6. Abschnitt.Luca die Passion nach dem Evangelium Johannis; merk- würdiger Weise ist dem Armen die Gottheit Christi ein- leuchtend, während ihm dessen Menschheit Mühe macht; diese möchte er gerne so sichtbar begreifen, "als käme ihm Christus aus einem Walde entgegen" -- worauf ihn sein Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel seien, welche der Satan sende. Später fällt ihm ein un- gelöstes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta ein; der Freund verspricht es zu erfüllen an seiner Statt. Dazwischen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo- narola's Kloster wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächst jene oben erwähnte Erläuterung über die Ansicht des Tho- mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant- wortet: "Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge- nügen mir schon die Philosophen; helfet mir, den Tod zu erleiden aus Liebe zu Christus". Das Weitere, die Com- munion, der Abschied und die Hinrichtung, wird auf sehr rührende Weise geschildert; besonders hervorzuheben ist aber der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem Hieb zu warten: "er hatte nämlich die ganze Zeit über (seit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen Vereinigung mit Gott gestrebt ohne sie nach Wunsch zu erreichen, nun gedachte er in diesem Augenblick durch volle Anstrengung sich gänzlich Gott hinzugeben". Offenbar ist es ein Ausdruck Savonarola's, der -- halbverstanden -- ihn beunruhigt hatte.
Religiöse Con- fusion.Besäßen wir noch mehr Bekenntnisse dieser Art, so würde das geistige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht giebt. Wir würden noch besser sehen, wie stark der ange- borene religiöse Trieb, wie subjectiv und auch wie schwan- kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiösen war und was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberstanden.
6. Abſchnitt.Luca die Paſſion nach dem Evangelium Johannis; merk- würdiger Weiſe iſt dem Armen die Gottheit Chriſti ein- leuchtend, während ihm deſſen Menſchheit Mühe macht; dieſe möchte er gerne ſo ſichtbar begreifen, „als käme ihm Chriſtus aus einem Walde entgegen“ — worauf ihn ſein Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel ſeien, welche der Satan ſende. Später fällt ihm ein un- gelöſtes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta ein; der Freund verſpricht es zu erfüllen an ſeiner Statt. Dazwiſchen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo- narola's Kloſter wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächſt jene oben erwähnte Erläuterung über die Anſicht des Tho- mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant- wortet: „Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge- nügen mir ſchon die Philoſophen; helfet mir, den Tod zu erleiden aus Liebe zu Chriſtus“. Das Weitere, die Com- munion, der Abſchied und die Hinrichtung, wird auf ſehr rührende Weiſe geſchildert; beſonders hervorzuheben iſt aber der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem Hieb zu warten: „er hatte nämlich die ganze Zeit über (ſeit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen Vereinigung mit Gott geſtrebt ohne ſie nach Wunſch zu erreichen, nun gedachte er in dieſem Augenblick durch volle Anſtrengung ſich gänzlich Gott hinzugeben“. Offenbar iſt es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverſtanden — ihn beunruhigt hatte.
Religiöſe Con- fuſion.Beſäßen wir noch mehr Bekenntniſſe dieſer Art, ſo würde das geiſtige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht giebt. Wir würden noch beſſer ſehen, wie ſtark der ange- borene religiöſe Trieb, wie ſubjectiv und auch wie ſchwan- kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiöſen war und was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberſtanden.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0562"n="552"/><noteplace="left"><hirendition="#b"><hirendition="#u">6. Abſchnitt.</hi></hi></note>Luca die Paſſion nach dem Evangelium Johannis; merk-<lb/>
würdiger Weiſe iſt dem Armen die Gottheit Chriſti ein-<lb/>
leuchtend, während ihm deſſen Menſchheit Mühe macht;<lb/>
dieſe möchte er gerne ſo ſichtbar begreifen, „als käme ihm<lb/>
Chriſtus aus einem Walde entgegen“— worauf ihn ſein<lb/>
Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel<lb/>ſeien, welche der Satan ſende. Später fällt ihm ein un-<lb/>
gelöſtes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta<lb/>
ein; der Freund verſpricht es zu erfüllen an ſeiner Statt.<lb/>
Dazwiſchen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo-<lb/>
narola's Kloſter wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächſt<lb/>
jene oben erwähnte Erläuterung über die Anſicht des Tho-<lb/>
mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt<lb/>
ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant-<lb/>
wortet: „Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge-<lb/>
nügen mir ſchon die Philoſophen; helfet mir, den Tod zu<lb/>
erleiden aus Liebe zu Chriſtus“. Das Weitere, die Com-<lb/>
munion, der Abſchied und die Hinrichtung, wird auf ſehr<lb/>
rührende Weiſe geſchildert; beſonders hervorzuheben iſt aber<lb/>
der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den<lb/>
Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem<lb/>
Hieb zu warten: „er hatte nämlich die ganze Zeit über<lb/>
(ſeit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen<lb/>
Vereinigung mit Gott geſtrebt ohne ſie nach Wunſch zu<lb/>
erreichen, nun gedachte er in dieſem Augenblick durch volle<lb/>
Anſtrengung ſich gänzlich Gott hinzugeben“. Offenbar iſt<lb/>
es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverſtanden —<lb/>
ihn beunruhigt hatte.</p><lb/><p><noteplace="left">Religiöſe Con-<lb/>
fuſion.</note>Beſäßen wir noch mehr Bekenntniſſe dieſer Art, ſo<lb/>
würde das geiſtige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge<lb/>
reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht<lb/>
giebt. Wir würden noch beſſer ſehen, wie ſtark der ange-<lb/>
borene religiöſe Trieb, wie ſubjectiv und auch wie ſchwan-<lb/>
kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiöſen war und<lb/>
was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberſtanden.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[552/0562]
Luca die Paſſion nach dem Evangelium Johannis; merk-
würdiger Weiſe iſt dem Armen die Gottheit Chriſti ein-
leuchtend, während ihm deſſen Menſchheit Mühe macht;
dieſe möchte er gerne ſo ſichtbar begreifen, „als käme ihm
Chriſtus aus einem Walde entgegen“ — worauf ihn ſein
Freund zur Demuth verweist, indem dieß nur Zweifel
ſeien, welche der Satan ſende. Später fällt ihm ein un-
gelöſtes Jugendgelübde einer Wallfahrt nach der Impruneta
ein; der Freund verſpricht es zu erfüllen an ſeiner Statt.
Dazwiſchen kommt der Beichtvater, ein Mönch aus Savo-
narola's Kloſter wie er ihn erbeten hatte, giebt ihm zunächſt
jene oben erwähnte Erläuterung über die Anſicht des Tho-
mas von Aquino wegen des Tyrannenmordes, und ermahnt
ihn dann, den Tod mit Kraft zu ertragen. Boscoli ant-
wortet: „Pater, verlieret damit keine Zeit, denn dazu ge-
nügen mir ſchon die Philoſophen; helfet mir, den Tod zu
erleiden aus Liebe zu Chriſtus“. Das Weitere, die Com-
munion, der Abſchied und die Hinrichtung, wird auf ſehr
rührende Weiſe geſchildert; beſonders hervorzuheben iſt aber
der eine Zug, daß Boscoli, indem er das Haupt auf den
Block legte, den Henker bat, noch einen Augenblick mit dem
Hieb zu warten: „er hatte nämlich die ganze Zeit über
(ſeit der Verkündigung des Todesurtheils) nach einer engen
Vereinigung mit Gott geſtrebt ohne ſie nach Wunſch zu
erreichen, nun gedachte er in dieſem Augenblick durch volle
Anſtrengung ſich gänzlich Gott hinzugeben“. Offenbar iſt
es ein Ausdruck Savonarola's, der — halbverſtanden —
ihn beunruhigt hatte.
6. Abſchnitt.
Beſäßen wir noch mehr Bekenntniſſe dieſer Art, ſo
würde das geiſtige Bild jener Zeit um viele wichtige Züge
reicher werden, die uns keine Abhandlung und kein Gedicht
giebt. Wir würden noch beſſer ſehen, wie ſtark der ange-
borene religiöſe Trieb, wie ſubjectiv und auch wie ſchwan-
kend das Verhältniß des Einzelnen zum Religiöſen war und
was für gewaltige Feinde dem letztern gegenüberſtanden.
Religiöſe Con-
fuſion.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/562>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.