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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.
und allgemeines
Raisonnement
Aber seine Gedanken dehnen sich aus über Italien und die
Welt und wenn seine Agitation für das Imperium, wie
er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, so muß man
bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum
geborenen politischen Speculation bei ihm eine poetische
Größe hat. Er ist stolz, der erste zu sein, der diesen Pfad
betritt 1), allerdings an der Hand des Aristoteles, aber in
seiner Weise sehr selbständig. Sein Idealkaiser ist ein ge-
rechter, menschenliebender, nur von Gott abhängender Ober-
richter, der Erbe der römischen Weltherrschaft, welche eine
vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathschluß
gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreises sei nämlich
eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwischen Rom und den
übrigen Völkern gewesen, und Gott habe dieses Reich an-
erkannt, indem er unter demselben Mensch wurde und sich
bei seiner Geburt der Schatzung des Kaisers Augustus, bei
seinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog
u. s. w. Wenn wir diesen und andern Argumenten nur
schwer folgen können, so ergreift Dante's Leidenschaft immer.
In seinen Briefen 2) ist er einer der frühsten aller Publi-
cisten, vielleicht der frühste Laie, der Tendenzschriften in
Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit
bei Zeiten an; schon nach dem Tode Beatrice's erließ er
ein Pamphlet über den Zustand von Florenz "an die Großen
des Erdkreises", und auch die spätern offenen Schreiben
aus der Zeit seiner Verbannung sind an lauter Kaiser,
Fürsten und Cardinäle gerichtet. In diesen Briefen und
in dem Buche "von der Vulgärsprache" kehrt unter ver-
schiedenen Formen das mit so vielen Schmerzen bezahlte
Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der

1) De Monarchia, I, 1.
2) Dantis Alligherii epistolae, cum notis C. Witte. Wie er den
Kaiser durchaus in Italien haben wollte, so auch den Papst, s. d.
Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314.

1. Abſchnitt.
und allgemeines
Raiſonnement
Aber ſeine Gedanken dehnen ſich aus über Italien und die
Welt und wenn ſeine Agitation für das Imperium, wie
er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, ſo muß man
bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum
geborenen politiſchen Speculation bei ihm eine poetiſche
Größe hat. Er iſt ſtolz, der erſte zu ſein, der dieſen Pfad
betritt 1), allerdings an der Hand des Ariſtoteles, aber in
ſeiner Weiſe ſehr ſelbſtändig. Sein Idealkaiſer iſt ein ge-
rechter, menſchenliebender, nur von Gott abhängender Ober-
richter, der Erbe der römiſchen Weltherrſchaft, welche eine
vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathſchluß
gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreiſes ſei nämlich
eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwiſchen Rom und den
übrigen Völkern geweſen, und Gott habe dieſes Reich an-
erkannt, indem er unter demſelben Menſch wurde und ſich
bei ſeiner Geburt der Schatzung des Kaiſers Auguſtus, bei
ſeinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog
u. ſ. w. Wenn wir dieſen und andern Argumenten nur
ſchwer folgen können, ſo ergreift Dante's Leidenſchaft immer.
In ſeinen Briefen 2) iſt er einer der frühſten aller Publi-
ciſten, vielleicht der frühſte Laie, der Tendenzſchriften in
Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit
bei Zeiten an; ſchon nach dem Tode Beatrice's erließ er
ein Pamphlet über den Zuſtand von Florenz „an die Großen
des Erdkreiſes“, und auch die ſpätern offenen Schreiben
aus der Zeit ſeiner Verbannung ſind an lauter Kaiſer,
Fürſten und Cardinäle gerichtet. In dieſen Briefen und
in dem Buche „von der Vulgärſprache“ kehrt unter ver-
ſchiedenen Formen das mit ſo vielen Schmerzen bezahlte
Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der

1) De Monarchia, I, 1.
2) Dantis Alligherii epistolæ, cum notis C. Witte. Wie er den
Kaiſer durchaus in Italien haben wollte, ſo auch den Papſt, ſ. d.
Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314.
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[76/0086] Aber ſeine Gedanken dehnen ſich aus über Italien und die Welt und wenn ſeine Agitation für das Imperium, wie er es auffaßte, nichts als ein Irrthum war, ſo muß man bekennen, daß das jugendliche Traumwandeln der kaum geborenen politiſchen Speculation bei ihm eine poetiſche Größe hat. Er iſt ſtolz, der erſte zu ſein, der dieſen Pfad betritt 1), allerdings an der Hand des Ariſtoteles, aber in ſeiner Weiſe ſehr ſelbſtändig. Sein Idealkaiſer iſt ein ge- rechter, menſchenliebender, nur von Gott abhängender Ober- richter, der Erbe der römiſchen Weltherrſchaft, welche eine vom Recht, von der Natur, und von Gottes Rathſchluß gebilligte war. Die Eroberung des Erdkreiſes ſei nämlich eine rechtmäßige, ein Gottesurtheil zwiſchen Rom und den übrigen Völkern geweſen, und Gott habe dieſes Reich an- erkannt, indem er unter demſelben Menſch wurde und ſich bei ſeiner Geburt der Schatzung des Kaiſers Auguſtus, bei ſeinem Tode dem Gericht des Pontius Pilatus unterzog u. ſ. w. Wenn wir dieſen und andern Argumenten nur ſchwer folgen können, ſo ergreift Dante's Leidenſchaft immer. In ſeinen Briefen 2) iſt er einer der frühſten aller Publi- ciſten, vielleicht der frühſte Laie, der Tendenzſchriften in Briefform auf eigene Hand ausgehen ließ. Er fing damit bei Zeiten an; ſchon nach dem Tode Beatrice's erließ er ein Pamphlet über den Zuſtand von Florenz „an die Großen des Erdkreiſes“, und auch die ſpätern offenen Schreiben aus der Zeit ſeiner Verbannung ſind an lauter Kaiſer, Fürſten und Cardinäle gerichtet. In dieſen Briefen und in dem Buche „von der Vulgärſprache“ kehrt unter ver- ſchiedenen Formen das mit ſo vielen Schmerzen bezahlte Gefühl wieder, daß der Verbannte auch außerhalb der 1. Abſchnitt. und allgemeines Raiſonnement 1) De Monarchia, I, 1. 2) Dantis Alligherii epistolæ, cum notis C. Witte. Wie er den Kaiſer durchaus in Italien haben wollte, ſo auch den Papſt, ſ. d. Brief S. 35 während des Conclave's von Carpentras 1314.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/86>, abgerufen am 21.11.2024.