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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An-
cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im
Krieg. Niemand genießt ein so ungetrübtes Glück, daß er
nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der
ist glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat." Mit dieser
negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papst
seinen Leser. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können
oder auch nur die Consequenzen der völlig unbeschränkten
Fürstenmacht überhaupt erörtern wollen, so wäre ihm eine
durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie-
losigkeit der Familie. Jene engelschönen, überdieß sorgfältig und
vielseitig gebildeten Kinder unterlagen, als sie Männer wurden,
Galeazzo
Maria.
der ganzen Ausartung des schrankenlosen Egoismus. Galeazzo
Maria (1466--1476), ein Virtuose der äußern Erscheinung,
war stolz auf seine schöne Hand, auf die hohen Besoldun-
gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf
seinen Schatz von zwei Millionen Goldstücken, auf die
namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und
die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er sich gerne
reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendsten
wenn er etwa einen venezianischen Gesandten kränken konnte. 1)
Dazwischen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer
in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu lassen; es gab
entsetzliche Grausamkeiten gegen Nahestehende, und besin-
nungslose Ausschweifung. Einigen Phantasten schien er
alle Eigenschaften eines Tyrannen zu besitzen; sie brachten
ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände seiner
Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber-
gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrschaft an
sich riß. An diese Usurpation hängt sich dann die Inter-
vention der Franzosen und das böse Schicksal von ganz
Lodovico
Moro.
Italien. Der Moro ist aber die vollendetste fürstliche Cha-
racterfigur dieser Zeit, und erscheint damit wieder wie ein

1) Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.

1. Abſchnitt.zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An-
cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im
Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er
nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der
iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat.“ Mit dieſer
negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt
ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können
oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten
Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine
durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie-
loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und
vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden,
Galeazzo
Maria.
der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo
Maria (1466—1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung,
war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun-
gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf
ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die
namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und
die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne
reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten
wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1)
Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer
in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab
entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin-
nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er
alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten
ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner
Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber-
gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an
ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter-
vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganz
Lodovico
Moro.
Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha-
racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein

1) Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.
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[40/0050] zettelte Ränke gegen ihn und kam in Haft; die Mark An- cona, die er im Krieg erobert, verlor er auch wieder im Krieg. Niemand genießt ein ſo ungetrübtes Glück, daß er nicht irgendwo mit Schwankungen zu kämpfen hätte. Der iſt glücklich, der wenige Widerwärtigkeiten hat.“ Mit dieſer negativen Definition des Glückes entläßt der gelehrte Papſt ſeinen Leſer. Wenn er hätte in die Zukunft blicken können oder auch nur die Conſequenzen der völlig unbeſchränkten Fürſtenmacht überhaupt erörtern wollen, ſo wäre ihm eine durchgehende Wahrnehmung nicht entgangen: die Garantie- loſigkeit der Familie. Jene engelſchönen, überdieß ſorgfältig und vielſeitig gebildeten Kinder unterlagen, als ſie Männer wurden, der ganzen Ausartung des ſchrankenloſen Egoismus. Galeazzo Maria (1466—1476), ein Virtuoſe der äußern Erſcheinung, war ſtolz auf ſeine ſchöne Hand, auf die hohen Beſoldun- gen die er bezahlte, auf den Geldcredit den er genoß, auf ſeinen Schatz von zwei Millionen Goldſtücken, auf die namhaften Leute die ihn umgaben, und auf die Armee und die Vogeljagd die er unterhielt. Dabei hörte er ſich gerne reden, weil er gut redete, und vielleicht am allerfließendſten wenn er etwa einen venezianiſchen Geſandten kränken konnte. 1) Dazwiſchen aber gab es Launen wie z. B. die, ein Zimmer in einer Nacht mit Figuren ausmalen zu laſſen; es gab entſetzliche Grauſamkeiten gegen Naheſtehende, und beſin- nungsloſe Ausſchweifung. Einigen Phantaſten ſchien er alle Eigenſchaften eines Tyrannen zu beſitzen; ſie brachten ihn um und lieferten damit den Staat in die Hände ſeiner Brüder, deren einer, Lodovico il Moro, nachher mit Ueber- gehung des eingekerkerten Neffen die ganze Herrſchaft an ſich riß. An dieſe Uſurpation hängt ſich dann die Inter- vention der Franzoſen und das böſe Schickſal von ganz Italien. Der Moro iſt aber die vollendetſte fürſtliche Cha- racterfigur dieſer Zeit, und erſcheint damit wieder wie ein 1. Abſchnitt. Galeazzo Maria. Lodovico Moro. 1) Malipiero, Ann. veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 216. 221.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/50>, abgerufen am 21.11.2024.