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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.Der wahrste und bezeichnendste Ausdruck dieser In-
Die drei Ringe.differenz ist die berühmte Geschichte von den drei Ringen,
welche unter andern Lessing seinem Nathan in den Mund
legte, nachdem sie schon vor vielen Jahrhunderten zaghafter
in den "hundert alten Novellen" (Nov. 72 oder 73) und
etwas rückhaltsloser bei Boccaccio 1) vorgebracht worden war.
In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache
sie zuerst Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man
nie herausbringen; wahrscheinlich lautete sie ursprünglich
noch viel deutlicher als in den beiden italienischen Redactionen.
Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich
der Deismus, wird unten in seiner weitern Bedeutung an
den Tag treten. In roher Mißgestalt und Verzerrung giebt
der bekannte Spruch von "den Dreien, die die Welt betro-
gen", nämlich Moses, Christus und Mohammed, dieselbe
Idee wieder. Wenn Kaiser Friedrich II., von dem diese
Rede stammen soll, ähnlich gedacht hat, so wird er sich
wohl geistreicher ausgedrückt haben.

Berechtigung
aller
Religionen.
Auf der Höhe der Renaissance, gegen Ende des XV.
Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweise ent-
gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan-
tasiewelt, in welcher sich seine Geschichten bewegen, theilt
sich, wie bei allen romantischen Heldengedichten, in ein
christliches und ein mohammedanisches Heerlager. Gemäß
dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die
Versöhnung zwischen den Streitern gerne begleitet von der
Taufe des unterliegenden mohammedanischen Theiles, und
die Improvisatoren, welche dem Pulci in der Behandlung
solcher Stoffe vorangegangen waren, müssen von diesem
Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun ist es
Pulci's eigentliches Geschäft, diese seine Vorgänger, beson-
ders wohl die schlechten darunter zu parodiren, und dieß

1) Decamerone I, Nov. 3. Er zuerst nennt die christliche Religion
mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke lassen.

6. Abſchnitt.Der wahrſte und bezeichnendſte Ausdruck dieſer In-
Die drei Ringe.differenz iſt die berühmte Geſchichte von den drei Ringen,
welche unter andern Leſſing ſeinem Nathan in den Mund
legte, nachdem ſie ſchon vor vielen Jahrhunderten zaghafter
in den „hundert alten Novellen“ (Nov. 72 oder 73) und
etwas rückhaltsloſer bei Boccaccio 1) vorgebracht worden war.
In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache
ſie zuerſt Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man
nie herausbringen; wahrſcheinlich lautete ſie urſprünglich
noch viel deutlicher als in den beiden italieniſchen Redactionen.
Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich
der Deismus, wird unten in ſeiner weitern Bedeutung an
den Tag treten. In roher Mißgeſtalt und Verzerrung giebt
der bekannte Spruch von „den Dreien, die die Welt betro-
gen“, nämlich Moſes, Chriſtus und Mohammed, dieſelbe
Idee wieder. Wenn Kaiſer Friedrich II., von dem dieſe
Rede ſtammen ſoll, ähnlich gedacht hat, ſo wird er ſich
wohl geiſtreicher ausgedrückt haben.

Berechtigung
aller
Religionen.
Auf der Höhe der Renaiſſance, gegen Ende des XV.
Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweiſe ent-
gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan-
taſiewelt, in welcher ſich ſeine Geſchichten bewegen, theilt
ſich, wie bei allen romantiſchen Heldengedichten, in ein
chriſtliches und ein mohammedaniſches Heerlager. Gemäß
dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die
Verſöhnung zwiſchen den Streitern gerne begleitet von der
Taufe des unterliegenden mohammedaniſchen Theiles, und
die Improviſatoren, welche dem Pulci in der Behandlung
ſolcher Stoffe vorangegangen waren, müſſen von dieſem
Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun iſt es
Pulci's eigentliches Geſchäft, dieſe ſeine Vorgänger, beſon-
ders wohl die ſchlechten darunter zu parodiren, und dieß

1) Decamerone I, Nov. 3. Er zuerſt nennt die chriſtliche Religion
mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke laſſen.
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[498/0508] Der wahrſte und bezeichnendſte Ausdruck dieſer In- differenz iſt die berühmte Geſchichte von den drei Ringen, welche unter andern Leſſing ſeinem Nathan in den Mund legte, nachdem ſie ſchon vor vielen Jahrhunderten zaghafter in den „hundert alten Novellen“ (Nov. 72 oder 73) und etwas rückhaltsloſer bei Boccaccio 1) vorgebracht worden war. In welchem Winkel des Mittelmeeres und in welcher Sprache ſie zuerſt Einer dem Andern erzählt haben mag, wird man nie herausbringen; wahrſcheinlich lautete ſie urſprünglich noch viel deutlicher als in den beiden italieniſchen Redactionen. Der geheime Vorbehalt, der ihr zu Grunde liegt, nämlich der Deismus, wird unten in ſeiner weitern Bedeutung an den Tag treten. In roher Mißgeſtalt und Verzerrung giebt der bekannte Spruch von „den Dreien, die die Welt betro- gen“, nämlich Moſes, Chriſtus und Mohammed, dieſelbe Idee wieder. Wenn Kaiſer Friedrich II., von dem dieſe Rede ſtammen ſoll, ähnlich gedacht hat, ſo wird er ſich wohl geiſtreicher ausgedrückt haben. 6. Abſchnitt. Die drei Ringe. Auf der Höhe der Renaiſſance, gegen Ende des XV. Jahrhunderts, tritt uns dann eine ähnliche Denkweiſe ent- gegen bei Luigi Pulci, im Morgante maggiore. Die Phan- taſiewelt, in welcher ſich ſeine Geſchichten bewegen, theilt ſich, wie bei allen romantiſchen Heldengedichten, in ein chriſtliches und ein mohammedaniſches Heerlager. Gemäß dem Sinne des Mittelalters war nun der Sieg und die Verſöhnung zwiſchen den Streitern gerne begleitet von der Taufe des unterliegenden mohammedaniſchen Theiles, und die Improviſatoren, welche dem Pulci in der Behandlung ſolcher Stoffe vorangegangen waren, müſſen von dieſem Motiv reichlichen Gebrauch gemacht haben. Nun iſt es Pulci's eigentliches Geſchäft, dieſe ſeine Vorgänger, beſon- ders wohl die ſchlechten darunter zu parodiren, und dieß Berechtigung aller Religionen. 1) Decamerone I, Nov. 3. Er zuerſt nennt die chriſtliche Religion mit, während die 100 novelle ant. eine Lücke laſſen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/508>, abgerufen am 24.11.2024.