6. Abschnitt."sieht man Eine um ihre Lüste zu erfüllen den Gemahl vergiften, als dürfte sie dann, weil sie Wittwe geworden, thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent- deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl durch den Geliebten ermorden. Dann erheben sich Väter, Brüder und Gatten, um sich die Schande aus den Augen zu schaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen Lebens und der Ehre, ihren Leidenschaften nachzuleben." Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: "Wenn man doch nur nicht täglich hören müßte: dieser hat seine Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die Tochter erwürgt, weil sie sich heimlich vermählt hatte, Jener endlich hat seine Schwester tödten lassen, weil sie sich nicht nach seinen Ansichten vermählen wollte! Es ist doch eine große Grausamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht dasselbe zugestehen. Wenn sie etwas thun, das uns mißfällt, so sind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand. Welche Narrheit der Männer, vorauszusetzen, daß ihre und des ganzen Hauses Ehre von der Begierde eines Weibes abhänge!" Leider wußte man den Ausgang solcher Dinge bisweilen so sicher voraus, daß der Novellist auf einen be- drohten Liebhaber Beschlag legen konnte während derselbe noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte sich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi, vom Hause Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder sie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand sich in Mailand, wo ihm schon gedungene Mörder auflauerten, und sang in Gesellschaft bei der Ippolita Sforza die Ge-
Beichtvater der Gemahlin sich vom Gatten bestechen läßt und den Ehebruch verräth.
6. Abſchnitt.„ſieht man Eine um ihre Lüſte zu erfüllen den Gemahl vergiften, als dürfte ſie dann, weil ſie Wittwe geworden, thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent- deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl durch den Geliebten ermorden. Dann erheben ſich Väter, Brüder und Gatten, um ſich die Schande aus den Augen zu ſchaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen Lebens und der Ehre, ihren Leidenſchaften nachzuleben.“ Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: „Wenn man doch nur nicht täglich hören müßte: dieſer hat ſeine Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die Tochter erwürgt, weil ſie ſich heimlich vermählt hatte, Jener endlich hat ſeine Schweſter tödten laſſen, weil ſie ſich nicht nach ſeinen Anſichten vermählen wollte! Es iſt doch eine große Grauſamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht daſſelbe zugeſtehen. Wenn ſie etwas thun, das uns mißfällt, ſo ſind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand. Welche Narrheit der Männer, vorauszuſetzen, daß ihre und des ganzen Hauſes Ehre von der Begierde eines Weibes abhänge!“ Leider wußte man den Ausgang ſolcher Dinge bisweilen ſo ſicher voraus, daß der Novelliſt auf einen be- drohten Liebhaber Beſchlag legen konnte während derſelbe noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte ſich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi, vom Hauſe Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder ſie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand ſich in Mailand, wo ihm ſchon gedungene Mörder auflauerten, und ſang in Geſellſchaft bei der Ippolita Sforza die Ge-
Beichtvater der Gemahlin ſich vom Gatten beſtechen läßt und den Ehebruch verräth.
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„ſieht man Eine um ihre Lüſte zu erfüllen den Gemahl
vergiften, als dürfte ſie dann, weil ſie Wittwe geworden,
thun was ihr beliebt. Eine andere, aus Furcht vor Ent-
deckung ihres unerlaubten Umganges, läßt den Gemahl
durch den Geliebten ermorden. Dann erheben ſich Väter,
Brüder und Gatten, um ſich die Schande aus den Augen
zu ſchaffen, mit Gift, Schwert und andern Mitteln, und
dennoch fahren viele Weiber fort, mit Verachtung des eigenen
Lebens und der Ehre, ihren Leidenſchaften nachzuleben.“
Ein andermal, in milderer Stimmung, ruft er aus: „Wenn
man doch nur nicht täglich hören müßte: dieſer hat ſeine
Frau ermordet, weil er Untreue vermuthete, Jener hat die
Tochter erwürgt, weil ſie ſich heimlich vermählt hatte, Jener
endlich hat ſeine Schweſter tödten laſſen, weil ſie ſich nicht
nach ſeinen Anſichten vermählen wollte! Es iſt doch eine
große Grauſamkeit, daß wir Alles thun wollen was uns
in den Sinn kömmt und den armen Weibern nicht daſſelbe
zugeſtehen. Wenn ſie etwas thun, das uns mißfällt, ſo
ſind wir gleich mit Strick, Dolch und Gift bei der Hand.
Welche Narrheit der Männer, vorauszuſetzen, daß ihre und
des ganzen Hauſes Ehre von der Begierde eines Weibes
abhänge!“ Leider wußte man den Ausgang ſolcher Dinge
bisweilen ſo ſicher voraus, daß der Novelliſt auf einen be-
drohten Liebhaber Beſchlag legen konnte während derſelbe
noch lebendig herumlief. Der Arzt Antonio Bologna hatte
ſich insgeheim mit der verwittweten Herzogin von Malfi,
vom Hauſe Aragon, vermählt; bereits hatten ihre Brüder
ſie und ihre Kinder wieder in ihre Gewalt bekommen und
in einem Schloß ermordet. Antonio, der letzteres noch nicht
wußte und mit Hoffnungen hingehalten wurde, befand ſich
in Mailand, wo ihm ſchon gedungene Mörder auflauerten,
und ſang in Geſellſchaft bei der Ippolita Sforza die Ge-
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2) Beichtvater der Gemahlin ſich vom Gatten beſtechen läßt und den
Ehebruch verräth.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/452>, abgerufen am 22.11.2024.
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