Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Um ihretwillen wird er z. B. der frühste große Hazard-6. Abschnitt.
spieler der neuern Zeit, indem sie ihm die Bilder des künf-Spielsucht.
tigen Reichthums und der künftigen Genüsse mit einer
solchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerste daran
setzt. Die mohammedanischen Völker wären ihm hierin
ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran
von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigste
Schutzwehr islamitischer Sitte festgestellt, und die Phanta-
sie seiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewiesen.
In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche schon
damals häufig genug die Existenz des Einzelnen bedrohte
oder zerstörte. Florenz hat schon zu Ende des XIV. Jahr-
hunderts seinen Casanova, einen gewissen Buonaccorso Pitti,
welcher auf beständigen Reisen als Kaufmann, Parteigänger,
Speculant, Diplomat und Spieler von Profession enorme
Summen gewann und verlor und nur noch Fürsten zu
Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant,
Baiern und Savoyen 1). Auch der große Glückstopf, welchen
man die römische Curie nannte, gewöhnte seine Leute an
ein Bedürfniß der Aufregung, welches sich in den Zwischen-
pausen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelspiel
Luft machte. Franceschetto Cybo verspielte z. B. einst in
zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du-
caten und klagte hernach beim Papst sein Mitspieler habe
ihn betrogen 2). In der Folge wurde bekanntlich Italien
die Heimath des Loteriewesens.

Die Phantasie ist es auch, welche hier der RachsuchtRachsucht.
ihren besondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird
wohl im ganzen Abendland von jeher eins und dasselbe
gewesen und seine Verletzung, so oft sie ungestraft blieb,
auf die gleiche Weise empfunden worden sein. Aber andere
Völker, wenn sie auch nicht leichter verzeihen, können doch

1) Dessen Tagebuch im Auszug bei Delecluze, Florence et ses vi-
cissitudes, vol.
2. -- Vgl. S. 332.
2) Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col. 1992. Vgl. oben S. 109. f.
Cultur der Renaissance. 28

Um ihretwillen wird er z. B. der frühſte große Hazard-6. Abſchnitt.
ſpieler der neuern Zeit, indem ſie ihm die Bilder des künf-Spielſucht.
tigen Reichthums und der künftigen Genüſſe mit einer
ſolchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerſte daran
ſetzt. Die mohammedaniſchen Völker wären ihm hierin
ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran
von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigſte
Schutzwehr islamitiſcher Sitte feſtgeſtellt, und die Phanta-
ſie ſeiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewieſen.
In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche ſchon
damals häufig genug die Exiſtenz des Einzelnen bedrohte
oder zerſtörte. Florenz hat ſchon zu Ende des XIV. Jahr-
hunderts ſeinen Caſanova, einen gewiſſen Buonaccorſo Pitti,
welcher auf beſtändigen Reiſen als Kaufmann, Parteigänger,
Speculant, Diplomat und Spieler von Profeſſion enorme
Summen gewann und verlor und nur noch Fürſten zu
Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant,
Baiern und Savoyen 1). Auch der große Glückstopf, welchen
man die römiſche Curie nannte, gewöhnte ſeine Leute an
ein Bedürfniß der Aufregung, welches ſich in den Zwiſchen-
pauſen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelſpiel
Luft machte. Franceschetto Cybò verſpielte z. B. einſt in
zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du-
caten und klagte hernach beim Papſt ſein Mitſpieler habe
ihn betrogen 2). In der Folge wurde bekanntlich Italien
die Heimath des Loterieweſens.

Die Phantaſie iſt es auch, welche hier der RachſuchtRachſucht.
ihren beſondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird
wohl im ganzen Abendland von jeher eins und daſſelbe
geweſen und ſeine Verletzung, ſo oft ſie ungeſtraft blieb,
auf die gleiche Weiſe empfunden worden ſein. Aber andere
Völker, wenn ſie auch nicht leichter verzeihen, können doch

1) Deſſen Tagebuch im Auszug bei Delécluze, Florence et ses vi-
cissitudes, vol.
2. — Vgl. S. 332.
2) Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col. 1992. Vgl. oben S. 109. f.
Cultur der Renaiſſance. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0443" n="433"/>
        <p>Um ihretwillen wird er z. B. der früh&#x017F;te große Hazard-<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">6. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
&#x017F;pieler der neuern Zeit, indem &#x017F;ie ihm die Bilder des künf-<note place="right">Spiel&#x017F;ucht.</note><lb/>
tigen Reichthums und der künftigen Genü&#x017F;&#x017F;e mit einer<lb/>
&#x017F;olchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußer&#x017F;te daran<lb/>
&#x017F;etzt. Die mohammedani&#x017F;chen Völker wären ihm hierin<lb/>
ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran<lb/>
von Anfang an das Spielverbot als die nothwendig&#x017F;te<lb/>
Schutzwehr islamiti&#x017F;cher Sitte fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, und die Phanta-<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;einer Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewie&#x017F;en.<lb/>
In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche &#x017F;chon<lb/>
damals häufig genug die Exi&#x017F;tenz des Einzelnen bedrohte<lb/>
oder zer&#x017F;törte. Florenz hat &#x017F;chon zu Ende des <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Jahr-<lb/>
hunderts &#x017F;einen Ca&#x017F;anova, einen gewi&#x017F;&#x017F;en Buonaccor&#x017F;o Pitti,<lb/>
welcher auf be&#x017F;tändigen Rei&#x017F;en als Kaufmann, Parteigänger,<lb/>
Speculant, Diplomat und Spieler von Profe&#x017F;&#x017F;ion enorme<lb/>
Summen gewann und verlor und nur noch Für&#x017F;ten zu<lb/>
Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant,<lb/>
Baiern und Savoyen <note place="foot" n="1)">De&#x017F;&#x017F;en Tagebuch im Auszug bei <hi rendition="#aq">Delécluze, Florence et ses vi-<lb/>
cissitudes, vol.</hi> 2. &#x2014; Vgl. S. 332.</note>. Auch der große Glückstopf, welchen<lb/>
man die römi&#x017F;che Curie nannte, gewöhnte &#x017F;eine Leute an<lb/>
ein Bedürfniß der Aufregung, welches &#x017F;ich in den Zwi&#x017F;chen-<lb/>
pau&#x017F;en der großen Intriguen nothwendig durch Würfel&#x017F;piel<lb/>
Luft machte. Franceschetto Cyb<hi rendition="#aq">ò</hi> ver&#x017F;pielte z. B. ein&#x017F;t in<lb/>
zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du-<lb/>
caten und klagte hernach beim Pap&#x017F;t &#x017F;ein Mit&#x017F;pieler habe<lb/>
ihn betrogen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col.</hi> 1992. Vgl. oben S. 109. f.</note>. In der Folge wurde bekanntlich Italien<lb/>
die Heimath des Loteriewe&#x017F;ens.</p><lb/>
        <p>Die Phanta&#x017F;ie i&#x017F;t es auch, welche hier der Rach&#x017F;ucht<note place="right">Rach&#x017F;ucht.</note><lb/>
ihren be&#x017F;ondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird<lb/>
wohl im ganzen Abendland von jeher eins und da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
gewe&#x017F;en und &#x017F;eine Verletzung, &#x017F;o oft &#x017F;ie unge&#x017F;traft blieb,<lb/>
auf die gleiche Wei&#x017F;e empfunden worden &#x017F;ein. Aber andere<lb/>
Völker, wenn &#x017F;ie auch nicht leichter verzeihen, können doch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Cultur der Renai&#x017F;&#x017F;ance. 28</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0443] Um ihretwillen wird er z. B. der frühſte große Hazard- ſpieler der neuern Zeit, indem ſie ihm die Bilder des künf- tigen Reichthums und der künftigen Genüſſe mit einer ſolchen Lebendigkeit vormalt, daß er das Aeußerſte daran ſetzt. Die mohammedaniſchen Völker wären ihm hierin ohne allen Zweifel vorangegangen, hätte nicht der Koran von Anfang an das Spielverbot als die nothwendigſte Schutzwehr islamitiſcher Sitte feſtgeſtellt, und die Phanta- ſie ſeiner Leute an Auffindung vergrabener Schätze gewieſen. In Italien wurde eine Spielwuth allgemein, welche ſchon damals häufig genug die Exiſtenz des Einzelnen bedrohte oder zerſtörte. Florenz hat ſchon zu Ende des XIV. Jahr- hunderts ſeinen Caſanova, einen gewiſſen Buonaccorſo Pitti, welcher auf beſtändigen Reiſen als Kaufmann, Parteigänger, Speculant, Diplomat und Spieler von Profeſſion enorme Summen gewann und verlor und nur noch Fürſten zu Partnern gebrauchen konnte, wie die Herzoge von Brabant, Baiern und Savoyen 1). Auch der große Glückstopf, welchen man die römiſche Curie nannte, gewöhnte ſeine Leute an ein Bedürfniß der Aufregung, welches ſich in den Zwiſchen- pauſen der großen Intriguen nothwendig durch Würfelſpiel Luft machte. Franceschetto Cybò verſpielte z. B. einſt in zweien Malen an Cardinal Raffaele Riario 14,000 Du- caten und klagte hernach beim Papſt ſein Mitſpieler habe ihn betrogen 2). In der Folge wurde bekanntlich Italien die Heimath des Loterieweſens. 6. Abſchnitt. Spielſucht. Die Phantaſie iſt es auch, welche hier der Rachſucht ihren beſondern Character giebt. Das Rechtsgefühl wird wohl im ganzen Abendland von jeher eins und daſſelbe geweſen und ſeine Verletzung, ſo oft ſie ungeſtraft blieb, auf die gleiche Weiſe empfunden worden ſein. Aber andere Völker, wenn ſie auch nicht leichter verzeihen, können doch Rachſucht. 1) Deſſen Tagebuch im Auszug bei Delécluze, Florence et ses vi- cissitudes, vol. 2. — Vgl. S. 332. 2) Infessura, ap. Eccard, scriptt. II, Col. 1992. Vgl. oben S. 109. f. Cultur der Renaiſſance. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/443
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/443>, abgerufen am 21.11.2024.