler, die etwas damit anzufangen wußten. 3) Vgl. Bartol. Gamba, notizie intorno alle opere di Feo Bel-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/416>, abgerufen am 22.11.2024.