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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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6. Abschnitt.der für sie halbketzerischen, weil halbmohammedanischen
Wissenschaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie
glücklich doch die Astrologen seien, denen man glaube wenn
sie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während
Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge sagten,
um allen Credit kämen 1). Und überdieß schlug die Ver-
achtung der Astrologie nicht nothwendig in Vorsehungs-
glauben um; sie konnte sich auch auf einen allgemeinen,
unbestimmten Fatalismus zurückziehen.

Italien hat in dieser wie in andern Beziehungen den
Culturtrieb der Renaissance nicht gesund durch- und aus-
leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation
dazwischen kam. Ohne dieses würde es wahrscheinlich die
phantastischen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über-
wunden haben. Wer nun der Ansicht ist, daß Invasion
und catholische Reaction nothwendig und vom italienischen
Volk ausschließlich selbst verschuldet gewesen seien, wird ihm
auch die daraus erwachsenen geistigen Verluste als gerechte
Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben-
falls ungeheuer verloren hat.

Verschiedene
Superstitionen.
Bei weitem unschuldiger als die Sterndeutung erscheint
der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte
einen großen Vorrath desselben aus seinen verschiedenen
Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am
wenigsten zurückgeblieben sein. Was aber die Sache hier
eigenthümlich färbt, ist die Unterstützung, welche der Hu-
manismus diesem populären Wahn leistet; er kommt dem
ererbten Stück Heidenthum mit einem literarisch erarbeiteten
zu Hülfe.

Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht sich
bekanntlich auf Ahnungen und Schlüsse aus Vorzeichen 2),

1) Ricordi, l. c. N. 57.
2) Eine Masse solchen Wahnes beim letzten Visconti zählt Decembrio
(Murat. XX, Col. 1016, s.)
auf.

6. Abſchnitt.der für ſie halbketzeriſchen, weil halbmohammedaniſchen
Wiſſenſchaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie
glücklich doch die Aſtrologen ſeien, denen man glaube wenn
ſie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während
Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge ſagten,
um allen Credit kämen 1). Und überdieß ſchlug die Ver-
achtung der Aſtrologie nicht nothwendig in Vorſehungs-
glauben um; ſie konnte ſich auch auf einen allgemeinen,
unbeſtimmten Fatalismus zurückziehen.

Italien hat in dieſer wie in andern Beziehungen den
Culturtrieb der Renaiſſance nicht geſund durch- und aus-
leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation
dazwiſchen kam. Ohne dieſes würde es wahrſcheinlich die
phantaſtiſchen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über-
wunden haben. Wer nun der Anſicht iſt, daß Invaſion
und catholiſche Reaction nothwendig und vom italieniſchen
Volk ausſchließlich ſelbſt verſchuldet geweſen ſeien, wird ihm
auch die daraus erwachſenen geiſtigen Verluſte als gerechte
Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben-
falls ungeheuer verloren hat.

Verſchiedene
Superſtitionen.
Bei weitem unſchuldiger als die Sterndeutung erſcheint
der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte
einen großen Vorrath deſſelben aus ſeinen verſchiedenen
Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am
wenigſten zurückgeblieben ſein. Was aber die Sache hier
eigenthümlich färbt, iſt die Unterſtützung, welche der Hu-
manismus dieſem populären Wahn leiſtet; er kommt dem
ererbten Stück Heidenthum mit einem literariſch erarbeiteten
zu Hülfe.

Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht ſich
bekanntlich auf Ahnungen und Schlüſſe aus Vorzeichen 2),

1) Ricordi, l. c. N. 57.
2) Eine Maſſe ſolchen Wahnes beim letzten Visconti zählt Decembrio
(Murat. XX, Col. 1016, s.)
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[524/0534] der für ſie halbketzeriſchen, weil halbmohammedaniſchen Wiſſenſchaft. Freilich noch 1529 meint Guicciardini: wie glücklich doch die Aſtrologen ſeien, denen man glaube wenn ſie unter hundert Lügen eine Wahrheit vorbrächten, während Andere, die unter hundert Wahrheiten eine Lüge ſagten, um allen Credit kämen 1). Und überdieß ſchlug die Ver- achtung der Aſtrologie nicht nothwendig in Vorſehungs- glauben um; ſie konnte ſich auch auf einen allgemeinen, unbeſtimmten Fatalismus zurückziehen. 6. Abſchnitt. Italien hat in dieſer wie in andern Beziehungen den Culturtrieb der Renaiſſance nicht geſund durch- und aus- leben können, weil die Eroberung und die Gegenreformation dazwiſchen kam. Ohne dieſes würde es wahrſcheinlich die phantaſtiſchen Thorheiten völlig aus eigenen Kräften über- wunden haben. Wer nun der Anſicht iſt, daß Invaſion und catholiſche Reaction nothwendig und vom italieniſchen Volk ausſchließlich ſelbſt verſchuldet geweſen ſeien, wird ihm auch die daraus erwachſenen geiſtigen Verluſte als gerechte Strafe zuerkennen. Nur Schade, daß Europa dabei eben- falls ungeheuer verloren hat. Bei weitem unſchuldiger als die Sterndeutung erſcheint der Glaube an Vorzeichen. Das ganze Mittelalter hatte einen großen Vorrath deſſelben aus ſeinen verſchiedenen Heidenthümern ererbt und Italien wird wohl darin am wenigſten zurückgeblieben ſein. Was aber die Sache hier eigenthümlich färbt, iſt die Unterſtützung, welche der Hu- manismus dieſem populären Wahn leiſtet; er kommt dem ererbten Stück Heidenthum mit einem literariſch erarbeiteten zu Hülfe. Verſchiedene Superſtitionen. Der populäre Aberglaube der Italiener bezieht ſich bekanntlich auf Ahnungen und Schlüſſe aus Vorzeichen 2), 1) Ricordi, l. c. N. 57. 2) Eine Maſſe ſolchen Wahnes beim letzten Visconti zählt Decembrio (Murat. XX, Col. 1016, s.) auf.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/534>, abgerufen am 24.11.2024.