Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Abschnitt.Sehr schön giebt z. B. Castiglione die Erscheinung des er-
schossenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten
Mirandola wieder 1). Freilich die Poesie benutzt dergleichen
gerade am Liebsten, wenn der Poet selber schon dem be-
treffenden Glauben entwachsen ist.

Dämonen-
glaube.
Sodann war Italien mit derselben Volksansicht über
die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters.
Man war überzeugt, daß Gott den bösen Geistern jedes
Ranges bisweilen eine große zerstörende Wirkung gegen
einzelne Theile der Welt und des Menschenlebens zulasse;
alles was man einbedang, war, daß wenigstens der Mensch,
welchem die Dämonen als Versucher nahten, seinen freien
Willen zum Widerstand anwenden könne. In Italien
nimmt zumal das Dämonische der Naturereignisse im Mund
des Volkes leicht eine poetische Größe an. In der Nacht
vor der großen Ueberschwemmung des Arnothales 1333
hörte einer der heiligen Einsiedler oberhalb Vallombrosa
in seiner Zelle ein teuflisches Getöse, bekreuzte sich, trat
unter die Thür und erblickte schwarze und schreckliche Reiter
in Waffen vorüberjagen. Auf sein Beschwören stand ihm
einer davon Rede: "wir gehen und ersäufen die Stadt
Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt" 2).
Womit man die fast gleichzeitige venezianische Erscheinung
(1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer
Meister der Schule von Venedig, wahrscheinlich Giorgione,
ein wundersames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä-
monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die
stürmische Lagune daherjagte um die sündige Inselstadt zu
verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die
Barke eines armen Schiffers gestiegen waren, durch ihre
Beschwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund
der Fluthen trieben.

1) Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici.
2) Gio. Villani XI, 2. Er hatte es vom Abt der Vallombrosaner,
dem es der Eremit eröffnet hatte.

6. Abſchnitt.Sehr ſchön giebt z. B. Caſtiglione die Erſcheinung des er-
ſchoſſenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten
Mirandola wieder 1). Freilich die Poeſie benutzt dergleichen
gerade am Liebſten, wenn der Poet ſelber ſchon dem be-
treffenden Glauben entwachſen iſt.

Dämonen-
glaube.
Sodann war Italien mit derſelben Volksanſicht über
die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters.
Man war überzeugt, daß Gott den böſen Geiſtern jedes
Ranges bisweilen eine große zerſtörende Wirkung gegen
einzelne Theile der Welt und des Menſchenlebens zulaſſe;
alles was man einbedang, war, daß wenigſtens der Menſch,
welchem die Dämonen als Verſucher nahten, ſeinen freien
Willen zum Widerſtand anwenden könne. In Italien
nimmt zumal das Dämoniſche der Naturereigniſſe im Mund
des Volkes leicht eine poetiſche Größe an. In der Nacht
vor der großen Ueberſchwemmung des Arnothales 1333
hörte einer der heiligen Einſiedler oberhalb Vallombroſa
in ſeiner Zelle ein teufliſches Getöſe, bekreuzte ſich, trat
unter die Thür und erblickte ſchwarze und ſchreckliche Reiter
in Waffen vorüberjagen. Auf ſein Beſchwören ſtand ihm
einer davon Rede: „wir gehen und erſäufen die Stadt
Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt“ 2).
Womit man die faſt gleichzeitige venezianiſche Erſcheinung
(1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer
Meiſter der Schule von Venedig, wahrſcheinlich Giorgione,
ein wunderſames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä-
monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die
ſtürmiſche Lagune daherjagte um die ſündige Inſelſtadt zu
verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die
Barke eines armen Schiffers geſtiegen waren, durch ihre
Beſchwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund
der Fluthen trieben.

1) Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici.
2) Gio. Villani XI, 2. Er hatte es vom Abt der Vallombroſaner,
dem es der Eremit eröffnet hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0540" n="530"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">6. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>Sehr &#x017F;chön giebt z. B. Ca&#x017F;tiglione die Er&#x017F;cheinung des er-<lb/>
&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten<lb/>
Mirandola wieder <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici.</hi></note>. Freilich die Poe&#x017F;ie benutzt dergleichen<lb/>
gerade am Lieb&#x017F;ten, wenn der Poet &#x017F;elber &#x017F;chon dem be-<lb/>
treffenden Glauben entwach&#x017F;en i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><note place="left">Dämonen-<lb/>
glaube.</note>Sodann war Italien mit der&#x017F;elben Volksan&#x017F;icht über<lb/>
die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters.<lb/>
Man war überzeugt, daß Gott den bö&#x017F;en Gei&#x017F;tern jedes<lb/>
Ranges bisweilen eine große zer&#x017F;törende Wirkung gegen<lb/>
einzelne Theile der Welt und des Men&#x017F;chenlebens zula&#x017F;&#x017F;e;<lb/>
alles was man einbedang, war, daß wenig&#x017F;tens der Men&#x017F;ch,<lb/>
welchem die Dämonen als Ver&#x017F;ucher nahten, &#x017F;einen freien<lb/>
Willen zum Wider&#x017F;tand anwenden könne. In Italien<lb/>
nimmt zumal das Dämoni&#x017F;che der Naturereigni&#x017F;&#x017F;e im Mund<lb/>
des Volkes leicht eine poeti&#x017F;che Größe an. In der Nacht<lb/>
vor der großen Ueber&#x017F;chwemmung des Arnothales 1333<lb/>
hörte einer der heiligen Ein&#x017F;iedler oberhalb Vallombro&#x017F;a<lb/>
in &#x017F;einer Zelle ein teufli&#x017F;ches Getö&#x017F;e, bekreuzte &#x017F;ich, trat<lb/>
unter die Thür und erblickte &#x017F;chwarze und &#x017F;chreckliche Reiter<lb/>
in Waffen vorüberjagen. Auf &#x017F;ein Be&#x017F;chwören &#x017F;tand ihm<lb/>
einer davon Rede: &#x201E;wir gehen und er&#x017F;äufen die Stadt<lb/>
Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt&#x201C; <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Gio. Villani XI,</hi> 2. Er hatte es vom Abt der Vallombro&#x017F;aner,<lb/>
dem es der Eremit eröffnet hatte.</note>.<lb/>
Womit man die fa&#x017F;t gleichzeitige veneziani&#x017F;che Er&#x017F;cheinung<lb/>
(1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer<lb/>
Mei&#x017F;ter der Schule von Venedig, wahr&#x017F;cheinlich Giorgione,<lb/>
ein wunder&#x017F;ames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä-<lb/>
monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die<lb/>
&#x017F;türmi&#x017F;che Lagune daherjagte um die &#x017F;ündige In&#x017F;el&#x017F;tadt zu<lb/>
verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die<lb/>
Barke eines armen Schiffers ge&#x017F;tiegen waren, durch ihre<lb/>
Be&#x017F;chwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund<lb/>
der Fluthen trieben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[530/0540] Sehr ſchön giebt z. B. Caſtiglione die Erſcheinung des er- ſchoſſenen Lodovico Pico unter den Mauern des belagerten Mirandola wieder 1). Freilich die Poeſie benutzt dergleichen gerade am Liebſten, wenn der Poet ſelber ſchon dem be- treffenden Glauben entwachſen iſt. 6. Abſchnitt. Sodann war Italien mit derſelben Volksanſicht über die Dämonen erfüllt wie alle Völker des Mittelalters. Man war überzeugt, daß Gott den böſen Geiſtern jedes Ranges bisweilen eine große zerſtörende Wirkung gegen einzelne Theile der Welt und des Menſchenlebens zulaſſe; alles was man einbedang, war, daß wenigſtens der Menſch, welchem die Dämonen als Verſucher nahten, ſeinen freien Willen zum Widerſtand anwenden könne. In Italien nimmt zumal das Dämoniſche der Naturereigniſſe im Mund des Volkes leicht eine poetiſche Größe an. In der Nacht vor der großen Ueberſchwemmung des Arnothales 1333 hörte einer der heiligen Einſiedler oberhalb Vallombroſa in ſeiner Zelle ein teufliſches Getöſe, bekreuzte ſich, trat unter die Thür und erblickte ſchwarze und ſchreckliche Reiter in Waffen vorüberjagen. Auf ſein Beſchwören ſtand ihm einer davon Rede: „wir gehen und erſäufen die Stadt Florenz um ihrer Sünden willen, wenn Gott es zuläßt“ 2). Womit man die faſt gleichzeitige venezianiſche Erſcheinung (1340) vergleichen mag, aus welcher dann irgend ein großer Meiſter der Schule von Venedig, wahrſcheinlich Giorgione, ein wunderſames Bild gemacht hat: jene Galeere voller Dä- monen, welche mit der Schnelligkeit eines Vogels über die ſtürmiſche Lagune daherjagte um die ſündige Inſelſtadt zu verderben, bis die drei Heiligen, welche unerkannt in die Barke eines armen Schiffers geſtiegen waren, durch ihre Beſchwörung die Dämonen und ihr Schiff in den Abgrund der Fluthen trieben. Dämonen- glaube. 1) Balth. Castilionii carmina. Prosopopeja Lud. Pici. 2) Gio. Villani XI, 2. Er hatte es vom Abt der Vallombroſaner, dem es der Eremit eröffnet hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/540
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/540>, abgerufen am 24.11.2024.