die Anregung zu seiner großen Arbeit empfangen und gleich1. Abschnitt. nach der Heimkehr dieselbe begonnen habe; allein wie Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich gewesen sein und haben doch die Geschichte ihrer Städte nicht ge- schrieben! Denn nicht Jeder konnte so trostvoll beifügen: "Rom ist im Sinken, meine Vaterstadt aber im Aufsteigen und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und so weit ich noch die Ereignisse erleben werde." Und außer dem Zeug- niß von seinem Lebensgange erreichte Florenz durch seine Geschichtschreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm als irgend ein anderer Staat von Italien 1).
Nicht die Geschichte dieses denkwürdigen Staates, nurObjectives politisches Be- wußtsein, einige Andeutungen über die geistige Freiheit und Objecti- vität, welche durch diese Geschichte in den Florentinern wach geworden, sind hier unsere Aufgabe.
Um das Jahr 1300 beschrieb Dino Compagni die städtischen Kämpfe seiner Tage. Die politische Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent- ferntern Ursachen und Wirkungen sind hier so geschildert, daß man die allgemeine Superiorität des florentinischen Ur- theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das größte Opfer dieser Krisen, Dante Alighieri, welch ein Po- litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn über das beständige Aendern und Experimentiren an der Verfassung in eherne Terzinen gegossen 2), welche sprich- wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat seine Heimath mit Trotz und mit Sehnsucht angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte.
1) Dieß schon um 1470 constatirt bei Vespasiano Fiorent. p. 554.
2) Purgatorio VI, Ende.
die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich1. Abſchnitt. nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge- ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen: „Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich noch die Ereigniſſe erleben werde.“ Und außer dem Zeug- niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm als irgend ein anderer Staat von Italien 1).
Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nurObjectives politiſches Be- wußtſein, einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti- vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.
Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent- ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert, daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur- theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po- litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen 2), welche ſprich- wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte.
1) Dieß ſchon um 1470 conſtatirt bei Vespaſiano Fiorent. p. 554.
2) Purgatorio VI, Ende.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="75"/>
die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich<noteplace="right"><hirendition="#b"><hirendition="#u">1. Abſchnitt.</hi></hi></note><lb/>
nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie<lb/>
Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres<lb/>
mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen<lb/>ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge-<lb/>ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen:<lb/>„Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen<lb/>
und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe<lb/>
ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke<lb/>
damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich<lb/>
noch die Ereigniſſe erleben werde.“ Und außer dem Zeug-<lb/>
niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine<lb/>
Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm<lb/>
als irgend ein anderer Staat von Italien <noteplace="foot"n="1)">Dieß ſchon um 1470 conſtatirt bei Vespaſiano Fiorent. <hirendition="#aq">p.</hi> 554.</note>.</p><lb/><p>Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nur<noteplace="right">Objectives<lb/>
politiſches Be-<lb/>
wußtſein,</note><lb/>
einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti-<lb/>
vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern<lb/>
wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.</p><lb/><p>Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die<lb/>ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der<lb/>
Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere<lb/>
der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent-<lb/>
ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert,<lb/>
daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur-<lb/>
theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das<lb/>
größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po-<lb/>
litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn<lb/>
über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der<lb/>
Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen <noteplace="foot"n="2)">Purgatorio <hirendition="#aq">VI,</hi> Ende.</note>, welche ſprich-<lb/>
wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen<lb/>
will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht<lb/>
angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[75/0085]
die Anregung zu ſeiner großen Arbeit empfangen und gleich
nach der Heimkehr dieſelbe begonnen habe; allein wie
Manche unter den 200,000 Rompilgern jenes Jahres
mögen ihm an Begabung und Richtung ähnlich geweſen
ſein und haben doch die Geſchichte ihrer Städte nicht ge-
ſchrieben! Denn nicht Jeder konnte ſo troſtvoll beifügen:
„Rom iſt im Sinken, meine Vaterſtadt aber im Aufſteigen
und zur Ausführung großer Dinge bereit, und darum habe
ich ihre ganze Vergangenheit aufzeichnen wollen und gedenke
damit fortzufahren bis auf die Gegenwart und ſo weit ich
noch die Ereigniſſe erleben werde.“ Und außer dem Zeug-
niß von ſeinem Lebensgange erreichte Florenz durch ſeine
Geſchichtſchreiber noch etwas Weiteres: einen größeren Ruhm
als irgend ein anderer Staat von Italien 1).
1. Abſchnitt.
Nicht die Geſchichte dieſes denkwürdigen Staates, nur
einige Andeutungen über die geiſtige Freiheit und Objecti-
vität, welche durch dieſe Geſchichte in den Florentinern
wach geworden, ſind hier unſere Aufgabe.
Objectives
politiſches Be-
wußtſein,
Um das Jahr 1300 beſchrieb Dino Compagni die
ſtädtiſchen Kämpfe ſeiner Tage. Die politiſche Lage der
Stadt, die innern Triebfedern der Parteien, die Charactere
der Führer, genug das ganze Gewebe von nähern und ent-
ferntern Urſachen und Wirkungen ſind hier ſo geſchildert,
daß man die allgemeine Superiorität des florentiniſchen Ur-
theilens und Schilderns mit Händen greift. Und das
größte Opfer dieſer Kriſen, Dante Alighieri, welch ein Po-
litiker, gereift durch Heimath und Exil! Er hat den Hohn
über das beſtändige Aendern und Experimentiren an der
Verfaſſung in eherne Terzinen gegoſſen 2), welche ſprich-
wörtlich bleiben werden wo irgend Aehnliches vorkommen
will; er hat ſeine Heimath mit Trotz und mit Sehnſucht
angeredet, daß den Florentinern das Herz beben mußte.
1) Dieß ſchon um 1470 conſtatirt bei Vespaſiano Fiorent. p. 554.
2) Purgatorio VI, Ende.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/85>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.